Dienstag, 14. Mai 2024

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Flossen zum Fühlen
Der außergewöhnliche Tastsinn der Schwarzmund-Grundel

Uns Menschen liefern unsere Fingerspitzen wichtige Informationen darüber, ob wir gerade ein glattes Stück Metall berühren oder zum Beispiel Sandpapier. Auch bestimmte Fische können mit ihren Flossen solche Materialeigenschaften sehr fein unterscheiden, wie Forschende aus den USA herausgefunden haben.

Von Magdalena Schmude | 29.12.2020
Schwarzmundgrundel in der Donau in Passau
Schwarzmund-Grundeln können Oberflächen ähnlich gut erfühlen wie Menschen (picture alliance / blickwinkel / A. Hartl)
Wenn Adam Hardy die Flossen von Fischen betrachtet, sieht er nicht nur die Fortbewegungsorgane, sondern auch die Sinnesorgane der Tiere. Denn schon seit seiner Zeit als Doktorand an der University of Chicago beschäftigt er sich damit, wie Fische mit den Flossen fühlen können.
"Wenn Sie oder ich ein Objekt wie zum Beispiel Sandpapier anfassen, nehmen wir nicht nur den Berührungsreiz an sich wahr, sondern bekommen auch einen Rauheits-Eindruck. Also eine Information darüber, wie sich die Oberfläche anfühlt. Ob sie uneben oder glatt ist. Wenn man an Fische denkt, könnte man meinen: Die haben vor allem mit dem Wasser um sie herum Kontakt. Aber viele Fische leben am Grund eines Gewässers. Sie berühren Pflanzen und andere Tiere. Zu verstehen, wie sich diese Oberflächen anfühlen, könnte also wichtig für Fische sein."
Die Untersuchungsobjekte für seine Versuche fand Adam Hardy ganz in der Nähe des Campus. Vom Labor an der University of Chicago konnte er mit dem Fahrrad zum Lake Michigan fahren, um dort Schwarzmund-Grundeln zu fangen. Diese Fische sind keine guten Schwimmer und leben deshalb nah am Boden. Für Adam Hardys Versuche eine geeignete Art, auch weil die bis zu zehn Zentimeter langen Tiere sich gut untersuchen lassen.

Reizverarbeitung ähnlich wie bei Primaten

"Wir haben die Fische in Aquarien auf verschiedenen Untergründen gefilmt. Entweder einem flachen Stück Schiefer oder einem Wellenförmigen Untergrund aus dem 3D-Drucker. So wollten wir herausfinden, mit welchem Teil der Flosse sie tatsächlich den Kontakt herstellen."
Die Aufnahmen zeigten, dass die Fische ihre Brustflossen auf den Untergrund legen und damit dessen Form nachbilden. Dazu benutzten sie vor allem eine bestimmte Region am äußeren Rand dieser Flossen. Ähnlich wie Menschen zum Fühlen nicht die Handfläche sondern die Fingerspitzen nutzen. Messungen der Signale, die dabei von den Nerven in der entsprechenden Region abgegeben wurden, zeigten Adam Hardy, dass die Fische die Berührungen spürten. Als nächstes wollte er herauszufinden, ob die Flossen empfindlich genug sind, um dabei zwischen verschiedenen Texturen des Untergrunds zu unterscheiden.
"Ich habe eine Rolle entworfen, die wir über die Flosse rollen konnten. Dann haben wir deren Oberfläche variiert und untersucht, ob die Nervensignale der jeweiligen Textur entsprachen. Die bestand aus Rippen und Furchen, die sich abwechseln. Je nach Abstand dazwischen fühlt sich die Oberfläche weicher oder rauer an. Bei drei Millimetern zum Beispiel weicher als bei sieben Millimetern. Und egal wie der Abstand war und schnell wir das Rad über die Flosse gerollt haben, die Nervensignale entsprachen immer dem Abstand der Rippen. Die Nerven reagieren exakt auf die jeweilige Textur, auf eine Art, die sehr ähnlich zu der ist, die wir bei Primaten sehen. Es war schon cool zu sehen, dass die Fische ähnliche Fähigkeiten haben wie Sie und ich."

Ausgeprägter Tastsinn als Überlebensvorteil

Betrachtet man die Lebensweise der Schwarzmund-Grundeln näher, ist das gar nicht so überraschend, findet Adam Hardy. Denn die Informationen über die Eigenschaften des Untergrunds, auf dem sie sich bewegen, können für die Fische überlebenswichtig sein.
"Viele Fische vergraben sich im Boden, um sich vor Fressfeinden zu verstecken. Zu wissen, was man gerade berührt, ist deshalb enorm wichtig. Denn in massiven Stein kann man sich nicht eingraben, in Sand aber zum Beispiel schon."
Doch die Ergebnisse zeigen noch mehr:
"Es sagt uns etwas über die Entstehung des Tastsinns. Fischflossen sind das Homolog zu unseren Gliedmaßen. Es muss also eine gemeinsame evolutionäre Vergangenheit des Tastsinns der Gliedmaßen von Fischen, Primaten und Landwirbeltieren geben."