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Flaute bei den Freibeutern

Ausgerechnet im Mutterland der europäischen Piratenpartei herrscht Krisenstimmung: Die schwedische "Piratpartiet" könnte den Einzug ins nationale Parlament verpassen. Und das trotz eines fulminanten Sieges bei der letzten Europawahl.

Von Alexander Budde | 08.09.2010
    Im Sommer vorigen Jahres bahnt sich vor dem Königlichen Schloss in Stockholm Revolutionäres an. Stolz flattern die Fahnen der Freibeuter im Wind. Vor jubelnden Sympathisanten beschwört Rickard Falkvinge die offene Gesellschaft und ihre Freiheiten. Der Vorsitzende von Piratpartiet, der Piratenpartei, warnt vor dem drohenden Überwachungsstaat, der ohne Bedenken seine Bürger belauscht:

    "Unsere Politiker halten es für geboten, die Bevölkerung zu bespitzeln, einfach nur weil es möglich ist. Weil irgendwelche Behörden sich einen Nutzen davon versprechen, werden wir allesamt wie potentielle Verdächtige behandelt."

    Die Generation Internet, so scheint es, macht sich auf ihre Pixelwelt auch hier auf Erden zu verteidigen. Doch der Euphorie des Aufbruchs ist längst Ernüchterung gewichen. Abgestoßen von den Niederungen des politischen Alltagsgeschäfts ist ein großer Teil der ohnehin nicht zahlenden Mitglieder bereits wieder abgesprungen.

    Da kam der Hilferuf von Julian Assange, dem Gründer der Enthüllungs-Plattform Wikileaks gerade recht. Im Bemühen, seine Informanten vor einer möglichen Beschlagnahme von Servern zu schützen, war Assange eigens nach Stockholm gereist. Dort ließ man sich nicht lange bitten. Künftig werde die Piratenpartei die Internet-Server von Wikileaks betreuen, verkündet Vizechefin Anna Troberg. Die Solidarität mit dem vom Pentagon bedrängten Australier Assange sei eine Selbstverständlichkeit:

    "Demokratie ist mehr als nur zur Wahl zu gehen. Wikileaks macht Dokumente öffentlich, die Machthaber gern unter Verschluss halten. Nun können wir uns selbst ein Bild machen. Wir haben es nicht länger mit einem Krieg mit tausenden namenloser Opfer zu tun."

    Doch harmonisch gestaltet sich die Zusammenarbeit nicht. Julian Assange ist nach Vorwürfen zweier Frauen wegen sexueller Belästigung in erster Linie um Diskretion in eigener Sache bemüht. Und auch in den Reihen der Piraten keimt Unmut auf.

    Geschätzte zwei Millionen Schweden surfen regelmäßig im Internet, um sich urheberrechtlich geschützte Filme, Musiktitel und Computerspiele herunterzuladen – kaum jemand bezahlt dafür. Die Piraten vermarkten sich als Vorkämpfer einer globalen Jugendkultur. Und doch findet die Partei im Wahlkampf kaum Gehör. Demoskopen rechnen ihr nach jüngsten Umfragen kaum Chancen aus, die nötige Vier-Prozent-Hürde zu überwinden. Die monothematische Gruppierung werde sich auch in ihrem schwedischen Mutterland nicht dauerhaft etablieren, prophezeit auch der Parteienforscher Tommy Möller. Ihr Triumph bei den Europawahlen werde sich nicht wiederholen:

    "Sehr wenige beteiligen sich an den Europawahlen. Viele, die es tun, wählen aus Protest. Das nützt dem Herausforderer. In unseren Reichstag einzuziehen, ist für kleine Parteien viel schwieriger. In Schweden diskutieren wir über Verteilungspolitik. Die Privatsphäre ist ein wichtiges Anliegen, aber keines, das die Debatte beherrscht."

    Die Lockerung des Urheberrechts gehört zu den Kernforderungen der Piraten, auch Patente will man abschaffen. Zu den Themen, die den schwedischen Wahlkampf beherrschen, wie die Steuer- und Finanzpolitik, die Schaffung neuer Jobs für junge Leute und die Versorgung der Senioren, bezieht die Partei keine Stellung.

    Mit der Ausweitung ihres inhaltlichen Spektrums ist man kaum vorangekommen. Gleichwohl hofft der Europaabgeordnete Christian Engström, dass seine Partei-Kollegen auch ins schwedische Parlament einziehen. Früher stritt er für die Liberalen, doch die zählt der gelernte Programmierer zum unwissenden Establishment.

    "Es gibt viele Aufgaben, da haben wir wenig beizusteuern. Aber von der Informationsgesellschaft verstehen wir etwas. Wir konzentrieren uns auf die Verteidigung der Grundrechte. Das ist ein wenig so wie bei den Grünen, die in den 80er Jahren erstmals vom Klima sprachen. Kaum einer hatte das Thema ernst genommen, aber heute treibt alle die Sorge um die Umwelt um. Ich halte das für eine Frage der Aufklärung. Vielleicht sind die etablierten Parteien irgendwann so weit, dass es uns nicht mehr braucht."