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Technik-Freaks retten alte DDR-Computer

Kaum vorstellbar, dass ein Rechner mit dem Bruchteil der Leistung noch vor 20 oder 30 Jahren einen ganzen Raum gefüllt haben soll. Und damit das nicht vergessen wird, hat sich in Halle an der Saale eine Gruppe technikbegeisterter junger Männer aufgemacht, die alte Rechentechnik der DDR zu bergen und zu restaurieren.

Von Stefanie Becker | 04.01.2016
    Großrechenanlage an der Sektion Mathematik der Universität Jena, aufgenommen im September 1983
    Großrechenanlage an der Sektion Mathematik der Universität Jena, aufgenommen im September 1983 (FSU-Fotozentrum/picture alliance / Universität Jena)
    Ein ehemaliger Getränkemarkt in Halle an der Saale. Die Schiebetür öffnet sich - doch anstelle von Bier- und Wasserkästen stapeln sich hier alte DDR-Computer. Hunderte Monitore stehen in Reih und Glied, dahinter tonnenschwere Rechner und Steuerungsanlagen. Die Regale biegen sich - so schwer sind die technischen Unterlagen, Fachzeitschriften und Kataloge, die darauf liegen. Inmitten dieser Sammlung stehen drei junge Männer und fachsimpeln.
    Ronny Kunze: "Robotron hat keinen Fehler in der 1600er Dokumentation gemacht, sondern der Dokumentationsfehler ist in dem Floppy-Laufwerk. Ah!"
    Sebastian Czech: "Genau, das ist die externe Einheit zum 8915 und wir haben die ignoranterweise in den SKR-reingebaut."
    Ronny Kunze, Sebastian Czech und Rüdiger Kurth haben ihren Laptop an ein Gerät angeschlossen, das aussieht wie eine riesige rechnende Schrankwand. Die "K 1600". Sebastian drückt einige Knöpfe.
    "Das ist ein Universalrechner. Den kann man sowohl für die Lösung wissenschaftlich-technisch-ökonomischer Aufgaben benutzen als auch als Prozessleitrechner. Die Anlage hier die stammt halt aus einem Braunkohlekraftwerk, einem großen, und wurde dort mehr oder weniger als Datenbankserver benutzt."
    Die Rettung vor dem Schrottplatz
    Ein Kleinrechner aus den 80er Jahren. Einige hundert Kilo schwer. Es ist das neueste Restaurationsprojekt der Digital AG. So nennt sich die Gruppe, die alte DDR-Rechentechnik sammelt und so vor dem Schrottplatz rettet.
    Rüdiger Kurth: "Einerseits geht es uns darum die Geräte vorm Aussterben zu bewahren denn wir sehen die als einen Teil der Industriekultur an, die es auch zu erhalten gilt zumal es auch einen regionalen Bezug hat. Die Anlagen sind in Mitteldeutschland hergestellt worden und waren auch in Mitteldeutschland im Einsatz."
    Ein Großteil der Rechner, die die Digital-AG birgt, ist kaputt. Manchmal sind die Maschinen komplett zerlegt, halb verrottet oder sie haben irgendwelche technischen Defekte. Egal was es ist – die Digital AG schleppt die Computer in ihre Halle und versucht zu retten, was zu retten ist. Das gilt auch für die K 1600.
    Ronny Kunze: "Der fehlt eigentlich immer noch ein Gerät, wovon sie booten kann. Wir haben hier zwar Festplatten dran und ein Magnetbandlaufwerk und Lochstreifenleser. Aber wir haben noch keine Datenträger, die man konkret booten kann. Wir haben aber eine Diskette von jemandem bekommen, wo möglicherweise ein Bootladersystem drauf ist."
    Sebastian Czech: "Unser Ziel ist es, dass man die Technik erleben und nicht nur ansehen kann."
    Doch bevor es soweit ist, müssen die Jungs ganze Arbeit leisten, denn nur die wenigsten Geräte werden ihnen einfach so vorbei gebracht. Ronny Kunze ist schon seit einigen Jahren dabei, eine Datenbank mit alten Industrieanlagen zu erstellen.
    Ronny Kunze: "Teilweise aus Fernsprechbüchern, teilweise aus Telex-Büchern und aus Unterlagen oder internen Telefonbüchern von Firmen oder so."
    Tonnenschwere Technik
    Stillegelegte Industrieanlagen und abgewickelte Betriebe sind wahre Goldgruben für die Technikretter. Haben sie eine alte Fabrik gefunden geht es an die Recherche: Wer ist der Besitzer und welche Geräte sind noch vorhanden? So wie im alten Porzellanwerk Ilmenau. Hier hat die Digital AG einen ganz besonderen Roboter gefunden.
    Sebastian Czech: "Das ist ein Rechner für die Steuerung eines Schnellplotters aus dem Porzellanwerk Ilmenau. Damit hat man die Dekorbögen, also quasi das Blumenmuster aus den Tellern ausgestanzt."
    Doch damit nicht genug: Die tonnenschwere Technik muss ja noch irgendwie nach Halle transportiert werden.
    Ronny Kunze: "Die Kollegen da hatten einen Stapler vor Ort. Die waren ja eh mit Demontieren beschäftigt."
    Sebastian Czech: "Man muss ich vorstellen, dieser halbtonnenschwere Schaltschrank wurde mit einer Schlinge in den Transporter reingetan. Hier haben wir aber keinen Stapler und keine Laufkatze, also war das mit purer Muskelkraft zu machen."
    Ronny Kunze: "Das hat richtig Spaß gemacht. Also das war ein richtig cooler Vorgang."
    Und dann geht es an das technische Know-how. Die alte Technik zu verstehen – das haben sie sich selbst beigebracht. Jeden Freitagabend wird geschraubt, gelötet und analysiert.
    Obwohl der alte Getränkemarkt inzwischen aus allen Nähten platzt, kommt Aufhören für die Technikretter auf keinen Fall infrage.
    Ronny Kunze: "Ich denke, das muss man einfach erhalten. Und weil ich auch gesehen habe, dass andere auch eine unheimliche Leidenschaft für Dinge aufbringen können. Eisenbahner sind zum Beispiel auch total vernarrt in ihre Eisenbahn. Und wir machen halt Elektronik."
    Die K1600 läuft am Ende des Abends noch immer nicht. Ronny Kunze kommt mit seinem Latein nicht weiter. Irgendein Zwischenstück scheint zu fehlen. Aber das macht nichts. Es gibt noch genug andere Geräte, an denen er heute Abend herumschrauben kann – so wie Rüdiger Kurth, der gerade einen alten Drucker auseinanderbaut. Fertig werden sie nie. Und wenn doch, dann finden sie eben noch ein paar neue alte Computer.
    Rüdiger Kurth: "Uns macht das Reparieren einfach Freude. Wir genießen das dann auch, wenn mal wieder was funktioniert, an dem wir lange gebaut hatten. Das ist unser Kick."