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Fluchtort Jordanien

Jordanien liegt mitten im Krisengebiet des Nahen Osten. Das Land beherbergt prozentual zur Bevölkerung die meisten Flüchtlinge der Welt. Derzeit suchen Tausende Syrer Zuflucht in dem kleinen Nachbarland.

Von Ulrich Leidholdt | 26.05.2012
    "Wenn’s in einer Straße oder einem Viertel Demonstrationen gab, haben sie alle bestraft. Kein Öl, kein Gas, kein Brot. Regimetreue Nachbarn haben uns zwar Lebensmittel und Gas gegeben, aber nur zu sehr hohen Preisen."

    Umm Wissam stammt aus Homs wie die meisten syrischen Flüchtlinge in Jordanien. Seit einem halben Jahr haust sie mit fünf Familienmitgliedern in einem Rohbau in Mafraq im Norden Jordaniens, nahe der syrischen Grenze.

    "Ihre Zahl ist dramatisch gestiegen weiß Andrew Harper vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR. Im April haben wir mehr Flüchtlinge registriert als in allen anderen Monaten zusammen. 7000 im April, seit März letzten Jahres insgesamt 14000. Jordaniens Regierung geht von 100000 aus – das ist realistisch."

    Die große Differenz erklärt sich daraus, dass die meisten Flüchtlinge eine offizielle Registrierung scheuen. Sie fürchten den langen Arm syrischer Geheimdienste über die Grenze hinweg. Auch deshalb wollen sie lieber bei Verwandten unterkommen oder sie mieten oft zu mehreren Privat-Wohnungen an – mit Folgen.

    "Im Norden steigen die Mieten spürbar an. Oft sind sie höher als in der Hauptstadt Amman. Auch am Arbeitsmarkt wirkt sich das aus. Die Syrer wollen natürlich arbeiten. Jobs sind knapp, das drückt die Löhne und macht Einheimischen Konkurrenz. Da muss man aufpassen."

    14 Menschen auf 15 Quadratmetern für umgerechnet 220 Euro – blätternder Putz in kahlen, neonbeleuchteten Garagen, Abstellkammern oder Ställen mit Notküche und Außentoilette. Keine Seltenheit. Doch in der Mehrheit prägen nicht Geldschneider die Lage oder Vermieter, die die Not von Flüchtlingen ausnutzen. Beeindruckend wirkt mehr die Hilfsbereitschaft der Jordanier. Syrer, die der Gewalt des Assad-Regimes entkommen sind, betrachtet man eher als Gäste denn als Flüchtlinge.

    "Wegen der Gastfreundschaft in Jordanien und der kulturellen Nähe liegt es für Syrer nahe, hierher zu gehen als woandershin. Die große Mehrheit spricht nicht türkisch, Libanon ist auch nicht so attraktiv, da hat man eigene Probleme. Da bleibt Jordanien das beste Ziel."

    Obwohl das Land nicht die besten Voraussetzungen für eine schnell wachsende Zahl an Flüchtlingen mitbringt – im Gegensatz zu anderen Nachbarn Syriens.

    "Die Türkei hat 70 Millionen Einwohner, Jordanien sechs. Die Türkei hat ausreichend Ressourcen - Jordanien hat nicht mal genug Wasser und Riesenprobleme mit seiner Infrastruktur – es ist eben ein Wüstenland. Außerdem sind noch Zehntausende Iraker hier – in ihrem Land ist die Lage ja lange nicht normal. Dass Jordanien seine Grenzen offen hält, verdient Bewunderung. Sein Umgang mit Flüchtlingen ist Vorbild für andere Staaten."

    Frauen Kinder, Alte und Verletzte, etwa ein Drittel aller Flüchtlinge, brauchen besondere Unterstützung: Essen, Kleidung, Ärzte, auch psychologische Betreuung. Das UNHCR und sunnitische Hilfsorganisationen helfen mit Spenden oder Leistungen des Auslands. Nicht zu unterschätzen die Bereitschaft Jordaniens, seine Schulen zu öffnen, obwohl sie oft für die eigenen Kinder kaum reichen.

    "Bei den irakischen Flüchtlingen ist das ganz anders. Die kommen meist aus Städten, können sich weitgehend selbst versorgen. Die Syrer stammen dagegen aus armen ländlichen Regionen, sind kaum ausgebildet. Jordanien hat praktisch wenig von ihnen. Es handelt sich um rein humanitäre Hilfe. Es gibt eine Riesenbereitschaft, Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge aufzubringen, für deren Schicksal Jordanien ja nicht verantwortlich ist."

    Andrew Harper vom Flüchtlingshilfswerk der UNO weiß aber, dass Anteilnahme und Hilfsbereitschaft schnell in Ablehnung umschlagen können, wenn Einheimische ihre eigene Existenz in Gefahr sehen.

    "Nehmen wir ein x-beliebiges Dorf, das 100 syrische Familien aufnimmt. Es hat aber nur einen Wassertank. Da reicht das Wasser nicht für alle. Also brauchen wir unbedingt mehr Tanks und auch Müllwagen. Später bleibt das dem Dorf, wenn die Flüchtlinge wieder gehen – mit dieser Perspektive kann man klarmachen, dass Gastfreundschaft und Übernahme zusätzlicher Belastungen richtig sind und anerkannt werden. Passiert das nicht, werden die Jordanier nicht unterstützt, dann lassen sie das und ihr Land macht seine Grenzen dicht."

    Noch zeigen Jordanier Mitgefühl für die bedrängten Nachbarn. Trotz eigener Probleme wie ihrer labilen politischen Führung, wöchentlichen, wenn auch kleinen Demonstrationen und dem Dauerkonflikt zwischen alteingesessenen Jordaniern und der palästinensischen Mehrheit – doch Hilfsorganisationen mahnen, man möge das kleine Land nicht mit seinem Flüchtlingsproblem allein lassen.

    Diese Männer – nennen wir sie Händler – an der jordanisch-syrischen Grenze bei Ramtha diskutieren die Lage. Mit ihren PKW fahren sie rüber zum Nachbarn, holen alle möglichen Waren, meist aus Damaskus: Obst, Gemüse, Milchprodukte, Haushaltswaren – alles billiger drüben. So was ließ sich schon immer gewinnbringend in Jordanien verkaufen. Jetzt fließt der Warenstrom im kleinen Grenzverkehr nicht mehr so üppig weiß Lokaljournalist Abdel Halin.

    "Ramtha ist total abhängig von syrischen Produkten. Jetzt kommt viel weniger, manchmal gar nichts. Alle Geschäfte haben dadurch gelitten. Manche mussten zumachen, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen konnten."

    Mitten in Ramtha – die Einkaufsstraße: Laden an Laden.

    "Bei uns hier kommt fast alles aus Syrien – Lebensmittel, Zigaretten, alles. Die Ereignisse dort machen uns alle sehr betroffen. Das schadet auch uns, was da los ist. Wir haben nichts zu tun, weil keine Ware mehr aus Syrien kommt."

    "Also das muss ich mal loswerden. Hier bei uns in Jordanien kann ich viel sagen – auch unseren Premierminister kritisieren. Aber in Syrien kannst Du das nicht mal bei einem ganz einfachen Soldaten. Wenn Du versuchst, mit einem hier in Ramtha ein Fernseh-Interview zu machen, wird jeder abwinken. Sie haben Angst vor den Syrern – selbst bei uns."

    Die Angst ist groß in Jordanien, dass der Konflikt im Nachbarland über kurz oder lang nicht an der eigenen Grenze halt macht. Am liebsten – so scheint ist - würden die meisten das Problem totschweigen, so tun, als ob es nicht existiere. Offiziell trägt Jordanien die Sanktionen gegen das Assad-Regime mit. Tatsächlich hat man schon frühzeitig um Nachsicht gebeten. Die staatliche Fluglinie steuert weiter täglich die syrische Hauptstadt an. Man sei schließlich abhängig heißt es kleinlaut in Amman – wegen des Transitverkehrs jordanischer Waren in die Türkei und nach Europa und nötiger Importe landwirtschaftlicher Produkte aus Syrien. Alternative LKW-Routen über den noch immer gefährlichen Irak, dreimal so lang, wurden mit Bagdad verhandelt. Doch dort winkte man ab. Auch Irak will es sich mit Damaskus nicht verderben.

    So bleibt es bei doppelten Standards. Humanitäre Hilfe für Syrer in Not – ja. Aber nicht um den Preis, es sich mit dem Assad-Regime ernsthaft zu verscherzen.