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Flucht in die Schwarze Magie

Der pazifische Inselstaat Papua-Neuguinea wurde in den vergangenen zwei Jahrhunderten von der Steinzeit in die Moderne regelrecht katapultiert. Doch in der zum großen Teil entwurzelten Bevölkerung lebt der Glaube an Schwarze Magie und Hexerei weiter. Hunderte von Menschen, vor allem Frauen, fallen jährlich der Hexenverfolgung zum Opfer.

Von Peter Kreysler | 28.06.2013
    "In unserem Dorf ist der evangelische Prediger plötzlich verstorben. Vor ein paar Wochen ging es ihm noch gut und plötzlich wurde er unerklärlicherweise krank. Am Dorfrand lebte eine Frau, die sich mit Kräutern auskannte, sie behandelte den Mann. Vielleicht ist sie eine Hexe. Hat sie einen Fluch auf die Familie gelegt?"

    Die Hexerei ist in Papua-Neuguinea weit verbreitet. Immer wieder werden Menschen verdächtigt, am Unglück anderer Schuld zu sein. Uwe Hummel ist deutscher Ausbilder an einem christlichen Predigerseminar. Er lebt im Hochland von Papua-Neuguinea und kennt das Land seit über 20 Jahren:

    "Also Magie und Geisterglaube spielt hier ständig eine Rolle. Hier sagt man: Saguma Napossim. Gerade wenn jemand Junges stirbt, sofort wird gesagt: Das war Saguma. Das war Hexerei. Da hat ein Feind - ein Konkurrent - diese Person verhext, dass sie eines frühen Todes gestorben ist."

    Die angeblichen Hexen, die mit Schwarzer Magie oder dem bösen Blick den Tod oder eine Krankheit herbeizaubern sollen, werden auch für schlechte Ernten, Unfälle, Ehebruch und Diebstahl verantwortlich gemacht. Tritt irgendein Unglück dieser Art ein, setzen sich die Clans und Familien zusammen, um herauszufinden, wer für die Hexerei verantwortlich gewesen sein soll. Meistens trifft es dann alleinstehende Frauen oder Witwen.

    96 Prozent der Bewohner Papua-Neuguineas sind Christen, dennoch spielt der Geisterglaube auch in den christlichen Gemeinden eine Rolle.

    "Da kommt es auch zu Gewaltausbrüchen, Massenschlägereien und Racheakten, wenn die eine Seite behauptet, die andere Seite hätte Hexerei angewendet. Es kommt natürlich auch wieder zu Hetzjagden auf Sagumas, die Hexen. Man liest es auch in den Zeitungen. Frauen werden dabei getötet. Das ist eine ganz große Aufgabe der Kirche, dort Aufklärungsarbeit zu leisten und diese Menschen zu schützen."

    Melanesische Mythen - so Uwe Hummel - lebten meist in friedlicher Koexistenz mit dem christlichen Glauben. Die alten Geister einer jahrtausendalten Tradition seien bis heute ein fester Bestandteil im Leben dieser Menschen.

    "Es gibt auch eine andere Seite der Magie: die Liebesmagie, die Marila. Leute locken ihren Partner zu sich durch Liebesmagie. Das ist aus unserer westlichen Sicht nicht die schlimmste Magie. Es beherrscht das Denken sehr stark und gerade dieser Glaube, Saguma und Psin, ist sehr ernst zu nehmen."

    Experten sehen in der starken Zunahme der traditionellen Mythen auch ein Überdruckventil des Ohnmachtsgefühls gegenüber dem hereinbrechenden Wandel in die Moderne; der globale Rohstoffboom krempelt das ressourcenreiche Papua-Neuguinea in dramatischem Tempo um und da wenden sich die Menschen den überlieferten spirituellen Welten zu, so der Vertreter eines Dorfrates.

    "Vom Geld aus den Minenprojekten profitieren nur wenige. Dadurch entstehen Missgunst und Neid bei den anderen, der mit Alkohol und Drogen kompensiert wird. Die Dorfstrukturen zerfallen und die alten Regeln des Respekts sowie die Achtung vor uns Älteren gelten nun nicht mehr. Ohne diese melanesischen Werte kommt es schnell zu Unruhen. Menschen flüchten in merkwürdige Kulte und so können sie dann die Gewalt rechtfertigen."

    In Kundiawa, einem kleinen Dorf im Hochland von Papua-Neuguinea hat sich die Gemeinschaft heute friedlich zur Trauerfeierlichkeit des verstorben evangelischen Pastors eingefunden: Eine große Menschenmenge hat sich bereits am Straßenrand versammelt. Männer tragen über verwaschenen T-Shirts ihre traditionelle Kleidung, in ihren Haaren stecken Blätter und Blüten. Ihre Gesichter sind mit greller Farbe bemalt, andere tragen großflächige Masken. Während einige Männer die Köpfe zusammenstecken und den Todesfall diskutieren, haben sich die Frauen im Haus versammelt. Bereits von Weitem sind die Klagelaute der Trauernden aus der kleinen Hütte zu hören.

    Hier findet die traditionelle Haus-Kri statt. Das bedeutet: Drei Tage versammeln sich die Frauen um den aufgebahrten Leichnam und wehklagen und trauern. Eine Frau, die aus der kleinen Hütte kommt, sprich aus, was hier viele denken:

    "Der Prediger wurde verflucht, wieso ist er sonst gestorben? Wir wissen nicht, ob der Zauber noch wirkt. Erst wenn die Hexe gefunden ist, wird der Fluch aufhören. Sie lebte am Dorfrand und war eine Außenseiterin. Jetzt ist sie verschwunden."

    Die Außenseiterin ahnte wohl, dass man sie als verdächtige Hexe auswählen würde. Um Folterung und Tötung zu entgehen, ist sie geflohen. Meist flüchten die Verfolgten in die nächste Stadt oder in die Berge im Hochland.

    In der Stadt Tari betreibt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen eine Klinik. Viele der Patienten dort leiden unter den Verletzungen einer Hexenverfolgung. Auf großen Warnschildern am Eingang steht: "Macheten und Maschinengewehre sind in der Klinik verboten". Selbst die lokale Polizei fühlt sich nicht sicher. Wenn die aufgebrachte Menge eine angebliche Saguma verfolgt, schreckt sie vor nichts zurück. Jo, ein Mitarbeiter der Klinik, zeigt auf ein ausgebranntes Autowrack:

    "Sehen Sie das Polizeiauto da, das wurde von der aufgebrachten Menge angezündet."

    Die Polizisten schützen die als Hexen verfolgten Frauen nicht. Gegen den aufgebrachten Mob, der mit Macheten und Gewehren bewaffnet ist, wären sie auch machtlos. Außerdem haben auch sie Angst, verzaubert zu werden.

    Gegen den Brauch der Sanguma und gegen die Hexenverfolgungen wurde bereits 1971 das Zaubereigesetz erlassen. In den 80er-Jahren waren die Hexenverfolgungen dann auch zurückgegangen. Da aber die Zahl der Opfer dieser Verfolgungen in den letzten Jahren aber wieder deutlich angestiegen ist, hat die Regierung das Gesetz jetzt noch einmal verschärft. Für Mary, eine junge Predigerin, die im Seminar in Ogelbang ausgebildet wurde, ist dies nur dadurch zu erklären, dass viele Menschen im Zuge des Rohstoffabbaus aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen wurden. Sie fühlen sich entwurzelt. Daher klammern sie sich, so die Predigerin, jetzt wieder an alle möglich abergläubigen Dinge.

    "Eigentlich hatten wir in unserem Dorf nicht wirklich das Problem von Saguma oder Hexerei. Aber jetzt kommt es von den Dörfern aus den Bergen auch zu uns ins Tal. Die Menschen hier glauben jetzt, wenn jemand stirbt, dass er vergiftet wurde von den Sagumas oder, wenn etwas Ungerechtes passiert, sagen sie: Das waren die Hexen."

    Mary weiß, dass auch unter den Gläubigen ihrer Gemeinde viele Geschichten über die Hexerei kursieren.

    "Die Menschen glauben, dass selbst, wenn die Hexen gestorben sind, sie wieder zum Leben erwachen. Ja, genau wie Dracula, der nie stirbt und weiter lebt und sein Unwesen treibt. Also beschuldigen sie plötzlich die Frauen in unserem Dorf, dass sie Sangumas sind. Es ist wie eine ansteckende Krankheit."

    Ein Opfer solcher Verfolgungen ist auch Margerite:

    "Eine Frau in meinem Dorf lief herum und beschuldigte mich, sie verhext zu haben. Die Stimmung wurde so aufgeheizt, dass ich mein Dorf verlassen musste. Seit mein Mann vor einigen Jahren starb, ich bin Witwe, meine Kinder arbeiten beim Erdgasprojekt. In meinem Dorf war ich dem aufgebrachten Mob schutzlos ausgeliefert. Ich hatte Angst um mein Leben."

    Selbst auf den Friedhöfen fürchtet man die Sagumas. Hier werden Tag und Nacht die Gräber bewacht. James ist ein professioneller Grabwächter, der für seine Dienste bezahlt wird. Auch er hat Angst vor der Zauberkraft der Sagumas.

    "Die Hexen sehen meist aus wie wir - also wie normale Menschen. Sie können aber auch die Gestalt von Tieren annehmen. Sie können dann wie Hunde, Schweine oder Kühe aussehen. Man darf ihnen auf keinen Fall zu nahe kommen. Wenn sich also ein solches Lebewesen dem Grab nähert, dann schießen wir sofort."