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"Fit und geistig frei"

Bewegung für Krebspatienten war noch vor etwa 20 Jahren undenkbar. Inzwischen zeigen Studien: Bewegung hilft den Krebspatienten beim Gesundwerden. Die deutsche Sporthochschule bietet in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Köln ein Bewegungsprogramm für Krebspatienten an, das "Onkologische Trainingstherapie" heißt.

Von Andrea Schültke |
    "Also ich stecke die Chipkarte in diesen Apparat, das ist ein Beinstrecker und den betätige ich jetzt. Und da ist eine Ampel, die rot und grün anzeigt und mit dem Start wartet man bis grün erscheint."

    Renate Meyer legt los. Zirkeltraining an insgesamt zwölf Geräten. Immer bei rot wechselt sie zum nächsten. An Stepper, Fahrrad oder Rudermaschine trainiert sie ihre Kraft und Ausdauer. Die 66jährige schlanke Frau wirkt fit und kerngesund. Schon vor ihrer Brustkrebs-Operation sei sie sportlich gewesen, erzählt die Rentnerin. Und auch nach Strahlen - und Chemotherapie wollte sie unbedingt in Bewegung bleiben.

    "Ich denke, dass auch diese Nebenwirkungen auch nicht so schwierig sind auch mit der Tabletteneinnahme, man nimmt das dann nicht so ernst und lockerer."

    Sport ist gut für Krebspatienten. Diese Erkenntnis ist noch gar nicht so alt, erklärt Freerk Baumann. An der Kölner Sporthochschule leitet er die Arbeitsgruppe Bewegung, Sport und Krebs. Noch vor 20 Jahren erzählt er, galt für Krebspatienten: Bloß nicht bewegen.

    "Man vermutete wirklich negative Einflüsse durch körperliche Aktivität dass die Erkrankung sich schneller ausbreitet oder der Genesungsprozess behindert wird oder dass die Chemotherapie nicht mehr diese Effektivität zeigt."

    Aber inzwischen seien die Vorurteile von damals komplett wiederlegt. Renate Meyer ist der beste Beweis. Sie war eine der ersten Patientinnen im Onkologischen Trainingszentrum an der Uniklinik.

    "Im August wurde das eröffnet und da hab ich mich gleich angemeldet und das war ne sehr schöne Erfahrung, weil ich sehr gut begleitet wurde."

    Einen Platz bekam sie schnell und unkompliziert. Auf den 110 Quadratmetern kann sie in Eigenregie trainieren. So musste sie nicht die Hürde überwinden und sich als "Neue" einer vielleicht schon länger bestehenden Krebs-Sportgruppe anschließen.

    Hier im Trainingszentrum an der Kölner Uniklinik dröhnt keine laute Musik wie in anderen Fitness-Studios. Manchmal ist das Surren der Geräte der einzige Sound. Je nachdem, wer gerade da ist. Manche Teilnehmer sind schon wieder im Alltag angelangt - kommen von zu Hause. Andere direkt aus ihrem Krankenzimmer in der Klinik. Denn auch schon kurz nach der Operation sollten die Patienten mit ganz leichter Bewegung beginnen.

    "Das ist eine ganz klare Entwicklung, die wir zur Zeit sehen, dass man also nicht erst die vielen Monate der medizinischen Therapie erst einmal abwartet um dann mit der Bewegungstherapie zu starten sondern zeitgleich um eben zu erhalten. Viele onkologische Patienten rutschen leider in so ne Bewegungsmangelsituation hinein wo man auch Mangelerkrankungen beobachtet wie z. Muskelschwund, Osteoporose, Einbußen der Leistungsfähigkeit, Müdigkeit, Erschöpfung."

    "Der innere Schweinehund ist heute eine Dogge", klingt es gerade von hinten durch das Studio. Die Patientin auf dem Stepper bestätigt selbstironisch das Gesagte.
    Mit dem Zirkeltraining arbeitet sie aktiv gegen das an, was Wissenschaftler als "Teufelskreis der Erschöpfung" bezeichnen. Je mehr die Krebs-Patienten sich ausruhen, desto schlapper werden sie und desto mehr Energie brauchen sie, diesen inneren Schweinehund zu überwinden.

    Dabei belegen Studien: Durch die Bewegung stärken die Patienten ihr Immunsystem, vermindern den körperlichen Abbau. Und auch die Seele gesundet: Das Selbstwertgefühl steigt, der Patient kann besser Schlafen und hat weniger Depressionen. All diese Punkte können die Nebenwirkungen der Krebsmedikamente verringern und dafür sorgen, dass die Patienten mit geringeren Dosierungen auskommen.

    Das alles haben Wissenschaftler durch Patientenbefragungen herausgefunden. Nach diesen Erkenntnissen gestalten sie jetzt die Bewegungspläne im Trainingszentrum. Jeder Patient bekommt nach der Eingangsuntersuchung seinen ganz individuellen Plan.

    "Wenn wir mal das grobe Ziel sehen der Verbesserung der Leistungsfähigkeit, da können wir sehen, dass wir im Schnitt eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit haben von grob betrachtet 30 bis 40 Prozent. Das können wir bei im Durchschnitt von allen Patienten sehen die mindestens zwölf Wochen bei uns trainiert haben."

    Renate Meyer hat im Trainingszentrum inzwischen 250 Mitstreiter. Sie alle haben eine Chipkarte. Die wird bei Ankunft auf der Trainingsfläche aktiviert. Und dann während des Zirkels in jedes Gerät gesteckt. Beim Abmelden landen die Trainingsdaten gleich in der Computerdatenbank. Aus diesem Datenmaterial können die Wissenschaftler dann wieder neue Studien machen. Vielleicht ja sogar Hinweise belegen, dass Sport die Sterblichkeitsrate der Krebspatienten verringern kann. Renate Meyer helfen ihre Trainingsdaten auch ganz direkt:

    "Also ich hab das schon mal gezeigt bekommen, dass sich das gesteigert hat. Da ist man natürlich motiviert und froh."

    Zwei mal macht sie den Zirkel mit den zwölf Geräten durch. Und das mindestens zweimal pro Woche.

    Nach etwa einer Stunde hat Renate Meyer ihr Pensum für heute hinter sich:

    "Geschafft, zwei Runden, man kommt an seine Grenzen. Aber man ist froh, dass man’s gemacht hat, fühlt sich fit und geistig frei."

    Weitere Informationen gibt es unter dem Stichwort "Onkologische Trainingstherapie" im Internet.