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Flöße in der Zellhülle

Biologie. - Jede Zelle als Grundeinheit des Lebens ist von einer Hülle umgeben, der Zellmembran. Das betagte Modell solcher Membranen als fließende Mosaike mit verschiedenen Bestandteilen muss überarbeitet werden, meinen Experten jetzt.

Von Uta Bilow |
    Manche Leute haben Assoziationen, auf die man sonst nicht kommen würde. Der Biologe Kai Simons zum Beispiel hatte einen solch ungewöhnlichen Gedanken, als er den Aufbau von lebenden Zellen untersuchte.

    "Mir gingen Bilder aus Finnland durch den Kopf, wo die Holzarbeiter Flöße aus Baumstämmen über das Wasser treiben lassen."

    Kai Simons stammt aus Finnland. Sein Fachgebiet ist die Zellmembran, ein hauchdünnes Häutchen, das jede lebende Zelle umhüllt. Es trennt das Innere der Zelle von der Umgebung ab und bietet ihr Schutz. Dabei ist die Membran selbst flüssig wie ein Ölfilm auf dem Wasser. Und tatsächlich besteht die Zellmembran aus Fettmolekülen, den Lipiden. In dieser Lipidschicht hat der Biologe seine Flöße entdeckt, die in der Wissenschaft heute allgemein als Rafts bezeichnet werden, also mit dem englischen Wort für Floß. Lange Zeit galt es als ausgemacht, dass die vielen verschiedenen Lipidsorten, die man in der Zellmembran findet, dort relativ gleichmäßig verteilt sind. Simons, der heute Direktor am Max-Planck-Institut für Zellbiologie und molekulare Genetik in Dresden ist, hat jedoch festgestellt, dass sich bestimmte Fettmoleküle grüppchenweise anordnen. Sie sind dann besonders dicht zusammengepackt, eben wie Baumstämme in Flößen.

    "Eine Zellmembran ist ein sehr dünner Mantel. Er besteht aus Lipiden, ist also fettartig, so etwa wie flüssige Butter. Und innerhalb dieses flüssigen Mantels gibt es die Rafts als dynamische Plattformen, die an vielen Aktivitäten der Zelle beteiligt sind."

    Eine aktive Zelle sendet und empfängt fortlaufend Signale. Die Zellmembran ist dabei quasi das Schaltpult der Zelle, denn sie steht zwischen dem Zellinneren und der Umgebung. Die Flöße aus Fettmolekülen sind offenbar wichtig für viele Prozesse, die an der Zellwand ablaufen. Beispielsweise im Verlauf einer Virus-Infektion. Ein Virus, das einen Organismus befällt, muss zunächst in eine Zelle eindringen. Es schreibt sein Erbgut in der Zelle fest und verlässt sie anschließend wieder, um sich weiter auszubreiten. Beim Austritt aus der infizierten Zelle überzieht sich das Virus mit einer Hülle, dessen Bestandteile es sozusagen von der Wirtszelle raubt. Es scheint, als würden die Viren dabei stets bestimmte Stellen der Zellmembran benutzen.

    "Nehmen wir das Grippe-Virus. Es verlässt seine Wirtszelle, indem es sich mit Rafts umhüllt. Diese Rafts übernimmt es von der Zellmembran. Genauso das Aids-Virus. Es dringt über Rafts in die Zellen ein und breitet sich anschließend im Körper aus, wobei es ebenfalls Rafts von der Wirtszelle mitnimmt und zu seiner Hülle macht."

    Die Ein- und Austrittspforten für Viren sind Rafts, sagt Kai Simons. Diese Erkenntnis bietet einen völlig neuen Ansatzpunkt, um Vireninfektionen auszubremsen.

    "Wie können wir HIV oder Grippeviren im Körper stoppen? Es gibt zwar verschiedene Therapien, aber keine ist perfekt. Man könnte aber doch die Virushülle sozusagen disraften, also die Raftbildung stören. Das Virus könnte sich dann nicht mehr ausbreiten und weitere Zellen infizieren."

    Vor drei Jahren haben Simons und seine Mitarbeiter damit begonnen, diese Idee in Produkte umzusetzen, indem sie die Firma Jado Labs gegründet haben. Dort testen sie nun verschiedene Substanzen, die den Viren sozusagen die Tür zuschlagen sollen. Bislang konnten die Forscher in Zelltests zeigen, dass es möglich ist, ganz spezifisch die Ein- und Ausgangspforten der Grippeviren zu zerstören. Derzeit überprüfen sie in Tierversuchen, wie sich die Substanzen im komplexen Organismus verhalten. Schließlich besteht ja die Gefahr, dass die lahmgelegten Lipid-Flöße auch lebenswichtige Funktionen für den Körper erfüllen. In dem Fall könnten die Medikamente auch Nebenwirkungen hervorrufen. Es gibt noch viele offene Fragen, die die Raft-Forscher beantworten müssen.