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Flucht ins Ausland statt Zwangsbekehrung

Als Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Fontainebleau erließ, war es als Schlusspunkt einer immer wieder verschärften Protestantenverfolgung gedacht. Die Einheit des Glaubens sollte wiederhergestellt werden. Viele, unter anderem die Hugenotten, wehrten sich jedoch gegen die Massenbekehrungen.

Von Peter Hölzle | 18.10.2010
    "Wir geben kund, dass Wir aus Unserer königlichen Allgewalt durch dieses unwiderrufliche Edikt aufheben das Edikt des Königs, Unseres Großvaters, gegeben zu Nantes im Monat April 1598, und das Edikt, gegeben zu Nîmes im Juli 1629; erklären sie für nichtig und für nicht erlassen zusammen mit allen Zugeständnissen, die durch diese und andere Edikte und Erlasse den Leuten von der vorgeblich reformierten Religion jemals gegeben sind. Und infolgedessen wollen wir, dass alle Tempel derer von der vorgeblich reformierten Religion, die in Unserem Königreiche ge legen sind, unverzüglich zerstört werden."

    So beginnt ein Machtwort Ludwigs XIV., das am 18. Oktober 1685 erlassene Edikt von Fontainebleau. Es war gedacht als Schlusspunkt einer seit 1661 immer wieder verschärften Protestantenverfolgung, die nur ein Ziel kannte: die Reformierten, die in Frankreich auch Hugenotten heißen, mit Gewalt oder Geld zum Katholizismus zu bekehren.

    Deshalb die Zerstörung ihrer Gotteshäuser, deshalb das Verbot der Religionsausübung, deshalb die Ausweisung ihrer Geistlichen, die binnen vierzehn Tagen Frankreich verlassen mussten, während die protestantischen Laien im Land zu bleiben hatten und mit ansehen mussten, wie ihre Kinder zum Glaubenswechsel gezwungen wurden. Wer sich widersetzte, hatte schwere Strafen zu gewärtigen. Männern drohte die Galeere, Frauen Gefängnis und Vermögensbeschlagnahmung. Zusätzliche Schikanen wie Ämterverlust, Kindesentzug oder Dragoner-Einquartierung - die sogenannten Dragonaden - verschärften die Unterdrückungsmechanik und sprachen der im Edikt von Fontainebleau weiterhin zugestandenen Gewissensfreiheit Hohn. Grundlage der massiven Repression bildeten zwei "Fundamentalgesetze" des französischen Absolutismus:

    "Der König hat die von der Kirche benannten Ketzer zu vernichten. Er verteidigt in seiner Eigenschaft als 'allerchristlichster' König seine eigene wie die Katholizität seines Landes."

    In diesem Licht gesehen, war das Toleranzedikt von Nantes, mit dem Ludwigs Großvater Heinrich IV. den Hugenotten 1598 volle Gewissensfreiheit und beschränkte Kultfreiheit zugestand, ein Gesetzesbruch. Indem sein Enkel, der Sonnenkönig, das Edikt widerrief, machte er es rückgängig. Mehr noch: Er tat einen großen Schritt in Richtung Zentralstaat. Gemäß der Devise des absolutistischen Herrschers "Ein Gott, ein Glaube, ein König" suchte er die konfessionelle Einheit Frankreichs wiederherzustellen.

    Aber die Wiedervereinigung im Glauben gelang nicht vollständig. Trotz erzwungener Massenbekehrungen leistete ein harter Kern unbeugsamer Hugenotten Widerstand; zunächst in einem hauptsächlich in den Cevennen geführten Guerillakrieg, der sich bis zu Ludwigs Tod 1715 hinzog, und danach aus dem Untergrund. Der Aufstand in den Cevennen machte freilich nur einen kleinen Teil des Preises aus, den Frankreich für des Königs Protestantenverfolgung zu zahlen hatte. In seiner auf Zeitzeugen gestützten Geschichte des "Jahrhunderts Ludwigs XIV." von 1751 beschreibt Voltaire die Dimensionen des Verlustgeschäfts:

    "Binnen drei Jahren verließen an die fünfzigtausend Familien das Königreich, und später folgten ihnen weitere. Sie trugen Künste, Handwerke und Reichtum ins Ausland. Fast das ganze nördliche Deutschland, ein ländliches Gebiet ohne Manufakturen, bekam durch die Menge der Einwanderer ein neues Gesicht. Sie bevölkerten ganze Städte. Stoffe, Borten, Hüte, Strümpfe, die man zuvor aus Frankreich bezog, stellten sie nun im Ausland her. So büßte Frankreich an die fünfhunderttausend Einwohner ein, von denen seine Feinde profitierten."

    Auch wenn die Forschung die Zahl der wegen ihres Glaubens ins Ausland geflohenen Hugenotten inzwischen nur mehr auf etwa hundertfünfzigtausend schätzt, stellte selbst diese Zahl für die sie aufnehmenden Staaten einen großen Gewinn dar. Für Frankreich hingegen bedeutete der Aderlass einen schweren Verlust mit verheerender Langzeitwirkung. Dass unser Nachbarland bis weit ins 20. Jahrhundert hinein überwiegend Agrarstaat blieb, ist eine Folge auch der Vertreibung hugenottischen Gewerbefleißes und Unternehmergeistes.