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Flucht nach vorn

Wie derzeit viele Hochschulen will sich auch die Universität Karlsruhe ein schärferes Profil geben. Und wie an so vielen Hochschulen sind es vor allem die kleinen Fächer, denen solche Umstrukturierungen gefährlich werden. An der Uni Karlsruhe, einer Technischen Hochschule, wäre fast das Fach Musikwissenschaften unter die Räder zu kommen - wenn nicht die Karlsruher Hochschule für Musik zu Hilfe geeilt wäre.

Von Frank Barknecht | 15.06.2005
    Die schlechte Nachricht: Das Institut für Musikwissenschaft an der Universität Karlsruhe hat geschlossen. Die gute Nachricht: An der Hochschule für Musik hat das Institut wieder aufgemacht. Der nicht ganz freiwillige Umzug wurde für eine umfassende Modernisierung des bisherigen Studiengangs Musikwissenschaft genutzt: Neben der Umstellung auf die internationalen Abschlüsse Bachelor und Master bekam das Fach einen neuen Schwerpunkt: die Musikinformatik. Professor Thomas A. Troge, einer der Väter des neuen Konzepts, erklärt, was sich dahinter verbirgt:

    " Das Spektrum der Musikinformatik ist eigentlich sehr groß und es umfasst eigentlich, man kann sagen, fast alle Bereiche des musikalischen Alltags, in dem wir heute leben. Denn die sind alle geprägt zu 98 oder 99 Prozent von den digitalen Technologien. "

    Überall in der Musikwelt hat der Computer schon Einzug gehalten: Die CD hat vor Jahren die Schallplatte abgelöst und droht jetzt selbst zum Opfer von MP3, iPod und Co. zu werden. Im Tonstudio wird längst elektronisch produziert und Komponisten schreiben ihre Musik genauso am Rechner wie Studenten ihre Hausarbeiten.
    " Was wir machen wollen, ist nun keine technische Musikinformatik - das wird vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt auch angeboten, sondern wir wollen eine künstlerisch, wissenschaftlich, musikwissenschaftlich geprägte Musikinformatik anbieten. Das heißt, der Anteil der Musik und der Musikwissenschaft ist uns sehr wichtig. "
    Mit dieser engen Kombination der beiden Fächer Musikwissenschaft und Musikinformatik ist der neue Studiengang europaweit einmalig. Das Konzept könnte sich als wegweisend herausstellen. Denn die Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik und den modernen Produktionsmitteln kommt bei Musikwissenschaftlern häufig zu kurz, wie der Komponist Professor Orm Finnendahl von der Musikhochschule Freiburg anmerkt:


    " Es ist immer leichter, Dinge wissenschaftlich aufzuarbeiten, die in der Vergangenheit liegen und die auch möglicherweise schon eine gewisse Vergangenheit haben. Aber es wäre natürlich wunderbar, wenn sich die Wissenschaft stärker mit der Gegenwart auseinandersetzen würde."

    Mit der Umstellung auf Bachelor und Master sind die Karlsruher Musikwissenschaftler im Hier und Jetzt angekommen. Sechs Semester soll der berufsqualifizierende BA-Studiengang dauern. Daran lässt sich ein Master anschließen, im Fach Musikwissenschaft oder Musikinformatik. Thomas Troge:

    " Es war bisher schon so, dass es im Rahmen der Diplomstudiengänge das Vordiplom gab, was allerdings nicht berufsqualifizierend war, und man hat nach dem Vordiplom einen Vertiefungsschwerpunkt gewählt. Jetzt wird es so sein, dass man nach sechs oder acht Semestern einen Bachelorabschluss erwirbt und damit auf dem Papier zumindest einen berufsqualifizierenden Abschluss."

    Die Zahl der Studienplätze in Karlsruhe ist begrenzt: In jedem Semester will die Musikhochschule 20 bis 30 Neueinsteiger aufnehmen. Die Voraussetzungen: Neben der Hochschulreife sollte man Klavier spielen können sowie Sprachkenntnisse mitbringen, und zwar gleich mehrere: Italienisch, Französisch und eine weitere Fremdsprache sind Pflicht, um Originalquellen selber lesen zu können.

    " Aber diese Voraussetzungen sind nicht strikt. Das heißt, wenn jemand sagt: Ich kann leider kein Italienisch und ich kann auch noch nicht besonders gut Klavier spielen, dann kriegt er eine Chance, diese Kenntnisse erst zum Abschluss des vierten Semesters nachzuweisen."

    Vor der Einschreibung ist außerdem eine Eignungsprüfung zu absolvieren, für die man sich noch bis zum 30. Juni bewerben kann.

    " Wir möchten gerne einfach die Leute, die bei uns anfangen zu studieren, vorher mal gesehen haben."

    Troge ist zuversichtlich, dass die neue Konzeption des Studiengangs auf dem Arbeitsmarkt Vorteile bringt:

    " Wir sind überzeugt, dass wenn unsere Absolventen mit einem Abschluss in Musikwissenschaft und Musikinformatik sich zum Beispiel bei einem Musikverlag bewerben, wo erwartet wird, dass sie sich mit anspruchsvollen Notensatzprogrammen auskennen und vielleicht Archivierungsprogramme auch mal selber verwalten und administrieren können, bessere Chancen haben. Wir glauben, dass das Gleiche auch gilt für die Tätigkeit des Musikjournalisten und Musikredakteurs, der ja auch ohne PC heute gar nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt denkbar ist."

    Wer schon ein Studium der Musikwissenschaften absolviert hat und jetzt einen der Masterstudiengänge in Karlsruhe anschließen will, muss sich beeilen: Schon am 15. Juni endet die Bewerbungsfrist. Studienanfänger haben etwas mehr Zeit: Sie können sich noch bis zum 30. Juni für das Bachelor-Studium Musikwissenschaft/Musikinformatik bewerben.

    Die Musikhochschule Karlsruhe hat ihren neuen Studiengang auch auf der Konferenz next_generation am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe vorgestellt, dem ersten Treffen der Elektronischen Studios von Musikhochschulen in Deutschland und einigen Nachbarländern.