Tony Blair war ein Politikertyp, den es so eigentlich gar nicht geben dürfte. In weiten Teilen seiner Partei bleibt er bis heute verhasst, weil er in den Augen der Linken immer ein Premier der Banker und Unternehmensvorstände war – und dann hat er auch noch einen Krieg mit losgetreten, den die Mehrheit der Briten nach wie vor ablehnt. Üblicherweise werden solche Regierungschefs abgewählt - aber Tony Blair war und bleibt einer der erfolgreichsten Labour-Politiker aller Zeiten. Kein anderer Premierminister aus seiner Partei hat es geschafft, drei Parlamentswahlen hintereinander zu gewinnen. Seine wichtigsten Reformprojekte hat er trotz größter Widerstände durchs Parlament gebracht, oft gegen den Willen der eigenen Fraktion. Aus dieser Perspektive des erfolgreichen Sonderlings schreibt Blair auch seine Biografie – die Einsamkeit des Regierungschefs ist das Leitmotiv in seinen Erinnerungen. Einsam, schreibt Blair, wurde es vor allem in den Wochen vor dem Irak-Krieg:
Meine gesamte Umgebung stand unter einem fast unerträglichen Druck. Daheim in der Downing Street bewegte ich mich ein wenig wie ein Zombie durchs Haus. Ich war bei den Mahlzeiten geistesabwesend und nahm die Fragen der Kinder nicht wahr. Ich bemühte mich um ein normales Familienleben, wusste jedoch, dass die Situation sehr unnormal war, was nicht zuletzt an meinem Verhalten lag. Die Frage des Irak war wie ein unablässig pochender Schmerz, der nie nachließ.
Als Politiker war Tony Blair seit Beginn seiner Laufbahn in zwei Missionen unterwegs. Er wollte nicht nur sein Land, sondern auch seine Partei umkrempeln. Das Labour-Programm war bis in die 90er-Jahre ein Sammelbecken linker Politik-Ansätze aus 100 Jahren – auch die Verstaatlichung der britischen Industrie zählte noch zu den offiziellen Zielen der Partei – bis Blair kam und Labour in "New Labour" umtaufte und so zur modernen Mitte-Links-Partei machte. Blair hatte schon als junger Abgeordneter in den 80er-Jahren mit allem gebrochen, was nach Sozialdemokratie alter Schule roch. Sein Aufstieg begann als Innenpolitiker, als er zeigen konnte, dass Law and Order und die Sicherheit auf britischen Straßen auch für Labour ein Thema war. Bei den Wählern kam das gut an, in der Partei macht er sich mit dieser Ausrichtung aber viele Feinde. Es war ein Vorgeschmack auf seine Zeit in der Downing Street. Wenn Blair über das Taktieren und über Entscheidungsprozesse schreibt, dann liest sich dieses Buch bisweilen wie ein Managementratgeber. Da sind nicht nur Tipps für erfolgreiche Überzeugungsarbeit, Blair spricht seine Leser auch direkt an, etwa wenn er Revue passieren lässt, wie er eine Erhöhung der Studiengebühren durchgesetzt hat.
Das Fazit lautet: Wenn Du denkst, dass eine Veränderung richtig ist, zieh sie durch. Widerstand ist unvermeidlich, aber nur selten unüberwindlich. Unter den zahlreichen lautstarken Kritikern werden sich viele heimliche Befürworter befinden. Führung bedeutet, Entscheidungen herbeizuführen, die etwas ändern. Wenn Du das nicht schaffst, strebe keine Führungsposition an.
Was sich wie ein roter Faden durch die 700 Seiten zieht, das ist der Irak-Krieg. Tony Blair sieht sich hier nach wie vor in der Defensive und unter Rechtfertigungsdruck. Das schimmert auch in den Kapiteln immer wieder durch, in denen es gar nicht nur um den Irak-Krieg geht. Wenn er dann tatsächlich von den Beratungen mit George Bush im Jahr 2002 und 2003 erzählt und wie er die Invasion und den Krieg über die Jahre erlebt hat, dann sagt der Umfang dieser Beschreibungen fast mehr aus, als der Inhalt: Fast 200 der 700 Seiten widmen sich ausschließlich dem Thema Irak. Der Jurist Blair schreibt hier häufig im Stil eines Plädoyers der Verteidigung – er gesteht dem Leser zu, dass er eine andere Meinung haben könne, aber dass er, bitte, auch seine Sicht berücksichtigen möge: die des britischen Premierministers, der davon überzeugt war, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hortet und der nicht nur sein Land, sondern die gesamte Welt bedroht sah. Blair hat das Ganze vor Kurzem in einem Interview mit der BBC noch einmal verdeutlicht:
"Manche Leute fragen mich auch heute noch: 'Warum haben Sie damals diese Entscheidung getroffen, von der Sie wussten, dass sie so unpopulär ist' Meine Antwort lautet: Weil ich nach wie vor fest daran glaube, dass man bei bestimmten politischen Entscheidungen ganz einfach kein Risiko eingehen darf. Aus diesem Grund würde ich heute in der Frage des Iran exakt genauso handeln wie damals im Irak. Ich würde diesem Land unter gar keinen Umständen erlauben, Atomwaffen zu entwickeln."
"Mein Weg" ist eine echte Politikerbiografie – und Tony Blair hat beim Schreiben einen Fehler vermieden, den andere Politiker-Autoren häufig machen: Er erspart dem Leser lange einführende Erzählungen aus Kindheit und Elternhaus und kommt schnell auf das zu sprechen, was wirklich interessiert: seine Zeit als aktiver Politiker. So wird schon beim Lesen der ersten Seiten noch einmal klar, welche Aufbruchstimmung mit seinem Wahlsieg im Jahr 1997 verbunden war, als Tausende fahnenschwenkende Briten seinen Weg in die Downing Street säumten – es war ein Zeitpunkt, am Ende der Ära von John Major, als viele seiner Landsleute den Eindruck hatten, Großbritannien habe sich seit dem Zweiten Weltkrieg permanent auf Talfahrt befunden. Mit Blairs Antritt begannen 10 Jahre eines britischen Wirtschaftswunders - mit Vollbeschäftigung und mit einem Immobilienboom, der viele Hausbesitzer zu Millionären machte. Blair hätte mit Leichtigkeit dieses goldene Jahrzehnt in den Vordergrund seiner Biografie rücken können, vor allem als schönen Kontrast zur aktuellen Krisenregierung von David Cameron. Aber er erliegt dieser Versuchung nicht. Er erklärt immer wieder, dass er seine Kritiker nach wie vor gut verstehe und dass er wisse, wie sehr ihn manche in der Welt hassen. Er gibt sogar zahlreiche Fehler zu, auch wenn die Beteiligung am Irak-Krieg nicht dazugehört. – Schade ist, dass das Buch ganz offensichtlich unter Zeitdruck übersetzt wurde, die deutsche Fassung ist nur wenige Tage nach der britischen Originalausgabe erschienen – das merkt man ihr leider an. Zahlreiche kleine Fehler machen den Leser manchmal stutzig, etwa wenn die Regierungsberaterin Jo Moore als Mann beschrieben wird, oder wenn bei Erklärungen in Klammern nicht zu unterscheiden ist, zwischen Blairs eigenen Anmerkungen und denen der Übersetzer. Aber trotz solcher Ungenauigkeiten bleibt diese Biografie äußerst lesenswert. Vor allem weil Tony Blair nicht versucht, Schwächen zu umschiffen oder schönzureden. Der Ex-Premier liefert hier eine Art der persönlichen Geschichtsschreibung, an der sich andere Politiker am Ende ihrer Laufbahn ein Beispiel nehmen können.
Tobias Armbrüster war das über Tony Blairs Autobiografie "Mein Weg". Das Buch ist bei C. Bertelsmann erschienen, für 29 Euro 99 gibt es ganze 800 Seiten, ISBN: 978-3-570-10071-4.
Meine gesamte Umgebung stand unter einem fast unerträglichen Druck. Daheim in der Downing Street bewegte ich mich ein wenig wie ein Zombie durchs Haus. Ich war bei den Mahlzeiten geistesabwesend und nahm die Fragen der Kinder nicht wahr. Ich bemühte mich um ein normales Familienleben, wusste jedoch, dass die Situation sehr unnormal war, was nicht zuletzt an meinem Verhalten lag. Die Frage des Irak war wie ein unablässig pochender Schmerz, der nie nachließ.
Als Politiker war Tony Blair seit Beginn seiner Laufbahn in zwei Missionen unterwegs. Er wollte nicht nur sein Land, sondern auch seine Partei umkrempeln. Das Labour-Programm war bis in die 90er-Jahre ein Sammelbecken linker Politik-Ansätze aus 100 Jahren – auch die Verstaatlichung der britischen Industrie zählte noch zu den offiziellen Zielen der Partei – bis Blair kam und Labour in "New Labour" umtaufte und so zur modernen Mitte-Links-Partei machte. Blair hatte schon als junger Abgeordneter in den 80er-Jahren mit allem gebrochen, was nach Sozialdemokratie alter Schule roch. Sein Aufstieg begann als Innenpolitiker, als er zeigen konnte, dass Law and Order und die Sicherheit auf britischen Straßen auch für Labour ein Thema war. Bei den Wählern kam das gut an, in der Partei macht er sich mit dieser Ausrichtung aber viele Feinde. Es war ein Vorgeschmack auf seine Zeit in der Downing Street. Wenn Blair über das Taktieren und über Entscheidungsprozesse schreibt, dann liest sich dieses Buch bisweilen wie ein Managementratgeber. Da sind nicht nur Tipps für erfolgreiche Überzeugungsarbeit, Blair spricht seine Leser auch direkt an, etwa wenn er Revue passieren lässt, wie er eine Erhöhung der Studiengebühren durchgesetzt hat.
Das Fazit lautet: Wenn Du denkst, dass eine Veränderung richtig ist, zieh sie durch. Widerstand ist unvermeidlich, aber nur selten unüberwindlich. Unter den zahlreichen lautstarken Kritikern werden sich viele heimliche Befürworter befinden. Führung bedeutet, Entscheidungen herbeizuführen, die etwas ändern. Wenn Du das nicht schaffst, strebe keine Führungsposition an.
Was sich wie ein roter Faden durch die 700 Seiten zieht, das ist der Irak-Krieg. Tony Blair sieht sich hier nach wie vor in der Defensive und unter Rechtfertigungsdruck. Das schimmert auch in den Kapiteln immer wieder durch, in denen es gar nicht nur um den Irak-Krieg geht. Wenn er dann tatsächlich von den Beratungen mit George Bush im Jahr 2002 und 2003 erzählt und wie er die Invasion und den Krieg über die Jahre erlebt hat, dann sagt der Umfang dieser Beschreibungen fast mehr aus, als der Inhalt: Fast 200 der 700 Seiten widmen sich ausschließlich dem Thema Irak. Der Jurist Blair schreibt hier häufig im Stil eines Plädoyers der Verteidigung – er gesteht dem Leser zu, dass er eine andere Meinung haben könne, aber dass er, bitte, auch seine Sicht berücksichtigen möge: die des britischen Premierministers, der davon überzeugt war, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hortet und der nicht nur sein Land, sondern die gesamte Welt bedroht sah. Blair hat das Ganze vor Kurzem in einem Interview mit der BBC noch einmal verdeutlicht:
"Manche Leute fragen mich auch heute noch: 'Warum haben Sie damals diese Entscheidung getroffen, von der Sie wussten, dass sie so unpopulär ist' Meine Antwort lautet: Weil ich nach wie vor fest daran glaube, dass man bei bestimmten politischen Entscheidungen ganz einfach kein Risiko eingehen darf. Aus diesem Grund würde ich heute in der Frage des Iran exakt genauso handeln wie damals im Irak. Ich würde diesem Land unter gar keinen Umständen erlauben, Atomwaffen zu entwickeln."
"Mein Weg" ist eine echte Politikerbiografie – und Tony Blair hat beim Schreiben einen Fehler vermieden, den andere Politiker-Autoren häufig machen: Er erspart dem Leser lange einführende Erzählungen aus Kindheit und Elternhaus und kommt schnell auf das zu sprechen, was wirklich interessiert: seine Zeit als aktiver Politiker. So wird schon beim Lesen der ersten Seiten noch einmal klar, welche Aufbruchstimmung mit seinem Wahlsieg im Jahr 1997 verbunden war, als Tausende fahnenschwenkende Briten seinen Weg in die Downing Street säumten – es war ein Zeitpunkt, am Ende der Ära von John Major, als viele seiner Landsleute den Eindruck hatten, Großbritannien habe sich seit dem Zweiten Weltkrieg permanent auf Talfahrt befunden. Mit Blairs Antritt begannen 10 Jahre eines britischen Wirtschaftswunders - mit Vollbeschäftigung und mit einem Immobilienboom, der viele Hausbesitzer zu Millionären machte. Blair hätte mit Leichtigkeit dieses goldene Jahrzehnt in den Vordergrund seiner Biografie rücken können, vor allem als schönen Kontrast zur aktuellen Krisenregierung von David Cameron. Aber er erliegt dieser Versuchung nicht. Er erklärt immer wieder, dass er seine Kritiker nach wie vor gut verstehe und dass er wisse, wie sehr ihn manche in der Welt hassen. Er gibt sogar zahlreiche Fehler zu, auch wenn die Beteiligung am Irak-Krieg nicht dazugehört. – Schade ist, dass das Buch ganz offensichtlich unter Zeitdruck übersetzt wurde, die deutsche Fassung ist nur wenige Tage nach der britischen Originalausgabe erschienen – das merkt man ihr leider an. Zahlreiche kleine Fehler machen den Leser manchmal stutzig, etwa wenn die Regierungsberaterin Jo Moore als Mann beschrieben wird, oder wenn bei Erklärungen in Klammern nicht zu unterscheiden ist, zwischen Blairs eigenen Anmerkungen und denen der Übersetzer. Aber trotz solcher Ungenauigkeiten bleibt diese Biografie äußerst lesenswert. Vor allem weil Tony Blair nicht versucht, Schwächen zu umschiffen oder schönzureden. Der Ex-Premier liefert hier eine Art der persönlichen Geschichtsschreibung, an der sich andere Politiker am Ende ihrer Laufbahn ein Beispiel nehmen können.
Tobias Armbrüster war das über Tony Blairs Autobiografie "Mein Weg". Das Buch ist bei C. Bertelsmann erschienen, für 29 Euro 99 gibt es ganze 800 Seiten, ISBN: 978-3-570-10071-4.