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Fliegende Streicher und ekstatische Gesten

Ein fliegendes Streichquartett, elektronische Musik, ein DJ als Moderator, dazu 150 Mitwirkende und neun Monate Probezeit - die Erstaufführung von Karlheinz Stockhausens "Mittwoch aus Licht" in Birmingham hatte einiges zu bieten, auch wenn nicht alles gelungen ist.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Am Anfang aber Oper: Mit seinem siebenteiligen Opernzyklus "Licht" hat der Kölner Komponist Karlheinz Stockhausen ein Klanguniversum geschaffen. Über fast drei Jahrzehnte hinweg ist das 30-stündige Monumentalwerk entstanden. Wenige Jahre vor seinem Tod 2007 hat Stockhausen es vollendet. Als kosmischen Musiktheaterzyklus und als ein alles Irdische transzendierendes Welttheater wurde das Werk bezeichnet, ein Werk, das um drei Hauptfiguren kreist: Michael, Eva und Luzifer. Der Abschlussteil, "Sonntag aus Licht", hatte im vergangenen Jahr an der Kölner Oper seine szenische Welturaufführung. An der Mailänder Scala waren bereits der Montag, der Donnerstag und der Samstag auf die Bühne gekommen, in Leipzig der Dienstag und Freitag.

    Um Stockhausens Klangkathedrale "Licht" szenisch zu vollenden, fehlte also noch der Mittwoch. Diesen Schlussstein hat gestern Abend die Oper von Birmingham gesetzt. "Mittwoch aus Licht" – als "Tag der Vereinigung, der Zusammenarbeit und des Verständnisses" hat ihn Stockhausen bezeichnet. Darin das berühmte Helikopter-Streichquartett. Gab es echte fliegende Helikopter, habe ich Jörg Florian Fuchs zuerst gefragt?

    Jörn Florian Fuchs: Die gab es, wobei die besondere Situation ist – und das ist gleich, um damit zu beginnen, ziemlich problematisch an diesem Abend -, dass wir in einem dunklen Saal sitzen, einer ehemaligen Chemiefabrik, wir haben vier Monitore an den Seiten und wir sehen dann jeweils ins Cockpit der einzelnen Helikopter und sehen dort die Musiker sitzen. Das könnte theoretisch natürlich auch ein Video sein, denn was fehlt ist wirklich der Bezug nach außen, die freie Sicht in den Himmel über Birmingham, wo nun anscheinend diese Helikopter tatsächlich sich bewegen. Das finde ich problematisch in der Anlage des Stücks, das wurde in Salzburg anders gelöst, da konnte man tatsächlich auch rausgehen und sich das ansehen, dieses Spektakel. Hier ist es nun so, dass, wie Stockhausen das auch ursprünglich wollte, ein Moderator das ganze kommentiert. In dem Fall ist es auch ein DJ, der das sehr, sehr launisch und ein bisschen platt macht und dann auch mal fragt, kennt ihr alle Stockhausen, findet ihr dieses Stück toll, und dann applaudieren alle.

    Schmitz: Aber man ist live dabei, während über der Oper die Helikopter schweben und die Musik gespielt wird?

    Fuchs: Ich gehe mal davon aus, dass das also kein Fake war, sondern dass die wirklich da geflogen sind. Den Aufwand sah man auch: die werden in einen kleinen Bus verladen und fahren dann etwas weiter zu einem Hangar heraus.

    Schmitz: Jörn Florian Fuchs, Sie kommen frisch aus Birmingham. Dort wurde die Uraufführung gestern gegeben. Der Reihe nach: Ein ganz kurzes Wort zum Inhalt des "Mittwochs aus Licht" und wie wurde diese Geschichte, wenn man von einer Geschichte überhaupt reden kann, auf die Bühne gebracht?

    Fuchs: Der Mittwoch ist ein Tag der Solidarität und des Zusammenkommens unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlicher politischer Richtungen. Es ist also eine Art Versöhnung, die geboten werden soll. Es gibt als vorherrschende Farbe – jeder Tag hat ja eine eigene Farbe – das Gelb. Es beginnt mit einem Mittwochsgruß, das ist elektronische Musik, und dann erleben wir ein Weltparlament, wo in Fantasiesprachen ganz bunt kostümierte Gestalten offenbar verhandeln über die Zukunft von Welt, von Kosmos, von allem möglichem. Es gibt dann die Orchesterfinalisten, eine Art Probespiel, eine Art Meisterprüfung für einzelne Instrumentalisten, die unglaublich Vertracktes Spielen.

    Man muss sich vorstellen, es sind wirklich Solisten, die ihre eigenen, sehr schwierigen Partien parallel und in unterschiedlichen Zeitebenen hier aufführen.
    Dann gibt es nach den Helikoptern ein sehr ausuferndes Werk "Michaelion". Da haben wir unter anderem den Kampf dieser mythischen Figur Michael, eine der drei Figuren, die im Lichtzyklus ja vorkommen. Und diese Figur, die kämpft mit einem Kamel als Luzifer, das nennt dann Stockhausen im Stile von Kölner Karneval das "Luzikamel".

    Neben diesen Scherzen, neben diesem ganzen auch Vergnüglichen durchaus gibt es eben auch wie in den anderen Lichtteilen diese große ernste pathetische metaphysische Ebene, und die ist nicht problematisiert worden durch den Regisseur Graham Vick, sondern was er macht ist: Er versucht, mit wenig Bühnenmitteln das eins zu eins nachzubuchstabieren, und hat auch seine umfangreichen Statisten angewiesen, sich wirklich in die Stockhausen-Welt mental hineinzubegeben. Wir haben viele ekstatische Gesten dort an diesem Abend.

    Schmitz: Welche Kunstaura vermittelt denn Graham Vick? Was vermittelt diese Inszenierung?

    Fuchs: Sie vermittelt eine "werkgetreue" Wiedergabe dieses Mittwochs erst mal. Das ist ja vielleicht auch für so eine Erstaufführung gar nicht so schlecht. Aber es wird an den Stellen problematisch, wo man in den Regieanweisungen sehr chaotische, sehr multidimensionale Ebenen hat. Da sind fliegende Planeten, alles mögliche, was da vorkommen soll. Das kann man natürlich nicht wirklich realisieren, außer vielleicht durch Videos. Und da setzt Vick dann Statisten ein, die mit einer Art von Christbaumkugel hin- und herlaufen.

    Das wird also auch ein bisschen lächerlich. Ich denke, dass einfach es nicht gelungen ist, einerseits, was man ja machen kann, den Stockhausen von diesem ganzen metaphysischen Pathos zu befreien – das wäre ja eine Möglichkeit. Auf der anderen Seite wird man ihm aber dann auch durch die diversen banalen Geschichten, die in der Inszenierung sind, auch wiederum nicht gerecht, wenn man ihn jetzt ganz getreu nehmen will.

    Schmitz: Noch ein Wort zur musikalischen Leistung, wirklich ein Wort.

    Fuchs: Kathinka Pasveer, langjährige Lebensgefährtin von Stockhausen, hat die Klangregie hier gehabt, 150 Mitwirkende insgesamt, die haben neun Monate geprobt. Es war musikalisch ganz, ganz exzellent, sowohl was die Elektronik betrifft als auch die diversen Instrumentalisten und Sänger.