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Firmengeschichte, Familien-Porträt und Zeitgeschichte

Das Unternehmen Krupp – inzwischen Bestandteil von Thyssen/Krupp – ist vor 200 Jahren gegründet worden. Der amerikanische Historiker Harold James hat deshalb eine Firmengeschichte vorgelegt, die auch ein Familien-Porträt und ein Stück Zeitgeschichte ist.

Von Otto Langels | 14.11.2011
    Die Firma Krupp galt lange Zeit als "Waffenschmiede der Nation". "Die dicke Bertha", ein schweres Geschütz, das im Ersten Weltkrieg an der Front zum Einsatz kam, wurde zum populären Aushängeschild deutscher Kriegstechnik. Tatsächlich aber, so der englische Historiker Harold James, verdankte Krupp den Durchbruch zum Großunternehmen zivilen Produkten.

    "Das war ein Unternehmen, das ursprünglich Werkzeuge gemacht hat, Prägemaschinen für Stempel, für die Münze. Und dann das große Geschäft war ja die Eisenbahnindustrie. Eine Errungenschaft waren die nahtlosen Reifen für die Lokomotiven und die Eisenbahnwagen."

    Das Firmenlogo aus drei übereinandergelegten Radreifen entwarf Alfred Krupp 1875 persönlich. In großen Zügen, mit wohlwollendem Ton, skizziert der im amerikanischen Princeton lehrende Autor die Entwicklung des Unternehmens. Augenscheinlich möchte er das Firmenjubiläum nicht durch eine allzu kritische Darstellung trüben. Zurückhaltend porträtiert er zum Beispiel Familienmitglieder wie Friedrich Alfred oder Alfried Krupp, deren Wirken und Auftreten umstritten war.

    Harold James beschreibt die Firma Krupp als typischen Vertreter eines rheinischen Kapitalismus: Sie pflegte ein gutes Verhältnis zum Staat, hatte den internationalen Markt im Blick, war skeptisch gegenüber Banken und Börsen und suchte vor allem eine vertrauensvolle, dauerhafte Beziehung zur eigenen Belegschaft. Krupp investierte in soziale Einrichtungen wie Arbeitersiedlungen, Krankenhäuser und Kindergärten und bezahlte höhere Löhne als vergleichbare andere Unternehmen. Dahinter standen aber nicht humanistische Ideale, sondern geschäftliches Kalkül. Wegen der anspruchsvollen Tätigkeiten in der Eisen- und Stahlproduktion hatte Krupp großes Interesse an zuverlässigen, qualifizierten Arbeitern.

    "Da war dieser Begriff von den Arbeitern, die sich Krupp verbunden fühlten, die 'Kruppianer'. Man hat auch gesagt, man spricht eine ganz andere Sprache da, man spricht 'kruppsch'. Das habe ich nie als Sprache wahrgenommen, aber das ist offenbar, wie man sich in der Welt der Arbeit bei Krupp im 19. Jahrhundert, auch im 20. Jahrhundert gefühlt hat."

    Harold James verschweigt in seiner sachlichen Darstellung nicht die Schattenseiten der Firmengeschichte. Dank enger Beziehungen zu staatlichen Stellen erhielt der Konzern immer wieder lukrative Rüstungsaufträge, so vor und im Ersten Weltkrieg sowie in der NS-Zeit. Die Waffenproduktion erwies sich als einträglichstes Geschäftsfeld.
    Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, seit 1909 Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens, war zwar vor 1933 kein Anhänger der Nationalsozialisten. Er nahm auch nicht an dem legendären Treffen Adolf Hitlers mit führenden Vertretern der deutschen Wirtschaft im Düsseldorfer Industrieclub im Januar 1932 teil. Dennoch profitierte Krupp von der Rüstungswirtschaft und dem Expansionsdrang des NS-Regimes. Rund 100.000 Zwangsarbeiter mussten während des Zweiten Weltkriegs für den Konzern schuften. Sofern sich ihre Lage geringfügig verbesserte, ging dies eher auf staatliche Maßnahmen denn auf Initiativen des Unternehmens zurück.

    "Krupp war ja gerade das große Symbol der deutschen Industrie, und man stellte – auch mit Recht natürlich - fest, dass die deutsche Industrie ihren Teil gespielt hat an den Verbrechen des Nationalsozialismus."

    Anstelle des senilen Gustav Krupp musste sich sein Sohn Alfried 1947 in Nürnberg vor dem Internationalen Militärtribunal wegen Sklavenarbeit und Ausplünderung des besetzten Europa verantworten. Er wurde zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, aber bereits im Januar 1951 begnadigt, die Enteignung des Firmenvermögens machten die Alliierten wieder rückgängig.

    Der Krupp-Konzern erholte sich von der Krise der ersten Nachkriegsjahre und erlangte unter der Führung von Berthold Beitz wieder Weltgeltung. Krupp erfand sich als ziviles, auf Anlagenbau spezialisiertes Unternehmen gewissermaßen neu. Der Generalbevollmächtigte Beitz suchte früh Handelskontakte in der Sowjetunion, China und Osteuropa und knüpfte damit an die internationale Ausrichtung Krupps in der Anfangszeit an.

    "Die Orientierung nach dem Ausland war prägend für die ersten Jahre des Unternehmens. Es war unbedingt wichtig, dass man die Qualität erwies damit, dass man nicht nur den deutschen Markt belieferte, sondern auch Waren nach England lieferte - England war ja in dieser Zeit führend in der Industriewelt -, aber auch Frankreich, Italien, Russland. Dann später im 19. Jahrhundert wurde das wirklich ein globales Unternehmen, das China, Japan, Brasilien, Ägypten, das Osmanische Reich belieferte. Es war wirklich ein weltumspannendes Unternehmen, ein globalisiertes Unternehmen."

    Ohne Überführung des Krupp-Konzerns in eine Stiftung im Jahr 1967 würde es das Unternehmen heute gar nicht mehr geben, vermutet Harold James. Krupp wäre dann als begehrtes Objekt einer feindlichen Übernahme längst anonymer Teil eines größeren Firmenimperiums geworden. So aber könne die ThyssenKrupp AG als unabhängige Stiftung die Tradition des "Gemeinwohl-Kapitalismus" früherer Zeiten bewahren.

    "In diesem Sinne hält sich etwas von dem Geist des 19. Jahrhunderts, von der Verantwortlichkeit der Firma gegenüber den Arbeitnehmern. Und das ist eigentlich etwas, das in der Außenwelt als typisch deutsch angesehen wird."

    Der Historiker Harold James, ein profunder Kenner der deutschen Geschichte, liefert in einer lesenswerten, reich bebilderten Darstellung keine neuen Erkenntnisse und Einsichten. Er erzählt aber souverän die wichtigen Entwicklungslinien des Familienunternehmens und verweist – durchaus originell – auf Parallelen in der Literatur, von Thomas Manns Buddenbrooks über Heinrich Manns Untertan bis zu Erik Regers Union der festen Hand. Der Autor vermeidet vorschnelle Wertungen, scheut aber nicht vor klaren Urteilen zurück. Ein empfehlenswertes Buch für allgemein interessierte Leser, die aus Anlass des Firmenjubiläums einen guten Überblick über 200 Jahre Krupp bekommen möchten.

    Harold James: "Krupp. Deutsche Ikone und globales Unternehmen 1811 - 2011",
    C.H. Beck, 344 Seiten, 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-406-62414-8