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Fliegen wie ein Fisch im Wasser

Technik. - Bionik ist die Wissenschaft des Lernens von der Natur für die Technik. Ein prestigeträchtiges Projekt Mitte der neunziger Jahre war der Nachbau der Haifischhaut. Diese Kunsthaut sollte sich als Folien zur Reduzierung des Widerstands einsetzen lassen und bei Flugzeugen den Spritverbrauch drastisch senken. Doch so einfach gestaltete sich die Umsetzung schließlich doch nicht.

Von Michael Stang | 14.09.2004
    Schnellschwimmende Haie schießen förmlich durchs Wasser: möglich ist das zum einen durch ihre Körperform, vor allem aber ist es die spezielle Haut der Haie, die den Strömungswiderstand des Wassers erheblich mindert. Auf dieses Phänomen wurde Ende der 70er Jahre der Tübinger Wirbeltierpaläontologe Wolf-Ernst Reif aufmerksam. Er stellte fest, dass die Schuppen der Haifischhaut feinste Rillen besitzen, die die Strömung günstig beeinflussen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin griff diese Beobachtungen auf und baute das Prinzip der Haihaut nach. Die Forscher vom Institut für Turbulenzforschung vermaßen unter dem Mikroskop Tiefe und Weite der Rillen von Haifischschuppen. Deren Geometrie übertrug Wolfram Hage dann hundertfach vergrößert auf Plexiglasscheiben und testete den Strömungswiderstand.

    Der Strömungskanal, in dem die Untersuchung durchgeführt wurden, ist ein so genannter Ölkanal, der mit einem technischen Weißöl befüllt ist. Das ermöglicht, die feinen Strukturen um den Faktor 100 im Vergleich zu der Luft- oder Wasserströmung zu vergrößern und so mit relativ einfachen, konventionellen Werkzeugmaschinen Versuchsoberflächen zu bauen.

    Die Wissenschaftler stellten eine so genannte Riblet-Oberfläche her, die zehn Prozent weniger Strömungswiderstand zeigte als eine glatte Oberfläche. Für diese Forschungen gab es 1992 den ersten Bionik-Preis für experimentelle Untersuchungen zur Widerstandsverminderung strukturierter Oberflächen. 1998 erhielten die Turbulenzforscher sogar den Philip Morris Forschungspreis, der mit 200.000 Mark dotiert war. Die Industrie ließ nicht lange auf sich warten. Das Unternehmen 3M übertrug diese Form auf eine durchsichtige Folie, mit der Flugzeuge Sprit sparen sollten. 1996 wurde die erste Linienmaschine damit beklebt und langzeitgestestet: ein Airbus A340 der Fluggesellschaft Cathay Pacific. Aus technischen Gründen konnte allerdings nur ein Drittel des Flugzeugs beklebt werden. Aber immerhin: Durch den reduzierten Luftwiderstand sank der Kerosinverbrauch um etwa ein Prozent. Bei optimaler Ausrüstung des Flugzeugs mit Folie prognostizierten die Forscher Treibstoffeinsparung um drei Prozent, was eine erhebliche Kostenreduktion bedeuten würde. Trotzdem wurde das Projekt nach zweieinhalb Jahren eingestellt. David Voskuhl, Sprecher von Airbus in Toulouse:

    Wir testeten diese Folien an einem unserer Flugzeuge und sahen, dass der Strömungswiderstand wie erwartet vermindert wurde. Probleme hinsichtlich der Stabilität gab es eigentlich nicht, eher während des tagtäglichen Airline-Betriebs. Sobald es vielversprechende Entwicklungen gibt, vor allem was die Leistungsfähigkeit der Folien angeht, werden wir die Sache weiter verfolgen.

    Die Folien unterliegen in der Praxis extremen Bedingungen: Auf der Landebahn knallt die Sonne erbarmungslos auf die Tragflächen, die sich schnell aufheizen. Kurz nach dem Start schon sinkt die Temperatur bei einer Geschwindigkeit von über 800 Kilometer in der Stunde auf weit unter minus 40 Grad Celsius. Diesen extremen physikalischen Bedingungen muss die Folie standhalten können, was in der Praxis nicht immer reibungslos klappte. Die Haltbarkeit ist eine große Herausforderung. Ein weiteres Problem sind Inspektionen: Die Folie muss dabei jedes Mal entfernt werden, das kostet Zeit und Geld. Auch wenn vorerst keine Flugzeuge mehr mit der Ribletfolie fliegen werden - technisch ausgereift sei das Wissen um die Strukturen schon lange, versichert Wolfram Hage vom DLR in Berlin. Er hat seine Forschungen sogar noch intensiviert. Die Form der einzelnen Riblets wurde optimiert und der Einfluss einer Querströmung auf die Rillen untersucht.

    Also normalerweise würde man sagen, die Rillen müssen immer parallel zu den Stromlinien auf dem Flugzeug ausgerichtet sein, aber es gibt immer Bereiche auf dem Flugzeug, wo man in der Berechnung oder in der Sichtbarmachung des tatsächlichen Strömungsverlaufs dann Ungenauigkeiten bekommt, wo man eben keine parallele Aufklebung erzielen kann, sondern eine Abweichung von der parallelen Anströmung und da habe ich untersucht, wie stark sich diese Fehlanströmung auf die Widerstandsverminderung auswirkt.

    Ob und wann sich die neuen Erkenntnisse in großem Stil in die Praxis umsetzen lassen, ist weiterhin fraglich. Trotzdem hat die Suche nach Alternativen zu der aufklebbaren Haifolie längst begonnen. Eine davon könnten zum Beispiel Fertigungsmechanismen sein, bei denen die Haistruktur direkt in den feuchten Lack geprägt und dann nur noch mit UV-Licht ausgehärtet wird. Wenn das funktioniert, könnten Flugzeuge tatsächlich einmal so widerstandsarm durch die Luft gleiten, wie Fische durch das Wasser.