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"Fischsuppe"
Wolfgang(s) Welt

Die einen nennen ihn einen Pop-Autor, für andere ist er nur ein Außenseiter. Dabei ist Wolfgang Welt eigentlich Nachtportier am Bochumer Schauspielhaus. Über sein Leben und seinen Alltag im Ruhrgebiet schreibt er Bücher, jetzt ist ein neuer Band seiner Lebensgeschichte erschienen: "Fischsuppe".

Von Enno Stahl | 09.02.2015
    Das Schauspielhaus in Bochum
    Das Schauspielhaus in Bochum (dpa / picture alliance / Horst Ossinger)
    Ein neuer Wolfgang Welt. Für die einen ist das ein Grund zur Euphorie, viele andere wird es kalt lassen: An Wolfgang Welt nämlich scheiden sich die Geister. Während seine Fans, und so wenige sind das gar nicht, ihn für den eigentlichen, den einzig wahren deutschen Pop-Autor halten, ist er anderen zu subkutan, zu bukowski-like und trashig. Dreißig namhafte Schriftsteller und Journalisten, darunter Dietmar Dath, Peter Handke, Frank Goosen und Marc Degens, haben sich unlängst dafür eingesetzt, ihm den diesjährigen Literaturpreis Ruhrgebiet zu verleihen. Was ist dran an diesem Mann, bei dem keine Zwischentöne existieren, keine distanzierte Betrachtung möglich zu sein scheint?
    Welt fordert zum Bekenntnis heraus. Seine drei Kurzromane "Peggy Sue", "Der Tick" und "Der Tunnel am Ende des Lichts", die vor einigen Jahren unter dem Titel "Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe" bei Suhrkamp als Komplettreader erschienen, sind sprachlich bewusst schmucklos gehalten. Sie handeln von dezidiert Alltäglichem, und das heißt vor allem: vom Alltag Wolfgang Welts. Das geforderte Bekenntnis richtet sich demnach nicht nur auf seine Literatur, sondern auch auf die Person des Autors, dessen Schreiben strikt autobiografisch ist.
    Da er in seinem Brotberuf Nachtportier im Schauspielhaus Bochum ist, käme aktuell wohl nicht viel zusammen. Doch Welt hat andere Zeiten erlebt, er zehrt von seiner Vergangenheit. In den Achtziger Jahren war er ein sehr origineller Musikkritiker für Zeitschriften wie Marabo, Musik-Express und Sounds.
    Unkünstlerische, fast unbeteiligte Sprache
    Und wenn er in seinen drei Romanen über seine Jugend und die frühere Clubszene im Ruhrgebiet berichtet, seine verbissenen Bemühungen, sich schreibend aus dem Bergarbeitermilieu, dem er entstammt, hoch zu kämpfen, sich zu etablieren im Musikjournalismus - das hat schon seinen Reiz. Die bewusst unkünstlerische, fast unbeteiligte Sprache entfaltet einen ungeheuren Sog, der die plötzliche Beschleunigung dieses Lebens ermessen lässt. Der Zusammenbruch, Diagnose "Schizoaffektive Psychose mit manisch-depressivem Einschlag", wird so verständlich. Man liest ihn fast als zwangsläufig und die Schilderung dessen, wie er sich nach eigener Aussage "verrückt schrieb", im Buch "Der Tunnel am Ende des Lichts", gehört sicher zum literarisch stärksten, was Welt hervorgebracht hat.
    Es folgten zwei Aufenthalte in Psychiatrien, die dauerhafte Behandlung mit Psychopharmaka, der Job im Theater, eine erzwungene Entschleunigung also.
    Genau hier nun, Anfang der 1990er Jahre, setzt der neue Band "Fischsuppe" ein:
    "Am Tag nach meiner Entlassung aus der Psychiatrie saß ich in Dr. Hummels Praxis, der mich noch eine Woche krankschreiben wollte, was ich aber ablehnte, weil ich nach drei Monaten Krankenhaus lieber sofort arbeiten gehen wollte, nach dem Wochenende. Wir hatten Freitag."
    Nach seiner Pop-Phase, nach der Psychiatriezeit, einigermaßen wieder im Lot, hat er sein Leben einfach weiter aufgeschrieben. Da gibt es durchaus intensive Passagen, in denen er das Ruhrgebiets-Ambiente sehr anschaulich macht. Auch der Tod des Vaters findet eine Darstellung, die gerade in ihrer sachlichen Nüchternheit hoch eindrucksvoll ist:
    "Da lag er nun, gar nicht wie tot. (..) Wir ließen Mutter allein mit ihm. Dann fuhren wir zu Schäfer, dem Bestatter. Mein Bruder musste zur Arbeit. Freitags würde die Beerdigung sein. Ich rief Ehmke an und nahm bis dahin frei. Abends lag ich auf der Liege in meiner Mansarde, die mein Vater nie betreten hatte. Ich brach in Tränen aus, obwohl wir uns gar nicht so nah standen, und dachte weiter über ihn nach."
    Teilweise hoher Grad an Banalität
    Zumeist aber dreht sich alles um das Denken und Trachten Wolfgang Welts: Wie er mal wieder an Sex kommt, name dropping und Klatsch sowie seine Versuche, literarisch Fuß zu fassen, indem er beharrlich auf alle mehr oder weniger wichtigen Multiplikatoren einwirkt, dass sie sich für ihn einsetzen und zum Promoter der Marke Wolfgang Welt werden. Das liest sich manchmal ganz okay, doch bisweilen ermüdet es, immer dann, wenn der Grad an Banalität zu hoch wird:
    "In der Domstadt hatte ich Aufenthalt", erzählt er etwa, "und trank drei Bier bei Früh. Ich ging zum Klo, dann brauchte ich während der Fahrt in Belgien nicht zu pissen." Das ist so tiefschürfend nicht und kaum etwas, wovon der Leser erfahren möchte. Ebenso wenig wie von seiner Prostatauntersuchung oder vom Okkultbluttest.
    In "Fischsuppe" fehlt zudem ein wenig das Element, das seine früheren Romane spannend gemacht hatte, der Pop-Bezug, der Intimkontakt zu Größen des Show- und Zeitungsgeschäfts. Hier kann man stattdessen so einiges über Leander Haußmann und andere Theatermenschen in Bochum erfahren, das ist aber mehr etwas für Freunde dieser Szene.
    Und dann endet "Fischsuppe" überaus abrupt, ganz als habe Welt keine Lust mehr gehabt, daran weiterzuschreiben. Angesichts der Lektüre des neuen Erzählwerks erhebt sich eine Frage, die man letztlich auch an die früheren Bücher Welts hätte richten können: Ist dieser Literatur mit ästhetischen Kriterien gerecht zu werden? Oder noch unkonturierter formuliert: Ist so etwas überhaupt "Kunst"?
    Tatsächlich sind derartige Problematisierungen müßig. Wolfgang Welt ist ein Pop-Phänomen. Darüber reflektiert man nicht, sondern entscheidet sich mit mehr oder weniger Leidenschaft dafür oder dagegen: Fan oder nicht Fan - nur das ist hier die Frage.
    Wolfgang Welt: "Fischsuppe"
    Peter Engstler Verlag, Ostheim/Rhön 2014. 82 Seiten, 14 Euro.