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Fliegen kann nur das Rentier des Weihnachtsmanns

Wann Jesus von Nazareth tatsächlich geboren wurde – das ist bis heute ungeklärt. In den Evangelien finden sich mit den auf den Feldern wachenden Hirten eher Hinweise auf den Sommer als auf den Winter. Erst Jahrhunderte nach seinem Tod, genau: im Jahre 354 nach Christus, wurde der Termin für das christliche Weihnachtsfest festgelegt: auf den 25. Dezember. Ein wohl gewähltes Datum: war dies im damaligen Rom doch sowieso schon ein Festtag: zu Ehren von Sol invictus, dem Gott der unbesiegten Sonne, wurden Geschenke verteilt. Und in Nordeuropa feierten Kelten und Germanen in dieser Zeit die Wintersonnenwende und die Rückkehr des Lichts. Das skandinavische Julfest war ein zwölf Tage und zwölf heilige Nächte dauerndes heidnisches, alkoholgetränktes Fest, mit Traditionen, die sich bis heute erhalten haben: die Bedeutung der immergrünen Pflanzen etwa: Mistel, Efeu oder Tannenbaum geht auf diese vorchristliche Zeit zurück, ebenso die Bedeutung des Weihnachtsessens oder die Mystik der rauhen Nächte.

Eine Sendung von Marc-Christoph Wagner |
    Andere weihnachtliche Bräuche und Vorstellungen sind sehr viel jüngeren Ursprungs: der Weihnachtsmann etwa. Er löste das Christkind ab, das wiederum der protestantische Ersatz gewesen war für den katholischen Heiligen Nikolaus von Myra. Dass dieser inzwischen als Santa Claus mit einem Rentierschlitten durch die Winternächte fliegt – das ist eine nordamerikanische Erfindung, keine 100 Jahre alt. Doch in wenige Regionen der Welt passt dieses Bild so gut wie nach Finnisch Lappland. Bestimmt doch das Leben mit den Rentieren seit Urzeiten die Kultur der Sami, der Ureinwohner Nordskandinaviens.


    s ist eine alte Liebe. Sein erstes Rentier bekam Matti Konttanieni mit Zwei. Als kleiner Junge fuhr er mit dem Renntierschlitten in die Schule. Wie sein Vater, Onkel und Großvater hat der heute 55jährige sein Leben lang mit der Zucht von Renntieren gearbeitet.

    Normalerweise ist es ein ruhiges Tier. Aber Sie sollten sehen wie eine Rentiermutter ihr Kalb verteidigt. Euh, da kann es hoch her gehen.

    Von der Zucht alleine, sagt Matti, kann heute niemand leben. Nur die Hälfte seines Einkommens erwirtschafte er durch den Verkauf von Fleisch, Fellen und Geweihen. Die andere Hälfte komme von Touristen, die den Hof besuchen, um mit dem Rentierschlitten durch den Wald zu fahren. Fünf Jahre brauche es, bis ein Tier gelernt habe, das Gefährt zu ziehen. Heute morgen will Marti genau dies mit einem Jungtier üben.

    Sehen Sie, das Zugzeug des Rentieres ist stets rot, gelb, grün und blau. Das sind die Farben der Samen.

    Das Rentier ziert und schüttelt sich, doch angekettet an einer langen roten Leine kann es nicht entkommen. Matti stellt sich vor das Tier und guckt ihm in die Augen – es wird ruhig und fügt sich in sein Schicksal.

    Das Fell hat mehrere Schichten und die Haare stehen immer so, dass der Schnee oben auf bleibt und nicht bis auf die Haut kommt. Das Rentier hat 3000 Haare pro Quadratzentimeter. Außerdem ist zwischen den Haaren sehr viel Luft, und dadurch hält es sich warm. Am Ende des Frühjahrs verliert das Tier sein Haar und hat einige Wochen lang eine fast samtene Haut. Im Sommer fängt das Haar dann erneut an zu wachsen.

    Es geht auf in den Wald. Der dünne Holzschlitten ächzt und kracht auf dem zugefrorenen Boden. Matti steht auf den hinteren Kufen – eingepackt in seinem dunkelblauen Overall, seiner Fellmütze und seinen dicken roten Handschuhen. Lautlos, in leicht hüpfendem Schritt folgt das Tier dem Weg.

    Matti ist zufrieden, das Tier hat es fast geschafft. In einigen Wochen wird es Touristengruppen durch die Wälder Lapplands ziehen. Er selbst, sagt der Mittfünfziger lächelnd, nimmt heute lieber das Schneemobil, wenn er nach seinen Rentieren guckt – das sei einfacher und gehe schneller. 300 Tiere nennt Matti sein eigen. Der Preis für das Fleisch liege bei 6 Euro das Kilo – zu wenig um zu leben, zu viel um zu sterben:

    Seit wir in der EU sind, gibt es zum Beispiel neue Vorschriften für das Schlachten der Tiere. Das ist nicht nur teuer, sondern auch widersinnig, um es milde auszudrücken. Haben wir die Renntiere früher im Freien geschlachtet, transportieren wir sie heute kilometerweit zu irgendwelchen Schlachthöfen. In den LKWs verhaken sich die Geweihe, die Tiere werden gestresst und durch das Adrenalin im Körper wird das Fleisch ungenießbar.

    Trotz alledem wirkt Matti wie die Ruhe selbst, wie ein Mann, der schon alles erlebt und stets eine Lösung gefunden hat. In zwei Jahren soll Schluss sein, dann sollen seine beiden Söhne die Verantwortung übernehmen. Ein Leben ohne Rentiere aber, das kann er sich nicht vorstellen. Denn schließlich seien die etwas ganz besonders…
    Der Weihnachtsmann kommt ja aus dieser Gegend – und welches andere Tier sollte ihn und seinen Schlitten ziehen? Allerdings hatte ich noch nie das Glück, ein fliegendes Rentier zu besitzen. Hier muss der Weihnachtsmann etwas können, was ich noch nicht entdeckt habe.