Wer schreibt, der bleibt, sagt man. Einer, der geht, sieht daher oft ein Buch als letzte Chance, nicht vergessen zu werden. Gerade einmal fünf Wochen nach seinem Abgang als Ministerpräsident legt nun auch Roland Koch ein Buch vor, das er ganz unbescheiden für "ein konservatives Manifest" hält. Es heißt schlicht "Konservativ" und mahnt im Untertitel: "Ohne Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen". Eine Schrift für die Zukunft der CDU solle es sein, schreibt Koch, keineswegs sei es dafür geschrieben worden, seine eigene Politkarriere abermals in Gang zu bringen. Und tatsächlich zeigt sich der Aussteiger in seinem Rückblick überraschend versöhnlich. Auf keiner der 220 Seiten kritisiert Koch die Kanzlerin, die ihm ja den Weg nach ganz oben abschnitt. Er nimmt Angela Merkel sogar demonstrativ in Schutz, rechtfertigt ihre Politik als pragmatisch. Den gängigen Vorwurf, die CDU sei von der Kanzlerin "sozialdemokratisiert" worden, weist er als "konservative Selbstgeißelung" zurück. Ob Familie, Bildung, Wirtschaft, Umwelt oder Soziales – auf keinem Feld der christlich demokratischen Politik gäbe es für Konservative Grund zur Klage, findet Koch. Er durchkämmt die politische Agenda der jüngsten Zeit und schält die konservativen Kerne heraus. Er benennt punktuell, wo genau die CDU konservative Politik durchgesetzt habe. Sein Fazit lautet: Die konservativen Wurzeln könnten weiterhin neben den liberalen und sozialen der CDU wachsen und würden keineswegs von oben untergepflügt.
Konservative sind heute nicht heimatlos, aber planlos. Ihnen fehlt ein intellektueller Überbau zu Einstellungen und Forderungen. ( ... ) Das Fehlen des sichtbaren konservativen Kerns führt zu Frustration und gelegentlicher Radikalisierung derer, die sich diesem Denken verbunden fühlen und ist zugleich Einfallstor der vermeintlich liberalen und fortschrittlichen Vertreter, die das Konservative wegen dieser fehlenden Begründung als überlebt betrachten. Ein konservatives Konzept, das alles bewahren will, wäre Restauration.
Auch Konservative, schreibt Koch, müssten für Veränderungen offen sein, und was konservativ sei, müsse im Laufe der Zeit immer neu definiert werden. Diese Definition aber blieben die Konservativen in der CDU schuldig. Roland Koch findet harsche Worte für seine Gleichgesinnten, die er intellektuell offenbar für zu schwach hält: Keins ihrer Papiere oder Pamphlete habe die Antwort darauf geliefert, was "konservativ" gegenwärtig konkret bedeute. Doch auch Koch selbst tut sich damit schwer. Aus der Definitionsnot flieht er ins Detail, ins Beispiel. Konservativ sei etwa, gleichgeschlechtliche Pärchen nicht als Familie anzusehen und ihnen die Adoption von Kindern zu verwehren. Konservativ sei auch, wenn ein Lehrer an seiner Kleidung als Respektperson erkennbar sei, wenn dieser Lehrer seinen Schülern das Singen der deutschen Nationalhymne beibrächte und wenn sie, die Schüler, ihm zur Begrüßung im Stehen "Guten Morgen" wünschten. So zählt Koch seine eigenen Haltungen zu unterschiedlichen Themen auf – und die Summe dieser vielen Einzelansichten ergibt für ihn den "Konservatismus" von heute. Aus seiner Vorstellung vom korrekten Lehrer-Schüler-Verhältnis etwa folgert Koch:
Eine Gemeinschaft ohne Autorität zerfällt in der Regel. Die Würde des Menschen ist ganz konkret bei jedem Nächsten zu respektieren. Pünktlichkeit, Höflichkeit und im gebotenen Maß auch Gehorsam müssen in der Schule erlernt und von der Schule durchgesetzt, das heißt Regelverstöße geahndet werden.
Koch wagt also in seinem Buch Bekenntnisse, die viele in seiner Partei als reaktionär scheuen. An anderer Stelle wirkt er aber deutlich progressiver, hält etwa Türkischunterricht an den Schulen für sinnvoll. Er gibt sich als Reformer und bekennt sich gleichwohl deutlich wie nie zuvor, ein Konservativer zu sein. Und er wirft vielen seiner Parteifreunde vor, ihnen fehle der Mut, ebenfalls öffentlich zu ihrer konservativen Haltung zu stehen. Dieses fehlende Bekenntnis aber sei gefährlich, denn es wecke Kräfte rechts von der Union:
Die mangelnde programmatische Präsenz des Konservativen in der CDU macht ganze Gruppen unserer Bevölkerung praktisch mundtot, und sie müssen sich das in einer Demokratie nicht auf Dauer gefallen lassen. ( ... ) Die Zeit, die die Verantwortlichen meiner Partei haben, ihre Positionen mit Selbstbewusstsein und Stolz zu entwickeln und zu vertreten, ist nicht unbegrenzt.
Roland Koch grenzt das Konservative klar ab von der politisch äußerst Rechten, mit der er nichts gemein haben will. Die Thesen Thilo Sarrazins über ethnische Vorprägungen und biologistische Intelligenzverteilung lehnt er als radikalisierend und daher als gefährlich ab. Für Koch ist der Staat die Gemeinschaft aller Deutschen, egal welcher Herkunft. Hier ist Koch besonders überzeugend, weil er am Beispiel seiner eigenen Landespolitik nachweisen kann, dass Integration einfacher wird, wenn alle Erstklässler fließend Deutsch sprechen müssen. Man solle natürlich tolerant sein und andere Kulturen akzeptieren. Aber es müsse in Deutschland grundsätzliche Regeln geben, denen sich alle zu fügen haben. Koch nennt das "deutschen Konsens". Das ist im Grunde nur ein neuer Name für das, was einst Friedrich Merz als "deutsche Leitkultur" bezeichnete. Bei der Durchsetzung dieses "deutschen Konsens" jedoch müssten die Konservativen sich "eindeutiger und verständlicher, aber auch einfühlsamer und zukunftsgewandter präsentieren". Das genau will er mit seinem Buch leisten. Roland Koch schreibt, wie er spricht. Er ist kein Schwätzer. Trotz langer Gedankengänge ist seine Sprache klar und seine Argumentation klug strukturiert. Als Konservativer analysiert er präzise die Unfähigkeit der Konservativen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Doch zusammenfassend definiert auch er das Konservative nur sehr ungefähr, als eine, Zitat: "Sehnsucht nach Verbindlichkeiten". Und so verlässt Roland Koch die Politik und am Ende seines Buches auch die Leser, ohne das - im wahrsten Sinne des Wortes - "fundamentale" Problem der CDU gelöst zu haben.
Wulf Schmiese über Roland Koch: "Konservativ. Ohne Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen". Das 220 Seiten starke Buch kommt aus dem Herder Verlag und kostet 17 Euro und 95 Cent, ISBN: 978-3-45130-441-5.
Konservative sind heute nicht heimatlos, aber planlos. Ihnen fehlt ein intellektueller Überbau zu Einstellungen und Forderungen. ( ... ) Das Fehlen des sichtbaren konservativen Kerns führt zu Frustration und gelegentlicher Radikalisierung derer, die sich diesem Denken verbunden fühlen und ist zugleich Einfallstor der vermeintlich liberalen und fortschrittlichen Vertreter, die das Konservative wegen dieser fehlenden Begründung als überlebt betrachten. Ein konservatives Konzept, das alles bewahren will, wäre Restauration.
Auch Konservative, schreibt Koch, müssten für Veränderungen offen sein, und was konservativ sei, müsse im Laufe der Zeit immer neu definiert werden. Diese Definition aber blieben die Konservativen in der CDU schuldig. Roland Koch findet harsche Worte für seine Gleichgesinnten, die er intellektuell offenbar für zu schwach hält: Keins ihrer Papiere oder Pamphlete habe die Antwort darauf geliefert, was "konservativ" gegenwärtig konkret bedeute. Doch auch Koch selbst tut sich damit schwer. Aus der Definitionsnot flieht er ins Detail, ins Beispiel. Konservativ sei etwa, gleichgeschlechtliche Pärchen nicht als Familie anzusehen und ihnen die Adoption von Kindern zu verwehren. Konservativ sei auch, wenn ein Lehrer an seiner Kleidung als Respektperson erkennbar sei, wenn dieser Lehrer seinen Schülern das Singen der deutschen Nationalhymne beibrächte und wenn sie, die Schüler, ihm zur Begrüßung im Stehen "Guten Morgen" wünschten. So zählt Koch seine eigenen Haltungen zu unterschiedlichen Themen auf – und die Summe dieser vielen Einzelansichten ergibt für ihn den "Konservatismus" von heute. Aus seiner Vorstellung vom korrekten Lehrer-Schüler-Verhältnis etwa folgert Koch:
Eine Gemeinschaft ohne Autorität zerfällt in der Regel. Die Würde des Menschen ist ganz konkret bei jedem Nächsten zu respektieren. Pünktlichkeit, Höflichkeit und im gebotenen Maß auch Gehorsam müssen in der Schule erlernt und von der Schule durchgesetzt, das heißt Regelverstöße geahndet werden.
Koch wagt also in seinem Buch Bekenntnisse, die viele in seiner Partei als reaktionär scheuen. An anderer Stelle wirkt er aber deutlich progressiver, hält etwa Türkischunterricht an den Schulen für sinnvoll. Er gibt sich als Reformer und bekennt sich gleichwohl deutlich wie nie zuvor, ein Konservativer zu sein. Und er wirft vielen seiner Parteifreunde vor, ihnen fehle der Mut, ebenfalls öffentlich zu ihrer konservativen Haltung zu stehen. Dieses fehlende Bekenntnis aber sei gefährlich, denn es wecke Kräfte rechts von der Union:
Die mangelnde programmatische Präsenz des Konservativen in der CDU macht ganze Gruppen unserer Bevölkerung praktisch mundtot, und sie müssen sich das in einer Demokratie nicht auf Dauer gefallen lassen. ( ... ) Die Zeit, die die Verantwortlichen meiner Partei haben, ihre Positionen mit Selbstbewusstsein und Stolz zu entwickeln und zu vertreten, ist nicht unbegrenzt.
Roland Koch grenzt das Konservative klar ab von der politisch äußerst Rechten, mit der er nichts gemein haben will. Die Thesen Thilo Sarrazins über ethnische Vorprägungen und biologistische Intelligenzverteilung lehnt er als radikalisierend und daher als gefährlich ab. Für Koch ist der Staat die Gemeinschaft aller Deutschen, egal welcher Herkunft. Hier ist Koch besonders überzeugend, weil er am Beispiel seiner eigenen Landespolitik nachweisen kann, dass Integration einfacher wird, wenn alle Erstklässler fließend Deutsch sprechen müssen. Man solle natürlich tolerant sein und andere Kulturen akzeptieren. Aber es müsse in Deutschland grundsätzliche Regeln geben, denen sich alle zu fügen haben. Koch nennt das "deutschen Konsens". Das ist im Grunde nur ein neuer Name für das, was einst Friedrich Merz als "deutsche Leitkultur" bezeichnete. Bei der Durchsetzung dieses "deutschen Konsens" jedoch müssten die Konservativen sich "eindeutiger und verständlicher, aber auch einfühlsamer und zukunftsgewandter präsentieren". Das genau will er mit seinem Buch leisten. Roland Koch schreibt, wie er spricht. Er ist kein Schwätzer. Trotz langer Gedankengänge ist seine Sprache klar und seine Argumentation klug strukturiert. Als Konservativer analysiert er präzise die Unfähigkeit der Konservativen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Doch zusammenfassend definiert auch er das Konservative nur sehr ungefähr, als eine, Zitat: "Sehnsucht nach Verbindlichkeiten". Und so verlässt Roland Koch die Politik und am Ende seines Buches auch die Leser, ohne das - im wahrsten Sinne des Wortes - "fundamentale" Problem der CDU gelöst zu haben.
Wulf Schmiese über Roland Koch: "Konservativ. Ohne Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen". Das 220 Seiten starke Buch kommt aus dem Herder Verlag und kostet 17 Euro und 95 Cent, ISBN: 978-3-45130-441-5.