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Fluch und Segen des schwarzen Goldes

Auf der Suche nach neuen Öl- und Gasfeldern stoßen die Fördercrews in immer tiefere Gewässer des Nordens vor: in die Norwegischen See und in die Barentssee, wo seismische Erkundungen auf gewaltige Lagerstätten hoffen lassen. Doch die verheerende Ölpest im Golf von Mexiko hat die stolze Petronation Norwegen tief verunsichert.

Von Alexander Budde | 14.07.2010
    Wenn Eli Aamot vom Vorstoß in die Tiefsee erzählt, fühlt man sich sogleich an die Höhenflüge der Raumfahrt erinnert. Die Norwegerin leitet die Forschungsabteilung des staatlichen Energiekonzerns Statoil, der im Vorjahr bei kräftig gesunkenen Preisen für Öl und Gas umgerechnet rund zwei Milliarden Euro nach Steuern verdiente.

    Mit leuchtenden Augen erzählt die Ingenieurin von immer neuen Pioniertaten in bald vier Jahrzehnten des Petrobooms.

    "Ursprünglich nutzten wir mächtige Bohrinseln wie etwa beim Ölfeld Ekofisk in der Nordsee. Dann zogen wir hinauf in die Norwegische See: Für das Gasfeld Kristin entwickelten wir Installationen, die gewaltigem Druck und hohen Temperaturen standhalten. Ein Riesensprung nach vorn war auch Snøvith in der Barentssee: Eine ferngesteuerte Förderanlage auf dem Meeresgrund, von der wir Gas und Kondensat durch eine lange Pipeline an Land pumpen."

    Inzwischen operiert das weltgrößte Offshore-Unternehmen in 40 Ländern und treibt immer gewagtere Erkundungen in der Tiefsee voran: im Golf von Mexiko wie vor den Küsten von Brasilien, Angola und Nigeria. Zugleich bringt das norwegische Unternehmen das Kunststück fertig, sich als Musterknabe einer verrufenen Branche zu profilieren. Statoil unterwerfe sich strengsten Vorschriften beim Bohren, lobt Aamot die eigenen Prinzipien, verbanne hochgiftige Chemikalien und leite den Klimaschädling Kohlendioxid für alle Ewigkeit in unterirdische Kavernen ein.

    "Hier in Norwegen haben wir die geringste CO2-Belastung bei der Produktion von Öl und Gas. Auf unserem Kontinentalsockel sind es neun Kilo CO2 pro Tonne, während in Nahost zwölf, in Russland 14 und in Afrika bis zu 40 Kilo anfallen."

    Als guter Patriot hegt Terje Riis-Johansen kaum Zweifel an der Ingenieurskunst seiner Landsleute. Die apokalyptischen Szenen im Golf von Mexiko, bekennt Norwegens Ölminister, gingen aber auch ihm zu Herzen.

    "Wir werden uns sehr genau anschauen, was schief gelaufen ist.
    Und wir werden keine Lizenzen in der Tiefsee vergeben, solange die Ursachen nicht restlos geklärt sind. Grundsätzlich gilt: Die Förderung ist mit Risiken verbunden."

    Diese Erkenntnis hielt den Zentrumspolitiker nicht davon ab, Ende Juni 94 Erkundungsblöcke in der Norwegischen See und in der Barentssee auszuschreiben.

    Im nächsten Jahr will die Regierung über neue Förderlizenzen entscheiden. Ausgenommen bleiben zunächst die küstennahen Gewässer um die Inselgruppen der Lofoten und Västerålen. Meeresforscher beschreiben sie als besonders empfindliche Kinderstube für Kabeljau, Hering und Stint. Seinen Widerstand gegen die von der Industrie gewünschte Öffnung der Schutzgebiete hatte Umweltminister Erik Solheim von der Linkspartei auch mit dem Untergang der "Deepwater Horizon" begründet.

    "Diese Havarie wurde nicht von einer dubiosen Firma in einem korrupten Entwicklungsland verursacht, sondern von einem weltbekannten Petrokonzern unter Einsatz von Hochtechnologie in der fortschrittlichsten Industrienation. Die Frage muss erlaubt sein, ob sich Vergleichbares auch bei uns ereignen könnte."

    In ihrem jüngsten Bericht warnt die zuständige Aufsichtsbehörde vor einem erschreckenden Mangel der Sicherheitskultur. Bohrlöcher würden immer tiefer in die Formationen getrieben, an vielen der rund 2000 Zapfstellen auf dem Sockel drohten zudem Gefahren durch Materialermüdung.

    Auch Norwegens Vision einer emissionsfreien Produktion sei reine Augenwischerei, sagt Frederic Hauge, Gründer der einflussreichen Umweltorganisation Bellona.

    Der Staatskonzern Statoil etwa leite Chemikalien und hoch belastetes Produktionswasser in ausgediente Bohrlöcher ein, an denen immer wieder Leckagen auftreten.

    "Auch Statoil hüllt sich bei Unfällen in Schweigen. Auch Statoil arbeitet mit hochkomplizierter Technik. Zugleich registrieren die Behörden überall in der Branche gravierende Regelverstöße. Ölarbeiter erzählen uns, dass die Sicherheit unter überlangen Schichten bei wachsenden Arbeitsaufgaben leidet. Immer mehr unterqualifizierte Subunternehmen kommen zum Einsatz.
    Wenn wir Norweger glauben, wir sind Weltmeister in allen Bereichen, wird uns das Unglück früher oder später einholen."