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Flächenrecycling

In Deutschland werden pro Sekunde 15 Quadratmeter Boden verbraucht: aus Wiesen und Äckern, Weiden und Wäldern werden Straßen, Siedlungen und Fabriken. 15 Quadratmeter pro Sekunde das bedeutet 470 Quadratkilometer pro Jahr. Diese Zersiedelung ist eines der gravierendsten Umweltprobleme, denn der Drang zum Eigenheim am Stadtrand, zum Gewerbegebiet auf der grünen Weise produziert mehr Verkehr, es braucht neue Straßen, die Naturräume werden zersiedelt. Dabei gibt es oft genug auch in den Städten Brachflächen, die für Gewerbe und Wohnungen genutzt werden könnten. Um dieses "Flächenrecycling" voranzutreiben, hat sich an der Bergakademie Freiberg ein "Kompetenzzentrum Flächenrecycling" gegründet.

Von Hartmut Schade |
    Wer auf der grünen Wiese baut, den belohnt der Finanzminister. Wer alte Industriebrachen saniert, den bestraft der Umweltminister. Auf diese zugespitzte Formel lässt sich die Situation in Deutschland bringen. Die deutsche Gesetzgebung setzt die falschen Signale, urteilt der Immobilienfachmann Professor Dieter Jacob von der Bergakademie Freiberg:

    Es ist wirtschaftlicher auf der grünen Fläche zu bauen, als in alte Flächen zu investieren und diese alten Flächen wieder zu nutzen, weil man dort Kosten für Altlasten auf sich nehmen muss und auch diese Kosten z. B. steuerlich nicht absetzen kann. Die Nutzung von Grünflächen müsste verteuert werden und andererseits müsste die Wiedernutzung von Altflächen entsprechend gefördert werden.

    Die Wiederbelebung alter Industriebrachen ist sinnvoll: die Natur wird erhalten, Straßen müssen nicht neu gebaut werden, sie sind meist an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen. Die täglichen Pendlerströme zu den Arbeitsplätzen am Stadtrand lassen sich so vermeiden, was weniger Abgase, Lärm und Unfälle bedeutet. Ökologisch und volkswirtschaftlich spricht also vieles für Flächenrecycling. Trotzdem spielt es in Deutschland nur eine Nebenrolle. Professor Jacob zu den Gründen:

    Den Kommunen fehlt momentan das Geld für eine zusätzliche innerstädtische Erschließung, denn Anliegerbeiträge sind schon mal erhoben worden. In aller Regel müsste die Kommune die zusätzliche Erschließung selbst finanzieren; auch im Bereich der Verkehrserschließung und ÖPNV. Dann zum Zweiten fehlen momentan die steuerlichen Anreize, wenn man Altlasten saniert, werden die Kosten dem Grund und Boden zugeschlagen, sind nicht abschreibungsfähig. Und zum Dritten sind die Banken sehr zögerlich geworden, Kredite zu geben auf mit Altlasten belastete Flächen, weil sie dann ökonomisch ihre Hypotheken oder Grundschulden gar nicht mehr ziehen können.

    Letzteres liegt an dem neuen Bodenschutzgesetz und zeigt, welche fatalen Nebenwirkungen ein an sich sinnvolles Gesetz haben kann. Seit seiner Novellierung werden die Eigentümer für alle früheren Kontaminationen haftbar gemacht werden und müssen sie auf ihre Kosten beseitigen. Das trifft auch die Banken, wenn sie eine Hypothek auf das Grundstück besitzen. Die Hürden für die Wiederverwertung von Grundstücken sind damit gestiegen - wie sie abgebaut werden können, das will das Kompetenzzentrum Flächenrecycling an der TU Bergakademie Freiberg untersuchen. Das Kompetenzzentrum bündelt das ökologische, geologische, ingenieur-technische, juristische und ökonomische Know-how der Bergakademie. Man braucht einen solch umfassenden Ansatz, wenn man Altflächen wieder nutzen will, sagt Professor Herbert Klapperich:

    Man kann es summieren in diesem sozioökonomischen Ansatz. Das heißt, es ist eine wesentlich weitere Sicht. Es geht nicht um den Quadratmeter vorher, nachher. Im Sinne Marktwert, Verkaufserlös oder dann halt Investitionsgröße, sondern es geht um den Gestaltungsrahmen, es geht um Stadterneuerung, um Stadtgestaltung und damit sind wir beim Wort Stadtplanung.

    Der Blick der Freiberger geht dabei über den großen Teich. In den USA - gemeinhin als Land endlos wuchernder Vorstädte wahrgenommen - hat vor 10 Jahren ein Umdenken eingesetzt, gesteuert von der dortigen Umweltbehörde. Mittlerweile haben die Amerikaner ein umfangreiches Instrumentarium entwickelt, um ihre "Brownfields" - wie die Altflächen genannt werden - wiederzubeleben. Professor Jacob:

    Die Amerikaner haben ihre spezielle Investitionsförderung. Zum Zweiten sind solche Sanierungen steuerlich abzugsfähig, und zum Dritten können für solche Sanierungsgebiete auch ganz spezielle Anleihen – die sogenannten "Pollution Control Bonds" - gegeben werden, bei denen die Zinserträge steuerfrei bleiben. Also die Amerikaner setzen hier ganz bewusst Anreize, um die positiven volkswirtschaftlichen Effekte auch zum Tragen zu bringen.

    Flächenrecycling ist mehr als die Wiederbelebung innerstädtischer Brachen, die riesigen Tagebaulöcher in Mitteldeutschland, der Lausitz oder Nordrhein-Westfalen harren ebenso einer neuen Nutzung wie nicht mehr benötigte Güterbahnhöfe und Truppenübungsplätze. Ein Beispiel für die erfolgreiche Umnutzung liefert eine irische Billigfluglinie, die hauptsächlich von einstigen militärischen Flugfeldern abhebt.

    Doch die Einzelbeispiele dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland beim Flächenrecycling ein Entwicklungsland ist. Bis 2020 will die Bundesregierung den Flächenverbrauch von derzeit 129 auf 30 Hektar reduzieren. Einen Wert, den die Briten heute schon erreichen. Doch die Freiberger sind optimistisch, dass Deutschland schneller reduziert. Immerhin hat sich die rot-grüne Regierung Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen geschrieben und dazu gehört der sorgsame Umgang mit dem Boden.