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Finger am digitalen Abzug

Pünktlich zum Weihnachtsfest erscheint auf dem Markt ein Computerspiel aus deutschen Landen, das einerseits den Stand des technisch Machbaren zeigt, das aber andererseits so martialisch daher kommt, dass es nur an Erwachsene verkauft werden darf. In Leipzig erörterten derweil Fachleute die Gewalt in Spielen und was sich daraus machen lässt.

Von Wolfgang Noelke |
    Es ist eine kleine, aber hochkarätige Tagung, die im Rahmen der Leipziger Informatiktage im letzten Jahr noch ein Programmpunkt war und in diesem Jahr Höhepunkt. "Forschung tut not" scheint das Fazit dieser, heute auf dem Leipziger Mediencampus zu Ende gehenden Veranstaltung zu sein, auf der sich ein kleiner, aber intensiv arbeitender Kreis von Entwicklern, Wissenschaftlern und Studierenden fachübergreifend mit digitalen Spielen beschäftigt. Es werden hier also nicht nur die technischen Aspekte beleuchtet, sondern auch das soziologische, das psychologische und das wirtschaftliche Umfeld. Und erstaunlich ist, dass offensichtlich gar keine Basis existiert, durch die solche populären Aussagen wie "Gewaltspiele machen aggressiv" wissenschaftlich fundiert sind.

    Die Frage, "Machen Gewaltspiele aggressiv?" wird in der Öffentlichkeit oft mit einem vorschnellen "Ja" beantwortet, wenn wieder ein Gewalttäter oder ein Amokläufer vor der Tat ein so genanntes Ego-Shooter Spiel, also ein Ballerspiel spielte. Genauso gut könnte "Mensch Ärger Dich Nicht", also einen normales Brettspiel, Aggressionen hervorrufen. In ihrem gestrigen Vortrag zeigten Dennis K. Mendel und Steffen Bruckner von der Universität des Saarlandes am Beispiel internationaler Forschungsarbeiten, dass eine wissenschaftlich fundierte Aussage darüber, ob ein bestimmtes Spiel Aggressionen hervorruft, nur dann einigermaßen zuverlässig sei, wenn man nicht nur den Inhalt des Spiels analysiere, sondern die gesamte Peripherie mit einbeziehe - also, wie gespielt wird und womit!

    Ein harmloses Konsolenspiel, das plötzlich als PC-Spiel angeboten wird, könne Spieler, die diese PC-Versionen nutzen, bereits aggressiv machen, weil sie das Spiel auf dem PC anders bedienen müssten als auf der Konsole. Das Erregungspotenzial hinge also von vielen Faktoren ab, einmal vom Aufbau und Inhalt des Spiels, von den formalen Aufgaben die dort gelöst werden müssen, dann spielt die Darstellung eine große Rolle und die Bildschirmgröße. Ein wichtiger Faktor sind die Peripheriegeräte und - ob und welche Musik und Geräusche das Spiel begleiten. Ist beispielsweise die Musik ausgeschaltet oder ist gar eine ganz andere Musik während eines Spiels zu hören, ändere sich der gemessene Erregungszustand derselben Spieler gravierend.

    Interessant ist ein Vergleich zwischen Ego-Shooter-Spielen und Spielen, die ausdrücklich für Kinder gedacht sind. Ego-Shooter-Spiele wie "James Bond", das klassische "Moorhuhn" sowie die beiden von den Saarbrücker Forschern ebenfalls unter Ego-Shooter eingeordneten Spiele "Motocross" und "Need For Speed" wurden von derselben Spielergruppe getestet wie die Kinderspiele "Captain Bumper" oder "Street Fight". Erstaunlich war das Ergebnis: Die Kinderspiele generierten bei den Spielern ein wesentlich höheres Erregungspotenzial als die Ego-Shooter-Spiele.

    Die Ursachen der Aggressionen sind unbekannt. Erforscht ist also über die Wirkung von Spielen nur wenig, sagen Dennis K. Mendel und Steffen Bruckner und kommen zu ihrer traurigen Erkenntnis, dass keine der weltweit etwa 150 bekannten Studien Aussagen über die Ursachen der Wirkung eines Spieles machen. Hier bestünde also großer Forschungsbedarf, denn ohne eine wissenschaftlich fundierte Basis, stünde jede Aussage über eine Wechselwirkung zwischen Spieleinhalt und der Aggression der Spieler auf tönernen Füßen.

    Spiele sind Kultur! Das ist die Kernaussage, die man von der Leipziger Tagung mit nachhause nehmen kann. Der kulturelle Hintergrund der Spieleentwickler spiegele sich in deren Spielen wieder, sagt Steffen Bruckner. Dies hätte eine schwer wiegende wirtschaftliche Bedeutung für diejenigen, die Spiele weltweit vermarkten wollen. Es wäre kaum möglich, Spiele weltweit zu vermarkten, ohne die kulturellen Aspekte jenes Landes zu kennen, in dem das Spiel vermarktet werden soll. Zum Beispiel gibt es in Japan ein Spiel namens "OKAMI" auf dem ausschließlich japanische Landschaften als Tuschezeichnungen zu sehen sind und ein anderes japanisches Spiel zeigt das Leben ganz normaler Leute und heißt auch so: "Shomin Geki". Solche Spiele genießen in Japan höchste Popularität, würden in Europa aber kaum jemanden hinter dem Ofen hervor locken.

    Umgekehrt könnten Spieleentwickler hierzulande scheitern, wenn sie ohne Recherche versuchten, PC-Spiele nach Indien zu exportieren, sagte Martin Richter, Geschäftsführer des Spielentwicklers "g.labs". Mehr als zwei Prozent der Inder nutzten das Internet, aber nur als ein Prozent besäßen einen eigenen PC. Online sei man dort in Internetcafes. So genannte Massen- Multiplayer-Online-Games liefen in Indien gut, wenn deren Entwickler die indische Gesellschaftsstruktur berücksichtigen, mit dem Wissen, dass dort das Spielen immer noch als Zeitverschwendung angesehen würde und man deswegen gern heimlich spiele. Interkulturelle Kommunikation, bei Volkswirtschaftlern ein Nebenfach, sei bei Spieleentwicklern Existenz entscheidend.

    In Deutschland dominieren, an die westliche Kultur zugeschnittene, japanische und die US-amerikanische Spiele. Hier in Leipzig hat man sich auch außerhalb der Tagung ein hohes Ziel gesteckt, denn auf dem Mediencampus, dem Tagungsort, will man die künftige Entwickler-Elite ausbilden, also diejenigen, die später die eigene nationale oder besser, die europäische Kultur in ihre Entwicklungen einfließen lassen. Dieses Ziel hat auch einen hohen technischen Anspruch: Künftige virtuelle Agentenprogramme, die so genannten Bots sollen immer stärker die Persönlichkeit ihrer Spieler annehmen und entscheiden vielleicht irgendwann auch genau so. Hier ein spielerischer Schritt, hin zur Entwicklung angeblich künstlicher Intelligenz.