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Fischen im Trüben

Bautechnik. - Warum wurde das Historische Stadtarchivs in Köln regelrecht vom Erdboden verschluckt - Geologen dürfte diese Frage noch lange beschäftigen. Die Unglücksstelle musste mit Beton verfüllt und stabilisiert werden, eine spätere Untersuchung wird somit erschwert. Die Diskussion um schärfere Regelwerke für Tunnelbauten hat aber bereits begonnen. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich berichtet im Gespräch mit Ralf Krauter.

    Krauter: Köln nach dem Einsturz des Historischen Stadtarchivs: Unter den Trümmern werden immer noch Menschen vermutet, doch die Bergungsarbeiten sind knifflig, weil andere Gebäude neben der Unglücksstelle ebenfalls einsturzgefährdet sind. Zu den Ursachen gibt es bislang nur Mutmaßungen, aber der Verdacht, dass das Desaster irgendwas mit dem U-Bahn-Tunnel zu tun hat, der in der Gegend seit Jahren gebaut wird, drängt sich natürlich auf. Frage an meine Kollegin, die Geologin Dagmar Röhrlich: Wie könnte man sich so ein drastisches, lokales Absacken des Bodens, das da stattgefunden hat, in diesem Zusammenhang denn erklären?

    Röhrlich: Wie man genau es sich erklären kann, das werden die Experten erst in einiger Zeit herausfinden, denn jetzt im Moment werden 1000 Tonnen Beton in den Untergrund gepumpt, um die Unfallstelle zu stabilisieren, und mit denen muss man sich erstmal etwas einfallen lassen, wie man trotz dieses Betons dann an das Corpus Delicti herankommt, damit man überhaupt sieht, was los ist. Im Moment sagen Geotechnikexperten, dieser Tunnel an und für sich ist schon so lange fertig gebaut, der kann eigentlich nichts damit zu tun haben, denn Tunnelbauten sind nur dann gefährlich, wenn ich gerade im Baubetrieb drin bin. Aber es gibt da noch etwas anderes: Es ist so, dass vor diesem Haus, das eingestürzt ist, direkt ein Gleiswechselbauwerk ist, also ein großer, wenn man so will, Verschiebebahnhof. In diesen Hohlraum hinein wurde ein Schacht abgeteuft. Die Vorstellung ist jetzt so, dass beim Bau dieses Schachts Grundwasser eindringen konnte, das unter Druck steht, dadurch dann große Mengen an Sediment mit sich gerissen hat, als es dann in den Schacht und dann auch ins Gleiswechselbauwerk hineingelaufen ist, und so den Häusern regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen hat, so dass sie kollabierten.

    Krauter: Vermutlich war also nicht der eigentlich U-Bahn-Tunnel die Ursache, das Problem, sondern dieser Schacht, der kürzlich gebohrt worden ist. Nun stelle ich mir das so vor: Bevor man so eine Bohrung macht, macht man jede Menge Messungen im Umfeld. Hätten da nicht irgendwo die Alarmglocken schrillen müssen bei den Verantwortlichen?

    Röhrlich: Also als dieses Tunnelbauwerk angegangen worden ist: Da wird gebohrt. Man ist in der Stadt, da kann man jetzt keine Geophysik machen, das macht keinen Sinn. Aber man bohrt in mehr oder weniger großen Abständen, je nachdem, für wie kritisch man die Situation hält, und bekommt dann so zehn Zentimeter Durchmesser Bohrkerne. Die kann man weiter untersuchen im Labor und feststellen: Aha, die Standfestigkeit ist so oder so. Aber dazwischen weiß man halt nichts. Es sind Nadelstiche. Mit vielen, vielen Nadelstichen versucht man herauszukriegen, wie sieht dieser Untergrund aus. Aber in Wirklichkeit ist das natürlich eine Blackbox, wo durchaus Überraschungen warten können.

    Krauter: Klingt so, als ob bei solchen Bohrungen zwangsläufig immer eine Menge Unwägbarkeiten im Spiel wären?

    Röhrlich: Gerade in Köln! Denn Köln ist ja, wenn man so will, nicht unbedingt die optimale Gegend, um so etwas zu bauen. Wir haben hier ein Gebiet, das sich ständig absenkt und wo immer Sedimente angehäuft werden. Da sind Sande, Tone, Kiese und immer wieder mal eine schöne Braunkohleschicht. Die ist sehr unbeliebt bei den Bautechnikern, weil die rutschig werden kann. Das Ganze ist noch mit Grundwasser bis fast unter die Oberfläche hinein gesättigt. Dieses Grundwasser steht unter Druck, und da baue ich die Stadtbahn hinein. Und: Wir haben natürlich auch 2000 Jahre Siedlungsgeschichte, wo alle möglichen Leute seit den Römern alles Mögliche auf- und abgebaut haben. Dort war beispielsweise früher eine Ausfallstraße. Es kann also sein, dass da auch noch Hohlräume dazukommen. Eine so schwierige Gemengelage - dort dann einen Tunnel hineinzubauen und alles Mögliche umzuschichten ist natürlich eine riesige Herausforderung.

    Krauter: Welche Lehren kann, muss man denn aus dieser Katastrophe ziehen? Einfach künftig noch viel vorsichtiger zu sein oder solche Bauprojekte dann ganz zu canceln im Vorfeld?

    Röhrlich: Die Experten meinten, es sei mit Sicherheit ein Anlass - denn so etwas hätte auf keinen Fall passieren dürfen -, über die Regelwerke nachzudenken. Es kann sein, dass man etwas übersehen hat, was man nicht hätte übersehen dürfen, was man wissen konnte. Es kann aber auch sein, dass einfach die Regelwerke noch nicht ausgefeilt genug sind. Das wird man aber erst wissen, wenn die Experten vor Ort sich den Unfall haben genau anschauen können, was eigentlich passiert ist.

    Krauter: Wann wird mit Ergebnissen zu rechnen sein? Das dauert wahrscheinlich, weil die jetzt gar nicht mehr rankommen an die ursprüngliche Unfallstelle?

    Röhrlich: Das wird mindestens Monate dauern, und ehe man dann fertig ist ... Also, es ist ein längerfristiges Projekt, dahinter zu kommen.