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Flamenco-Spiel mit Tradition und Herkunft

Für die Choreografie "Dunas" - das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit mit dem belgisch-marokkanischen Star des zeitgenössischen Tanzes, Sidi Larbi Cherkaoui, hat Flamencotänzerin Maria Pagès ihre ästhetischen Grenzen noch einmal weiter verschoben.

Von Wiebke Hüster | 26.05.2011
    Es gibt wohl kaum einen Tanz, der strengeren Regeln gehorcht als der traditionelle andalusische Flamenco. Maria Pagès, siebenundvierzig Jahre alte Flamencotänzerin aus Sevilla, begann im Kindesalter mit dem Training in einer Ballettschule ihrer Heimatstadt.

    Mit achtzehn Jahren war sie berühmt: Antonio Gades engagierte sie als Tänzerin in seinem Ensemble und Carlos Saura entdeckte in ihr die Hauptdarstellerin seiner Flamenco-Spielfilme. Gleich das erste Tanzmelodram Sauras für das Kino, "Carmen", löste bis in den hohen Norden Europas eine Flamencobegeisterung ungeahnten Ausmaßes aus. Der Flamenco wurde als eine Art Freiheitstanz wilder temperamentvoller Frauen begriffen, als ein dunkler, getanzter Klageschrei nach Emanzipation.

    Pagès gründete 1990 ihre eigene Compagnie und schuf eine Anzahl von Werken mit dem Anspruch behutsamer Erneuerung. Für die Choreografie "Dunas", zu Deutsch "Dünen" - das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit mit dem belgisch-marokkanischen Star des zeitgenössischen Tanzes, Sidi Larbi Cherkaoui, hat Maria Pagès ihre ästhetischen Grenzen noch einmal weiter verschoben.

    Nie zuvor hatte die Tänzerin zugelassen, dass jemand anders für sie Schritte und Bewegungen erfindet. Und nie zuvor war es in einem ihrer Stücke zu Berührungen der Tänzer gekommen. Im Flamenco, dessen mitunter enorme erotische Spannungen einen nicht geringen Anteil der Faszination des Tanzes ausmachen, umkreisen die Partner einander mit einer Intensität, als könnten sie sich nie wieder aus der Umlaufbahn des anderen lösen, sie scheinen sich mit den Blicken, mit den Rhythmen ihres Stampfens, Klatschens und Kopfwerfens festzuhalten. Sie kommen sich sehr nahe, aber eines tun sie nie: sie fassen sich nie an.

    Gerade diese Tabubrüche sind es, die Cherkaoui in seinen Choreographien mit den Shaolin-Mönchen oder mit dem britisch-indischen Tänzer Akram Khan interessierten. Selber mit dem Katholizismus und dem Koran aufgewachsen und ein charismatischer autodidaktischer Tänzer, sucht Cherkaoui in seiner Arbeit nach dem was Menschen eint und was sie trennt, wie sie teilen können und was sie unterscheidet. In "Dunas" ist übernimmt er es, der biegsamere, offenere, werbendere Part des Duett zu sein. Als wollte er den Ungestüm, die Härte und Rauheit, das Stampfen und Armewerfen des Flamenco abmildern, so stellt er sich mit seinen fließenden, energiesprühenden, organischen Bewegungen neben Pagès, die in ihrem bodenlangen Kleid wie fest im Boden verwurzelt wirkt. Das lange Duett am Ende, wenn sie mehr und mehr einschwingt in die raumgreifenden synchronen Schritte von Cherkaouis Tanz, darf man als Einlösung eines Versprechens vom Anfang des Stücks begreifen. Da nämlich hatten beide Tänzer hinter sandfarbenen Schleiern stehend einander durch diese hindurch geküsst.