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Fliegende Strom-Generatoren

Technik. - Deutschland gehört zu den Ländern, die den Ausbau der Windenergiebranche am intensivsten vorantreiben. Doch immer öfter wird Kritik an den lärmenden, unansehnlichen und kostspielig zu wartenden Windrädern laut. Ingenieure arbeiten aber bereits an einer hochfliegenden Alternative.

Von Volker Mrasek | 04.09.2006
    Die größten heutigen Windkraftanlagen überragen mit ihren Rotorblatt-Spitzen locker jede Kathedrale. Schon das ist kaum vorstellbar. Doch Forscher wie der russische Physiker Alexander Podgaets wollen noch viel höher hinaus ...

    "Stellen Sie sich einen Lenkdrachen oder Gleitschirm vor, der durch die Luft schwebt. Mehrere Kilometer über der Erdoberfläche, bei hohen Windgeschwindigkeiten. Er hängt an einer Schnur, und diese Schnur versetzt eine Winde am Boden in Drehung. Daran angeschlossen ist ein Generator, der wie ein Dynamo funktioniert und Strom erzeugt."

    Wind-Jo-Jo könnte man das Prinzip nennen. Angetrieben vom kräftigen Höhenwind, steigt der Gleitschirm zunächst auf, zieht die Schnur nach, an der er hängt, und wenn sie komplett abgerollt ist, dreht sich die Seilwinde in der anderen Richtung und holt den Drachen wieder runter. Beim Aufstieg werde Energie erzeugt, beim Abstieg nur ein kleiner Teil davon wieder verbraucht, sagt Podgaets. Denn einholen könne man den Gleitschirm im zusammengefalteten Zustand. Das verringere den Luftwiderstand…

    "Es dauert vielleicht 60 Sekunden, um den Drachen von - sagen wir - 4,5 auf 5 Kilometer Höhe aufsteigen zu lassen. Danach holen wir ihn innerhalb von 20 Sekunden wieder runter, und der Zyklus startet von neuem."

    Der russische Physiker arbeitet an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden. Dort hat man große Pläne mit den Lenkdrachen. Die Forscher wollen nicht nur einen in den Himmel hochschicken, sondern einen ganzen Schwarm. 50 Stück sollen es sein und jeder Drachen mit der Spannweite eines ganzes Fußballfeldes. Die Gleitschirme würden übereinander schweben, angeordnet wie die Stufen einer Leiter. Das Haltetau wäre sechseinhalb Kilometer lang und dick wie ein Laternenpfahl. Die Seilwinde am Erdboden hätte einen Durchmesser von über neun Metern. Herrschte einmal Windflaute, könnte man die Leine lockern und die Drachenleiter in höhere, turbulentere Schichten aufsteigen lassen. Nach dem Erstaufstieg soll keiner der Gleitschirme jemals wieder runterfallen. Eine solche Höhen-Windmaschine könnte es auf eine Leistung von 100 Megawatt bringen, glauben die Entwickler:

    "Wir haben die Drachen, das Seil, die Winde und den Dynamo. Mehr ist nicht nötig. Deswegen würde eine Kilowattstunde unseres Stroms nicht mehr als einen Cent kosten. Windkrafträder stoßen heute bereits an ihre Grenzen. Viel mehr als fünf Megawatt werden sie nicht leisten können. Deshalb sind jetzt andere Konzepte gefragt, um Windenergie noch stärker zu nutzen."

    Es gibt sogar Wissenschaftler, die fest davon überzeugt sind, dass man mit den Höhenwind-Maschinen mehr als nur einige Dutzend Windräder ersetzen kann:

    "Wir träumen von einer Maschine im Gigawatt-Bereich. Im Computer haben wir sie bereits simuliert. Danach könnte man fünf Gigawatt Leistung mit nur einer Windmaschine schaffen."

    Massimo Ippolito leitet ein Ingenieur-Büro in der Nähe von Turin. Das Konzept der Italiener ist noch kühner als das der Forscher in Delft. Nach ihren Vorstellungen könnte man die Höhendrachen mit den Speichen eines riesigen Karussells am Boden verbinden und es so antreiben. Die Gleitschirme bekämen Autopiloten wie im Flugzeug. Ippolito würde die Geräte so programmieren, dass die Drachen beim Aufstieg Kreise fliegen, um das Riesenrad in Rotation zu versetzen. Auch diese Bewegungsenergie ließe sich in Strom umwandeln - in große Mengen Strom, wie Ippolito sagt. Ein Karussell mit einem Durchmesser von tausend Metern könnte demnach 250 Megawatt schaffen:

    "Es ist das erste Mal, dass es eine Anlage auf Basis erneuerbarer Energien mit bestehenden Großkraftwerken aufnehmen kann."

    Beide Arbeitsgruppen haben bereits Höhenwind-Strom geerntet - allerdings nur in ganz kleinem Maßstab. Der nächste Schritt sollen größere Prototyp-Anlagen sein. In Delft träumt man von Drachenleitern, die Häuser mit Strom versorgen, in Turin von Riesenrädern, die sich vor der Küste drehen, wo sie weniger stören. Doch ob und wann die Höhenwind-Fänger kommen, ist nicht sicher. Noch sind die Forscher auf der Suche nach Geldgebern.