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Fledermäuse im Nahrungsstress

Keine Spur von lauen Nächten - Biergartenwetter und Mückenschwärme sind rar in diesem Sommer. Auch den Insekten ist es meistens zu kalt und zu nass zum nächtlichen Ausschwärmen. Das geht schon seit Wochen so, und darunter leidet inzwischen eine Tierart, die wir tagsüber gar nicht wahrnehmen: Fledermäuse. Jetzt sind viele von ihnen kurz vor dem Verhungern, vor allem Jungtiere.

Von Ludger Fittkau |
    "Das ist also ein diesjähriges Jungtier, das in den ersten kalten Nächten wahrscheinlich das Quartier verlassen hat, eventuell ist die Mutter verloren gegangen, sie hat sich vielleicht ein anderes Quartier gesucht oder war durch die Krisensituation, die wir dieses Jahr haben, so geschwächt, dass sie das Jungtier nicht mehr versorgen konnte."

    Ruth Mässing-Blauert hebt mit der Hand vorsichtig eine daumengroße Zwergfledermaus aus einer einkaufskorbförmigen, durchsichtigen Plastixbox heraus. Aus einem zweiten, kleineren Behälter, dessen Inhalt ein wenig wie das Spielzeugoperationsbesteck eines Kinderchirurgen aussieht, nimmt sie eine winzige Spritze mit einer milchigen Flüssigkeit. Die Fledermaus saugt begierig an der Öffnung:

    "Das ist meine Notversorgung: Im Grunde genommen ist da schon angesetzte Welpenmilch drin, ein paar Pipetten, Minipipetten, Einmalpipetten, die ganz schmal unter zulaufen, damit man kleinste Tröpfchen rauskriegt, ein paar Q-Tipps, um das Maul zu reinigen, eine Pinzette."

    Ruth Messing-Blauert ist tatsächlich so etwas wie die "Notärztin" für Fledermäuse in Südhessen. Die Biologielehrerin und Schulleiterin kümmert sich seit Jahren mit einer Gruppe von Helfern um verletzte oder entkräftete Fledermäuse, die ihr von Hausbesitzern mit Fledermauskolonien unter dem Dach gebracht werden. Dieses Jahr musste sie schon über dreißig Tiere versorgen:

    "Wir hatten ein extrem schönes Frühjahr. Der April war unheimlich warm, die Tiere waren im Futter, ihre Jungtiere konnten auch ganz gut im Bauch gedeihen, die Geburtsphase war circa zehn Tage eher als sonst. Dann kamen die Kälteeinbrüche, verregnete Nächte. Die Nächte, in denen keine Insekten fliegen, bedeuten für die Alttiere, dass sie keine Nahrung haben, dass keine Energien aufgebaut werden. Fledermäuse haben die Möglichkeit, ihre Körpertemperatur herabzusetzen, das heißt sie regeln sie herunter auf Umgebungstemperatur, sie brauchen dadurch weniger Energie, und dadurch stellt sich auch die Milchproduktion ein. Die Jungtiere werden kalt, die Muttertiere haben keine Milch mehr und dadurch sind sie fast verloren.

    Ich habe jetzt hier eine andere Art rausgeholt und zwar ist das eine Mückenfledermaus. Diese Art ist noch nicht sehr lange für Deutschland nachgewiesen. Man hat, glaube ich, 1995 das erste größere Quartier, die erste Wochenstube am Kühkopf gefunden und entdeckt. "

    Der Kühkopf ist das größte Naturschutzgebiet Hessens - ein Altrhein-Auengebiet südwestlich von Darmstadt. Hier dürfen keine Pestizide ausgebracht werden. Vor allem aromatische Kohlenwasserstoffe aus Pflanzenschutzmitteln reicherten sich in der Vergangenheit in den Körpern der Fledermäuse an und verkürzten deren Lebenserwartung erheblich. Fledermäuse können bis zu 30 Jahre alt werden. Sybille Winkel, Biologin des Naturschutzbund Deutschland erläutert, wie wichtig wasser- und waldreiche Naturschutzgebiete für die kleinen Säugetiere sind:

    "Es gibt in Hessen 19 verschiedene Fledermausarten und die sind fast alle auf der roten Liste. Das liegt einfach daran, dass Fledermäuse in der Vergangenheit von verschiedenen Faktoren beeinträchtigt wurden. Da gab es zum Beispiel Gifte, die sich angereichert haben in der Nahrungskette. Aber vor allem gibt es bei Fledermäusen den Faktor Mangel an Nistplätzen, das heißt, sie haben wenig Gelegenheiten, an Gebäuden oder in alten, naturbelassenen Baumhöhlen ihre Jungen großzuziehen."

    Nicht nur in Hessen machen die ungewöhnlich feuchten Nächte des Sommers nun den ohnehin gefährdeten Fledermäusen zusätzlich zu schaffen. In anderen Bundesländern sieht es vielfach nicht besser aus, so Sybille Winkel vom NABU. Zum Beispiel für die größte heimische Fledermausart, das Große Mausohr:

    "Wir konnten in diesem Jahr beobachten, dass sich in manchen Kolonien der Mausohren die Embryonalentwicklung sehr stark in Abhängigkeit vom Wetter verzögert hat. Normalerweise kommen die ersten großen Mausohren so Anfang Juni zur Welt. Jetzt sind die in diesem Jahr aufgrund des sehr warmen Aprils besonders früh schon dran gewesen, nämlich um den 20. Mai. Dann hat sich die Geburt der Tiere aber sehr lange hingezogen und die letzten Tiere kamen erst im Laufe des Juli zur Welt, was auch wieder sehr spät ist und insgesamt ungewöhnlich lange. Und diese verzögerte, sehr langsame Entwicklung in den Kolonien ist darauf zurückzuführen, dass wir so viele Kälteeinbrüche und Regennächte hatten, wo die Tiere nicht aktiv sein konnten und nicht genug Futter gefunden haben."

    Diese bisher extrem fledermausfeindliche Sommerwitterung könnte dazu führen, dass der Bestand um bis zu 50 Prozent dezimiert wird, befürchtet auch Ruth Mässing-Blauert. Doch die Darmstädter "Fledermaus-Notärztin" hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Fledermauskrise dieses Sommers noch einen glimpflichen Ausgang nehmen könnte:

    "Wir hoffen also nun nach diesem schlechten Sommer, dass der Spätsommer sehr warm wird, sehr insektenreich, damit die Tiere beim Paarungsverhalten gestärkt sind. Denn Fledermäuse kriegen nur ein Jungtier im Jahr, können auch nicht wie bei den Vögeln nachsetzen, also noch eine zweite Brut haben. Das heißt, die Paarungszeit muss jetzt gut werden. Dann müssen sie guten Winterspeck ansetzen, das ist ein braunes Fett, das sie zwischen den Schulterblättern einlagern und von diesem Fett zehren sie dann während der ganzen Winterschlafenszeit."