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Fitness-Apps
Geld gegen Gesundheitsdaten

Erste Krankenkassen bieten sie bereits an: Boni-Programme für Kunden, die mit Fitness-Apps jeden Klimmzug vermessen. Nicht nur bei Datenschützern sind die Anwendungen umstritten. Für klare Regeln setzen sich auch Gesundheitsexperten im Bundestag ein.

Von Stephanie Lob | 07.04.2016
    Fitness-App
    Jeder Klimmzug wird gespeichert: Ein Mann überwacht sein Training mit einer Fitness-App (picture alliance / dpa / Foto: Sebastian Kahnert)
    "Dein Einsatz zahlt sich aus", prangt in Großbuchstaben auf der Webseite einer gesetzlichen Krankenkasse. "Du trainierst. Du kämpfst. Du belohnst dich und deinen Körper. Und die AOK Nordost belohnt dich dafür: mit jeder Menge attraktiver Prämien."
    So bewirbt die Kasse für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ihre neue Fitness-App. Das Handy wird nach Darstellung der Versicherung zum "digitalen Bonusheft". Prämien wie ein Fitnessarmband oder Bargeld winken allen Kunden, die damit jeden Klimmzug oder Schritt im Park dokumentieren.
    Jeder Dritte misst Trainingserfolge
    Auch andere gesetzliche wie private Kassen prüfen, ob sie das Modell der AOK übernehmen. Sie folgen damit einem gesellschaftlichen Trend: Fast jeder dritte Bundesbürger nutzt nach einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom Fitness-Armbänder oder -Apps zur Selbstvermessung.
    Die Entwicklung ruft Datenschützer wie Gesundheitspolitiker auf den Plan. Experten von Bund und Ländern warnten am Donnerstag auf einer Konferenz in Schwerin vor "Risiken, insbesondere für das Persönlichkeitsrecht". Zahlreiche Gesundheits-Apps und andere Fitness-Tracker gäben die aufgezeichneten Daten an andere Personen oder Stellen weiter, ohne dass die Nutzer hiervon wüssten, heißt es in einer Erklärung der Datenschutz-Beauftragten.
    Auch die gezielte Nutzung solcher Daten durch Krankenkassen stößt bei den Bund-Länder-Experten auf Vorbehalte: Die Konferenzteilnehmer rufen die Politik auf zu prüfen, ob im Zusammenhang mit Fitness-Apps und anderen Geräten zur Selbstvermessung "die Möglichkeit beschränkt werden sollte, materielle Vorteile von der Einwilligung in die Verwendung von Gesundheitsdaten abhängig zu machen". Im Klartext: Ob das Tauschgeschäft Daten gegen Prämien gesetzlich geregelt werden muss.
    Ruf nach gesetzlichen Regeln
    Ja, sagte Maria Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen dem Deutschlandfunk. "Es muss gewährleistet sein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, welche gesundheitsbezogene Daten über sie erhoben werden und von wem", betont die gesundheitspolitische Sprecherin. Zudem dürfe die Verarbeitung der Informationen nur mit Zustimmung der Betroffenen erfolgen. Die Bundesregierung habe es bisher versäumt, den Bereich zu regeln. Ähnlich äußert sich der Linken-Abgeordnete Harald Weinberg: "Es darf keine Lockmittel für die Versicherten geben, ihre Daten der Kasse, ihrer Versicherung oder einem anderen Dienstleister weiterzugeben. Solche Angebote sind oft unseriös und immer gefährlich", warnt er.
    Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht "große Sicherheitsprobleme". Er sagt: "Niemand kann garantieren, dass Gesundheitsdaten oder Fitness-Werte nicht für andere Zwecke abgegriffen, missbraucht oder manipuliert werden." So könnten etwa die Krankenkassen diese Informationen nutzen, um gesunde Mitglieder anzuwerben und andere loszuwerden. "Wir wollen aber keinen Wettbewerb um den gesündesten Versicherten", so Lauterbach. Der Gesetzgeber müsse prüfen, "ob hier gesetzgeberische Maßnahmen notwendig sind und wenn ja, welche".
    Wettbewerb um den gesündesten Versicherten
    Möglichen Handlungsbedarf für die Politik sieht auch Benedikt Dederichs vom Sozialverband SoVD in Berlin. Er warnt davor, dass über Fitness-Programme und speziell Fitness-Apps das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung in Frage gestellt wird. "Am Ende könnten Menschen, die sich an solchen Programmen beteiligen, niedrigere Kassenbeiträge zahlen als solche, die es nicht können." Dederichs denkt dabei nicht nur an chronisch Kranke, sondern auch an Menschen, die sich die Mitgliedschaft im Fitnessclub oder ein Smartphone schlicht nicht leisten können.
    Der Wettbewerb um den gesündesten Versicherten, vor dem alle warnen, ist allerdings bereits Realität. Nach dem Präventionsgesetz, das der Bundestag im vergangenen Jahr mit der Mehrheit der Großen Koalition verabschiedet hat, sind die Krankenkassen angehalten, gesundheitsbewusstes Verhalten noch stärker zu belohnen als es bisher schon der Fall ist. Im Zweifelfall also auch per App.