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"Flucht in die Flucht"
Die Sterne veröffentlichen neues Album

Vier Jahre hat sich die Hamburger Band "Die Sterne" Zeit gelassen für ihr neues Album "Flucht in die Flucht". In den Texten von Frank Spilker geht es einmal mehr um den Blick eines Außenseiters auf unsere Gesellschaft, und - die Bandmitglieder sind inzwischen über Mitte 40 - auch um die Schwierigkeiten, das Lebensmodell Künstler über die Jahre durchzuhalten.

Frank Spilker im Gespräch mit Dirk Schneider | 04.10.2014
    Frank Spilker: Bei uns in der Band entsteht ja der spezielle Sound auch durch unsere Fehler und Macken. Wenn eine Band alles spielen kann und alle Instrumente benutzt, dann geht der Charakter flöten. Und gerade so eine Beschränkung auf bestimmte Geräte und Instrumente macht einen Sound dann aus. Ich würde sagen, wenn das retro ist, was für mich ja so ein Begriff aus den 90ern ist, vorher habe ich das jedenfalls noch nie gehört, früher nannte man das Revival – in den 80er-Jahren gab es ein 60er-Jahre-Revival. Und in den 90ern hieß es dann retro oder vintage. Ich glaube, das ist ein ganz normaler Vorgang, sich auf bestimmte Punkte in der Geschichte zu beziehen. Insofern würde ich die Frage mit ja beantworten. Wir haben, inspiriert durch so moderne, junge Bands wie Tame Impala zum Beispiel uns auf diesen Psychedelic-Sound der 60er so ein bisschen gestürzt. Und haben da Monks gehört und alle möglichen Bands, die mal mit dem Material ihrer Zeit so klanglich experimentiert haben. Und das wichtiger genommen haben als die Songkomposition. Als Olaf das erste Mal reingekommen ist und unsere vorproduzieren Stücke gehört hat, hat er auch gesagt: Das klingt ja total nach Sixties. Und ich dann geantwortet habe: Ja, wenn man nichts macht und nur Songwriting und das dann so aufnimmt, dann klingt das immer nach Sixties.
    Dirk Schneider: Und das ist auch das Schöne an diesem Album, dass man das Gefühl hat, sie waren da sehr entspannt bei der Arbeit und haben nicht versucht, so einen ganz großen konzeptionellen Wurf zu landen, wie es bei Ihrem letzten Album "24/7" den Eindruck hatte, das ja sehr ambitioniert klang.
    Spilker: Da haben wir uns ja auch sehr bewusst mit einem Produzenten zusammen getan, der für einen Sound steht. Einfach um den auch zu synthetisieren mit unseren Stücken, die ja auch in so eine Richtung gingen. Und das war halt mit Matthias Modica so eine ganz starke Marke. Der gilt ja mit seinem Neo-Italopop als der neue Giorgio Moroder. Und das hat total Spaß gemacht, weil es einen auch aus so einem Kosmos, den man so kennt, rausholt in einen ganz anderen Kosmos. Und dann findet man so eine Schnittmenge. Und das hat, ich glaube das kann ich auch für Matthias sagen, das hat für beide Seiten total Spaß gemacht.
    Schneider: In Ihrem Song "Mein Sonnenschirm umspannt die Welt" singen sie, dass sie den Idioten nicht noch einmal erklären wollen, wer sie sind – sie sind, wer sie sind, und das sind sie gerne, heißt es da. Müssen sie sich immer noch so oft erklären, oder gar rechtfertigen? Weil Die Sterne ja immer noch als Band gelten, die auch gültige Statements zur Lage, der, tja, zum Leben in diesem Land, sagen wir es so, abgeben.
    Spilker: Das hoffe ich doch, dass wir noch so gesehen werden. Das wäre ja etwas langweilig, wenn es nicht so wäre. Ich würde diesen Song von mir aus nicht nur darauf beziehen, also auf Die Sterne. Man kann es natürlich so sehen. Weil ja immer der Grund, warum man sich für ein Thema interessiert, der ist, dass man auch persönlich damit zu tun hat. Na klar, es geht in der Popmusik oder in der Kunst allgemein um Kommunikation. Und das ist so ein Spielchen: Ich sage etwas. Und jemand anders reagiert darauf und sagt: Das finde ich jetzt totaler Quatsch, oder: Das ist genau das Statement zur Zeit. Und natürlich kriegt man auch oft auf die Fresse oder Gegenwind. Und ich glaube, die zentrale Aussage von dem Stück ist, dass man daran ja auch wachsen kann oder wachsen muss. Dass man sagen kann: Okay, Gegenwind ist etwas, das ich aushalte. Und das macht Persönlichkeit aus, dass man Gegenwind bekommt. Und überhaupt Positionen bezieht, an denen andere etwas aussetzen könnten. Und ich finde das als Hymne, als Song, als Haltung, sozusagen als Song, in dem es um Haltung geht, das habe ich mir immer toll vorgestellt.
    Schneider: Müssen sie sich denn als Band immer wieder eine Haltung erkämpfen, müssen sie darum kämpfen, dass man sie ernst nimmt. Oder fühlen sie sich längst als etablierte Stimme, die im Kulturbetrieb oder im Popfeuilleton, um es mal so zu nennen, ernst genommen wird?
    Spilker: Vor allem kann man uninteressant werden, natürlich, und vor allem die junge Generation nicht mehr abholen. Und ich glaube nicht, dass wir so erfolgsmäßig noch mal die neuen Kraftklub werden. Sondern die gibt es ja schon. Die Sterne sind Die Sterne, und ich hoffe, dass wir mit dem, was wir machen, immer belangvoll genug bleiben. Und man nicht irgendwann denkt: Die Positionen habe ich alle schon mal gehört und ich brauche das jetzt nicht mehr. Das ist, glaube ich, eher das Bemühen, das man mit dem zehnten Album hat. Also sich nicht zu wiederholen und sich gleichzeitig treu zu bleiben.
    Schneider: Man weiß ja auch oft gar nicht, welche Altersgruppe in den Songs auf ihrem neuen Album zu Wort kommt. Im ersten Stück heißt es: Wo kann ich hingehen, um ich zu sein? Ist es unmöglich, sich zu befreien? Wann hört das Warten auf? Das Warten hat für Sie doch längst aufgehört, oder? Sie sind doch mit Mitte, Ende 40 längst angekommen?
    Spilker: Ja, aber die Ungeduld nicht. Die Unzufriedenheit mit Verhältnissen, sage ich jetzt mal, nicht mit den Verhältnissen, um das nicht so zu politisieren, führt zu Unzufriedenheit. Und wenn die Verhältnisse sich nicht ändern, dann bleibt die Unzufriedenheit, unabhängig vom Alter. Ich muss aber zugeben, dass das beim Schreiben oder beim Hören dann des Geschriebenen für mich auch so der Song war, wo ich dachte: Nimmt man mir das überhaupt noch ab als Haltung? Ist das nicht eigentlich zu jugendlich? Zu jung? Aber dann habe ich gedacht, dass man so weit auch abstrahieren können muss, auch so ein lyrisches Ich annehmen darf. Es muss ja nicht der Mittvierziger sein, der das singt. Man kann sich auch vorstellen, dass es jemand Jüngeres ist. Ich möchte auch keine Platte nur für Mittvierziger machen.
    Schneider: Wie blicken sie zurück, mit Mitte 40, nach der Aufnahme des zehnten Albums – würden sie sagen, das ist alles super gelaufen mit der Band, so, wie sie es sich vorgestellt haben. Oder wo sind sie gelandet? An einem guten Ort, oder ist vieles auch den Umständen geschuldet und sie denken, es hätte auch ganz anders laufen können?
    Spilker: Ich hätte schon gerne noch ein Produkt, das man verkaufen kann, und die Situation der goldenen 90er-Jahre zurück. (lacht) Wobei das ja auch stressig war. Aber natürlich ist es ein ganz großes Problem, diesen Lebensentwurf noch zu leben. Rein finanziell. Weil man immer so schwimmt mit allem. Das erfordert ganz großen Mut, das noch zu machen, und ganz viel Engagement. Und, egal wie viel Liebe man zurückbekommt, das mit dem Geld ist immer das Problem, wenn man es nicht in die Stadien geschafft hat. Und da bin ich manchmal auch der alte Mann, der sich die alten Zeiten zurückwünscht. Aber ich bin nicht derjenige der glaubt, dass sie wiederkommen, sondern ich suche da eher für mich persönlich nach Möglichkeiten, das mit dem Schreiben oder journalistische Arbeiten. Um dann irgendwie mit der Situation klarzukommen und trotzdem weiter Platten zu machen. Was mir eben als Sache, und auch als soziales Ding, also die Arbeit mit Thomas und Christoph und so weiter, einfach immer noch sehr viel gibt. Das ist mir immer noch sehr wichtig, ich würde das ungern sein lassen, nur weil es sich nicht mehr rechnet.
    Schneider: Sie haben es nicht in die Stadien geschafft, sagen sie – ich hätte gedacht, dass sie auch nie in die Stadien wollten?
    Spilker: Ja, aber als wir nicht in die Stadien gewollt haben, da wussten wir noch nicht, dass man in die Stadien muss, um überhaupt seine Miete bezahlen zu können. Das war die andere Zeit eben. In den 90er-Jahren gab es diesen Nischenmarkt, der dir irgendwie die Miete bezahlt hat. Und das hast du halt nicht mehr.
    Schneider: Leben sie denn von der Musik?
    Spilker: Also es ist unterschiedlich. Thomas schafft es dadurch, dass er in sechs oder sieben Bands spielt. Wobei Die Sterne schon die wichtigste Einnahmequelle sind. Dann macht er Theater und so, also alleine reicht es nicht. Und Christoph macht, ja, ein Viertagejob war das früher, jetzt macht er ein bisschen mehr. Und ich schreibe halt. Also versuche, das so zu kombinieren, dass das reicht.
    Schneider: Sie haben für das neue Album auch mit ein paar jungen Hamburger Bands zusammen gearbeitet: Der Bürgermeister der Nacht, Zucker, Schnipo Schranke. Wie ist denn da das Verhältnis, sind sie da so eine Art Mentoren?
    Spilker: Ich finde das ist ja jetzt eine Generation, die vielleicht 20 Jahre nach uns gekommen ist, wenn man jetzt mal das Jahr '93 annimmt als Geburtsjahr der Hamburger Schule, oder Hochphase. Ich glaube, dass es zwischendurch eine Generation gab, die sich sehr stark davon abgegrenzt hat, oder eher elektronisch gearbeitet hat oder sonst wie auch mit dieser Hamburger Schule nichts zu tun haben wollte. Weil es einfach so ist, dass man sich mit der älteren Generation dann erstmal nicht so identifizieren kann. Und ich habe das Gefühl, jetzt ist da eine Generation von Bands um dieses Euphorie-Label herum, also Trümmer, Zucker, Messer und wie sie alle heißen. Die nerven vielleicht auch, die aber nicht so direkt dazu gehören. Denen man aber im Grunde diesen Bezug auf die Hamburger Schule oder auf den Sound von vor 20 Jahren wirklich deutlich anhört. Und die auch Bock drauf haben, bei solchen Projekten mitzumachen. Die Kontakte haben sich quasi automatisch ergeben. Ich war einmal im Pudel bei so einer Veranstaltung und kannte einen und danach alle, wie das so ist. Und das war toll.
    Schneider: Es geht auf ihrem Album auch viel um das Leben in der Stadt, in Stücken wie "Miese kleine Winterstadt" oder ganz besonders im Stück "Innenstadt Illusionen". Sie leben mitten in Hamburg, auf St. Pauli, dort sind die Mieten bei Neuvermietungen die höchsten in der Stadt – fühlen sie sich da noch am richtigen Platz?
    Spilker: Für mich hat das sehr viel mit Angst zu tun, die Einschläge kommen näher. Und man beobachtet so ein abstraktes Phänomen, wie Gentrifizierung, es betrifft erst mal nur die Nachbarn und Soziologen, die darüber nachdenken. Und dann merkt man: Die Preise steigen so, dass man sich ohne entschiedene berufliche Verbesserung die eigene Wohnung nicht mehr leisten kann. Und diesen Übergang wollte ich so psychisch illustrieren. Bis das dann auch so abreißt und dann das Ende vom Text, wo die Semantik so etwas unlogisch wird, habe ich im Grunde erst am Schluss geändert, wo mir klar geworden ist: Da wird es psychedelisch. Da geht es dann raus aus der Realität und direkt in den Kosmos der Paranoia hinein. Und das fand ich spannend daran. Es ist trotzdem nicht etwas, was mein Leben beherrscht. Aber was ich thematisiere, auf diversen Alben und in diversen Songs, glaube ich. Immer mit dem Hintergedanken, dass es nicht nur mich betrifft, sondern so wie ich leben ja ganz viele. Ich glaube, wenn man das so sagt, das habe ich mir nämlich auch an irgendeinem Punkt überlegt, als "Innenstadt Illusionen" dann soweit fertig war, komme ich immer zu dem Punkt, dass ich sage: Auf dem Land ist es ja auch nicht besser. Und da kam dann eben auch so ein Song wie "Mach mich vom Acker". Weil das ist natürlich ... Auf begrenzterem Raum sind solche Probleme ... Ja, man kann dem noch weniger aus dem Weg gehen. Da hat die Stadt viel mehr solche Biotope, in denen man leben kann und es aushalten kann. Und ich meine, wenn du in Hamburg lebst, du musst ja nicht unbedingt nach Eppendorf, du kannst ja auch in St. Pauli bleiben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.