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"Fluchtpunkt Paris"

Im Rahmen der Peter-Weiss-Tage im Museum Bochum versucht dort die Ausstellung "Fluchtpunkt Paris" die Begegnung von Peter Weiss mit der Kunst der Sechszigerjahre in Paris zu rekonstruieren. Bilder, Plastiken und Fotos sowie Briefe, Manuskripte, Bücher und Dokumente zeigen exemplarisch, was Peter Weiss in Paris in einer Zeit aufregender ästhetischer Aufbrüche sah und in seinen Texten reflektierte.

Von Michael Köhler |
    Die Surrealisten lebten noch, aber der Surrealismus war schon tot. Eine Art lärmender Leichenzug erfüllte am 13. Mai 1960 den Boulevard Montparnasse. Jean Tinguely zog mit seinen Schrott-, Blech- und Abfall Skulpturen, einem Trödler der Träume gleich, mit viel Krach durch die Straßen. Das gefiel dem Peter Weiss. Er zog mit, hintendrein. In sein Pariser Journal, schrieb er unter dem Datum:

    " Tinguelys Arbeit ist einer revolutionären Handlung verwandt. Er füllt die Straßen mit einem geräuschvollen Aufruhr, hinter sich lässt er Wrackstücke einiger zusammengebrochener Konstruktionen wie Gefallene zurück. Er wird in den Gefangenenwagen hinein geschoben, seine Freunde schleppen die Reste der Prozession ab. Tinguely wollte die ganze Stadt zu einem Kunstwerk machen."

    Der Angriff auf den Alltag durch nutzlose Apparate, der Zirkus und die Schaulustigen, die Trillerpfeifen und die Materialisierung von künstlerischen Ideen, das machte Eindruck auf den Maler, Schriftsteller und Theatermacher Peter Weiss. Die Pariser Kutschfahrt vom Mai 1960 endete bald anders als erwartet.

    Ausstellungsmacher und Biograf Günter Schütz:

    "Boulevard Raspail Montparnasse, hier sieht man die ganzen Maschinen, man sieht auch den Peter Weiss wie er mitläuft, man sieht wie der Tinguely im Polizeiwagen, im Saladier wie man im Französischen sagt, sitzt. Spoerri schaut zu. Diese Bilder kommen teilweise auch vor, in dem gleichzeitig entstandenen Film "Schwedische Mädchen in Paris". "

    Das hat Peter Weiss gefesselt, sein, das hat ihn fasziniert.

    Schütz: "Peter Weiss ist in Paris mit einem Surrealismus zusammengekommen, der eigentlich schon am Ende war, und es fing etwas Neues an. Und dieses Neue hat den Peter Weiss gefesselt."

    Die Ausstellung im Kunstmuseum Bochum zeigt eine bislang wenig bekannte Seite des Künstlers Peter Weiss. Bevor er als Verfasser einiger wichtiger Theaterstücke Mitte der Sechziger Jahre bei uns bekannt wurde, hat er sich Ende der Fünfziger und Anfang der Sechziger Jahre in der Kunstmetropole Paris inspirieren lassen. Er traf Spoerri und Tinguely, Gherasim Luca und Robert Filliou, eine Art Apollinaire, einen Theoretiker der Nachkriegszeit

    Schütz: "Hier geht Kunst auf die Straße, hier sollte Kunst und Leben zusammengebracht werden. Und das hat ihn erst einmal fasziniert. "
    Bevor Weiss als Verfasser der "Verfolgung und Ermordung Marats" oder der "Ermittlung" bekannt wurde, hat er sich im Pariser Avantgarde-Kunstmilieu umgesehen. Bücher, Grafiken, Briefe, Fotos, Filme, Kunstwerke zeigen das. Nichts weniger als das Leben und die Kunst selber durch Kunst zu revolutionieren, erhofft er sich.

    Die Ausstellung ist eine kleine Revue der Begegnung mit bildender Kunst im Paris der späten Fünfziger und frühen Sechziger Jahre. Im "Pariser Journal" und in der "Ästhetik des Widerstandes" findet dies seinen Niederschlag im Werk Peter Weiss'.

    Schütz: "Es zeigt die Bedingungen der Möglichkeit des Schreibens von Weiss. "

    Peter Weiss wurde zwar 1916 in der Nähe von Berlin geboren, hat aber erst in England, dann ab 1937 in der Tschechischen Republik und schließlich in seien Wahlheimat Schweden gelebt. Seine Frau lebt in Stockholm und erinnert sich an die Pariser Zeit:

    "Wir sind 1952 nach Paris gefahren, wir haben die Partner in Stockholm gelassen. Es war nicht nur ein Liebesziel, es war das Interesse für Film, Peter und ich waren interessiert für Film, Kopenhagen und Paris Avantgarde, Paris Cinémathèque wir haben nur Filme gesehen. "

    Als an einem Januarabend 1958 Peter Weiss bei dem Künstler Gherasim Luca zu Gast ist, und man nach dem Essen dem Gastgeber Weinlaub um den kahlen Kopf hängt, man ihn mit Tüchern schmückt, sich eine Muse vor ihn legt, Daniel Spoerri aus der Küche Unrat holt, schätzt Weiss das "lebende Bild" daran, aber räumt ein:

    "Die Trennung zwischen Kunst und Leben wurde doch nicht aufgehoben, ein Beobachten blieb weiter bestehen, ein Psychodrama wurde aufgeführt."

    Schütz: "Es ist ja Kunst irgendwo versucht worden in das Alltagsleben hineinzubringen, aber nicht in den einzelnen Menschen. "

    "Fluchtpunkt Paris" - Peter Weiss und die Avantgarde