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Flaute im Gerichtssaal
Richteramt auf Abwegen

Die Zeiten, in denen das Richteramt den Ruf eines angenehmen und sicheren Jobs genoss, sind vorbei. Angehende Juristen zieht es mittlerweile eher in renommierte Großkanzleien. Die Folge sind viele unbesetzte Stellen und genervte Bürger, die lange auf ihre Verfahren warten müssen.

Von Stephanie Kowalewski | 03.04.2017
    Ein Richterhammer und ein Strafgesetzbuch liegen am 19.03.2013 im Landgericht Osnabrück (Niedersachsen) auf einem Tisch.
    Bei der Urteilsfindung sind Schöffen hauptamtlichen Richtern gleichgestellt. Dennoch kennt kaum einer dieses wichtige Ehrenamt. (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
    "Man ist in ständiger Überlast. Das hat dann teilweise schon so ein Akkordempfinden. Sie sehen ja hier den Stapel, der will auch noch bearbeitet sein."
    Denn es herrscht Richtermangel, sagt Thomas Hubert, Amtsrichter in Dinslaken und Geschäftsführer des Bundes der Richter und Staatsanwälte NRW.
    Schlechte Rahmenbedingungen
    "Insgesamt landesweit ca. 950 Stellen die fehlen. Bundesweit ca. 2000. Jetzt haben wir hier im Hause gerade die aktuellen Belastungszahlen gekriegt. Also wir lagen jetzt im letzten Jahr im Schnitt bei 130 Prozent. Arbeitstage von zehn Stunden und mehr, sind dann eher die Regel."
    Das schreckt den Nachwuchs ab, meint Professor Horst Schlehofer. Der Beruf des Richters ist nicht gerade beliebt. Er ist Studiendekan der Juristischen Fakultät der Uni Düsseldorf.
    "Früher war es anders. Da war es eher so, dass der Richterdienst dem Beruf des Anwalts vorgezogen wurde. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Also auffällig verändert. Ich glaube, dass liegt an den Rahmenbedingungen, die sich deutlich verschlechtert haben und die die Attraktivität des Richterberufs gemindert haben."
    "Man hat keinen direkten Vorgesetzten, der einem rechtlich reinpfuscht"
    Jura ist zwar immer noch eines der beliebtesten Studienfächer, aber viele Studierende brechen ab, kommen nicht bis zum Staatsexamen. Oder sie haben kein Interesse am Richteramt. Sonja Lichtenberg, Jil Koch und Frederic Orlowski studieren Jura an der Düsseldorfer Heinrich-Heine Universität. Die Drei geben die Stimmung der Studierenden ganz gut wieder. Hier ihre Plädoyers:
    Jil: "Wenn ich so eine Werbeagentur beraten könnte oder eben halt ein Unternehmen, das wäre schon ganz cool."
    Frederik: "Der Richterberuf ist die attraktivste Option. Man hat keinen direkten Vorgesetzten, der einem rechtlich reinpfuscht. Als Richter ist man überparteilich, man steht so über den Dingen und deswegen ist es schön, Richter zu sein."
    Sonja: "Für mich ist der Anwaltberuf irgendwie interessanter, weil ich finde es spannender eine Partei zu vertreten und versuchen, für diese Partei zu gewinnen."
    Jil: "Wenn ich an Richter denke, verbinde ich das mit sehr viel Verantwortung. Da muss man auch der Typ für sein, der so viel Verantwortung übernimmt."
    Frederik: "Man genießt ja auch eine lange Ausbildung. Zwei Jahre das Referendariat, ist ja auch die Vorbereitung zum Richterdienst. Insofern bin ich da guter Dinge, dieser Verantwortung gerecht zu werden, dass man objektiv ein gutes Urteil fällen kann."
    Sonja: "Wobei ich auch denke, dass im richterlichen Beruf die Aufstiegschancen doch deutlich geringer sind bzw. das alles auch viel länger dauert, als wenn man jetzt als jungen Studienabsolvent eben in so eine Kanzlei einsteigt."
    Frederick: "Aufsteigen kann man als Richter natürlich auch. Man kann den Vorsitz einer Strafkammer oder Zivilkammer übernehmen und auch sich ins Justizministerium sich versetzten lassen."
    Thomas Hubert ist seit 18 Jahren Richter mit Leidenschaft - trotz allem. Im schönen alten Amtsgericht Dinslaken leitet er das Jugendschöffengericht und kümmert sich auch um die gesetzlichen Betreuungsfälle.
    Die meiste Zeit widmet der 45-jährige Amtsrichter den grünen und roten Akten, die sich in einem Regal und auf dem Schreibtisch im eher nüchtern eingerichteten Büro türmen. Er tippt auf einen rund 40 cm hohen Stapel neben dem Computermonitor.
    "Unsere Arbeit ist bemessen"
    "Ist der Zutrag des heutigen Tages. Das ist so das Übliche, was man täglich vorgelegt kriegt. Heute ist ein eher rummeliger Tag, weil wir jetzt vier, es kommt gleich noch eine fünfte Akte hinzu, wo es um Unterbringung geht. Es ist gut zu tun."
    Er muss also heute noch entscheiden, ob diese fünf Menschen, um die es in den Akten geht, zwangsweise in eine Psychiatrische Klinik eingeliefert werden sollen. Das bedeutet Aktenstudium, Telefonate, Terminabsprachen und Besuche vor Ort.
    "Unsere Arbeit ist bemessen. Man hat statistisch erfasst, wie lang darf sowas dauern und ich meine, 103 Minuten sind vorgesehen für eine solche Entscheidung."
    Für eine Strafsache werden zum Beispiel 157 Minuten kalkuliert - von der Anklage bis zum Urteil. Das reicht bei Weitem nicht immer, sagt der Richter. Ein Stau, ein längeres Gespräch mit einem der Beteiligten – schon ist der Schnitt dahin und man hetzt den anderen Fällen hinterher. Aufgrund dieses Minutensystems ermitteln die Justizministerien den Personalbedarf.
    "Das Problem ist eher strukturell. Wir beklagen das seit Jahren, dass eben generell nicht ausreichend Richterstellen überhaupt vorhanden sind und nicht in ausreichender Zahl neue Stellen geschaffen werden."
    Neue Richterstellen, für die es ja auch zu wenig Nachwuchs gäbe.
    Aktuell gibt man sich in manchen Gerichtsbezirken auch mit der Note befriedigend im Staatsexamen zufrieden, um die freien Stellen überhaupt besetzten zu können. Eigentlich werden nur die Allerbesten Absolventen genommen. Aber die gehen eben lieber in die Wirtschaft, wo sie zwar auch viel arbeiten müssen, aber auch deutlich mehr verdienen.
    Mehr Gehalt in Großkanzleien
    "Man muss schon sehen, dass in Großkanzleien den Berufseinsteigern Gehälter geboten werden, die - wenn man das Netto vergleicht - dann dem entsprechen, was ein Amtsrichter, der mal Direktor wird, am Ende der Karriere hat."
    Dennoch fällt das Urteil von Richter Thomas Hubert in diesem Fall milde aus:
    "Unterm Strich ist es und bleibt es ein toller Beruf und ich kann nur dafür werben, es zu tun. So, ich muss jetzt in die Verhandlung gehen. Ich werde schon mal meine Robe rausholen. Auf zum Sitzungssaal."