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Fischwanderung in Gefahr
WWF: Obsolete Barrieren in Flüssen zurückbauen

Die Bestände von Süßwasserfischen, die in Flüssen wandern, nehmen kontinuierlich ab. Dafür seien in Europa vor allem Dämme, Wehre und Begradigungen verantwortlich, sagte Philipp Wagnitz vom WWF im Dlf. Hinzu kämen Verschmutzung und Überfischung. Der Neubau von Wasserkraftwerken müsse zudem verhindert werden.

Philipp Wagnitz im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 28.07.2020
Zwei Bachforellen unter Wasser in einem Gewässer in Baden-Württemberg.
Für Süßwasserfische wie die Forelle sind die Bedingungen in vielen deutschen Flüssen schlecht. (picture alliance / A. Held)
In den vergangenen 50 Jahren sind die Bestände von Aal, Forelle und anderer Süßwasserfische, die wandern, extrem geschrumpft. Weltweit ist nur noch ein Viertel davon zu finden. Innerhalb Europas sieht es mit nur noch sieben Prozent noch schlechter aus. Ein aktueller Report, an dem die Umweltorganisation WWF mitgewirkt hat, belegt den Rückgang. Philipp Wagnitz vom WWF erklärt im Dlf, was die Flussfische am Wandern hindert.
Philipp Wagnitz: Das sind eigentlich alles Dinge, die Flüsse aus dem natürlichen Zustand herausziehen, und das sind eine Menge. Wir haben in Deutschland, aber auch in Europa Dämme, Wehre, Deiche, Kanäle, Begradigungen. Insgesamt haben wir 1,2 Millionen Barrieren allein in der EU in unsere Flüsse eingebaut. Wir haben Wasserkraftanlagen gebaut in großem Stil. Allein in Bayern haben wir 4000 Kleinwasser-Kraftanlagen, die aber nur 1,5 Prozent des Stroms von Bayern liefern.
Zu viel Nitrat im Grundwasser
Weiter geht es mit Verschmutzungen. Knapp 40 Prozent unserer Grundwasser sind mit Nitrat belastet. Deswegen haben wir auch die EU-Klage am Hals. Und dazu wird noch überfischt und der Klimawandel kommt verstärkend hinzu. All diese Dinge führen dazu, dass Fische nicht mehr wandern können.
Kuhlmann: Es sind seit 1970 in europäischen Flüssen 93 Prozent der Bestände wandernder Arten verschwunden. Was heißt das denn für das Ökosystem Fluss?
Wagnitz: Vom Ökosystem Fluss her gedacht ist das natürlich ein absolutes Desaster. Es geht den Flüssen nicht gut. Wir haben in Deutschland nur noch acht Prozent unserer Flüsse, Seen und Feuchtgebiete, die ökologisch intakt sind – acht Prozent. Wir haben in Europa wie in keinem anderen Kontinent der Welt unsere Fluss-Ökosysteme so stark verändert, so massiv verändert. Nicht mal in Nordamerika war das der Fall. Wir haben kaum noch frei fließende Flüsse, große frei fließende Flüsse schon gar nicht mehr. Das Ökosystem Fluss ist wirklich stark belastet.
Kuhlmann: Wie ist die Lage denn außerhalb von Europa? Die Zahlen, die der Report zugrunde legt, sind ja alles andere als berauschend, aber trotzdem besser als die für uns hier.
Wagnitz: Wir haben in Europa wirklich die stärkste Belastung der Flüsse. In anderen Kontinenten wie Nordamerika sind wir bei 28 Prozent der Zerstörung, aber das hat natürlich auch was damit zu tun, dass im Norden Kanadas noch viele wirklich große Flüsse fließen können und noch nicht so viel verbaut wurde wie jetzt flächendeckend in Europa. Aber gerade im globalen Süden fehlen uns einfach auch die Daten. Da können wir es nicht genau sagen. Aber wir können schon auf jeden Fall sagen, dass in den großen tropischen Flüssen wie zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo vor allem, dem Irrawaddy in Myanmar, dem Amazonas in Brasilien da noch große Ströme frei fließen können und das müssen wir erhalten. Deswegen gehen wir davon aus, dass die Zerstörung der Fluss-Ökosysteme im globalen Süden noch nicht so stark vorangeschritten ist wie in Europa, aber es wird auch wirklich wenig gemessen.
"Wir brauchen keine neuen Wasserkraftwerke"
Kuhlmann: Wird sich der Negativtrend, den wir vor allem hier sehen, fortsetzen, oder ist mit Blick auf die Welt, wo die Situation teilweise etwas besser ist, wie Sie gerade gesagt haben, auch Besserung für die wandernden Süßwasserfische in Sicht?
Wagnitz: Wir sehen das ja an vielen Dingen auf der Welt, dass jetzt die Fehler, die wir gemacht haben, nicht unbedingt wiederholt werden sollen in Entwicklungsländern oder in Schwellenländern. Zumal, wenn jetzt Wasserkraft als ein Weg gesehen wird, Energie zu produzieren in den Ländern, und dadurch die Flüsse, die großen Ströme auch aufgestaut werden, dass man zumindest richtig gute Wasserkraft dort hinbaut und nicht die alten Anlagen, wie wir sie damals hatten. Es werden stärker die Flüsse genutzt werden müssen, gerade in Afrika explodiert gerade der Kontinent, die werden bald vier Milliarden Menschen sein in Afrika und da ist Wasser eine ganz zentrale Ressource. Wir dürfen uns nichts vormachen.
Kuhlmann: Was müsste bei uns passieren, damit Aale, Forellen, Lachse und andere Wanderfische zurückkehren können?
Wagnitz: Zum einen müssen wir es hinkriegen, dass die Flüsse gerade in Europa, aber auch weltweit weiter frei fließen dürfen, und frei fließen heißt, dass wir obsolete Barrieren zurückbauen. Wir brauchen keine neuen Wasserkraftwerke. Die müssen verhindert werden. Wir haben mittlerweile Solar- und Windenergie, die von der Kilowattstunden-Ausbeute in der Energiegewinnung gleichwertig zu großer Wasserkraft sind. Alte Anlagen müssen modernisiert werden und so ist es Ziel der Europäischen Union in der neuen Biodiversitätsstrategie, die ja auch sagt, bis 2030 25.000 Kilometer frei fließende Flussläufe wiederherzustellen, dies auch möglichst zu erreichen. Wie gesagt, wir müssen die Datenlage auch in den Tropen verbessern, weil wir einfach noch zu wenig über den Bestand der Fische und der Ökosysteme in gerade den großen tropischen Strömen wissen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.