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Flüchtlinge als Kunden
Die Geschäfte der "Balkanroute"-Anwohner

Etwa 35.000 Einwohner hat der kleine Ort Presevo in Serbien, an der mazedonischen Grenze. Tagtäglich kommen etwa 6.000 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Iran an. Hier müssen sie sich registrieren lassen, um nach Westeuropa weiterreisen zu können. Die Einwohner von Presevo haben sich mittlerweile auf die Flüchtlinge in ihrem Dorf eingestellt.

Von Leila Knüppel | 19.11.2015
    Flüchtlinge an der serbisch-mazedonischen Grenze in Preševo (Serbien)
    Flüchtlinge an der serbisch-mazedonischen Grenze in Preševo (Serbien) (Imago)
    Eine lange Warteschlange der Reisebusse weist den Weg ins Registrierungscamp für Flüchtlinge in Presevo. Sie reicht von der Autobahnabfahrt, kilometerweit - direkt bis zum Lagergelände. Einer der Busfahrer hat sich gerade am Ende der Schlange eingereiht.
    "Ich habe mich bei der Polizei registriert - und vor mir sind schon 220 Busse, die warten, wurde mir gesagt. Wir reisen mit den Flüchtlingen von Presevo, hier an der mazedonischen Grenze zur kroatischen Grenze."
    Seit einigen Monaten macht der Fahrer jetzt schon diese Pendeltour quer durch Serbien. Etwa 35 Euro zahlen die Flüchtlinge für ein Ticket. Ein gutes Geschäft. Bis der Fahrer mit seinem Bus losfahren kann, wird es aber wohl noch einige Zeit dauern:
    "Wenn alles gut geht, bin ich morgen Abend dran."
    Möglichst schnell weiter - Richtung Westeuropa
    Vorne in der Schlange, beim Registrierungszentrum hat ein Bus gerade seine Türen geöffnet. Sofort beginnt der Kampf um die Sitzplätze. Jeder möchte mit. Möglichst schnell weiter - Richtung Westeuropa: Schweden, Norwegen oder Deutschland.
    "Berlin", "Munich", "Dortmund"
    Inmitten des Gedränges, inmitten von Gepäckstücken, Matsch und Müll steht eine Verkäuferin in weißen Kittel - und putzt die Auslage ihrer kleinen Bäckerei. Seit pro Tag etwa 6.000 Flüchtlinge hier durch Presevo kommen, laufe das Geschäft super, erzählt sie. 24 Stunden am Tag habe die Bäckerei nun geöffnet. Zeit, um ein wenig zu plaudern, findet sie aber trotzdem noch. Auch wenn der Chef es nicht so gerne sieht.
    "Es kommen immer mehr Leute. Das ist natürlich schon ein Problem. Früher war das hier ein ruhiges Dorf. Wir sind einfach nicht so viele Leute gewohnt, so viel Lärm. Und es ist schmutzig, unendlich schmutzig. Vor einigen Wochen war es aber noch schlimmer: Die Flüchtlinge haben vor der Bäckerei überall auf dem Boden geschlafen. Ich musste über die Leute steigen, um in die Bäckerei zu kommen."
    Hilfsorganisationen geben Kleidung auch kostenlos aus
    Die kleine Bäckerei steht am Ende der Hauptstraße von Presevo, am Stadtrand. Direkt gegenüber wurde das Registrierungszentrum aufgebaut. Wer als Flüchtling durch Serbien hindurch möchte, muss sich in die lange Schlange am Eingang des Registrierungszentrums einreihen. Wie der 24-jährige Zamir Al-Ghabra und seine beiden Freunde aus Syrien. Sieben Tage seien sie nun unterwegs, erzählt er. 1.500 Dollar habe die Flucht bisher gekostet.
    "Ich brauche Dokumente von der Polizei. Dann habe ich 72 Stunden Zeit, um in ein anderes Land weiterzureisen. Kroatien oder so. Ich weiß es nicht. Die Polizei wird es mir sagen."
    Neben dem Registrierungszentrum haben einige Hilfsorganisation ihre Zelte aufgebaut. Freiwillige schenken Tee aus, verteilen Schokoriegel - und beantworten all die vielen Fragen, so gut sie können. "Entschuldigen Sie, wo ist der Bahnhof? - 500 Meter von hier. Sie können gehen. Da entlang. - Vielen Dank."
    Daneben haben Händler Klapptische aufgestellt - verkaufen Regenjacken, Decken, Schuhe. Aber viele Hilfsorganisationen geben Kleidung auch kostenlos aus. Denn die Flüchtlinge kommen hier oft nur mit einem kleinen Rucksack an, erzählt Stefan Cordes von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". Neben der Warteschlange am Registrierungszentrum hat seine Hilfsorganisation ein beheiztes Behandlungszelt aufgebaut.
    "Die meisten Probleme fangen auf der Reise an, das heißt: Viele kommen ohne richtige Schuhe, haben nur Plastiktüten an den Füßen. Und dann Erkältungserscheinungen und was mit Kälte und so zu tun hat."
    Auf den Winter hat sich das Center in Presevo noch nicht eingestellt: Beheizte Aufenthalts- oder Übernachtungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge gebe es kaum. Ansonsten sei aber eine gewisse Routine eingetreten.
    "Anfangs war es noch sehr anders. Alle waren überfordert. Aber jetzt funktioniert es besser, definitiv."
    Dann macht sich Cordes auf in Richtung Grenzübergang, der einige Kilometer entfernt hinter Presevo liegt. Gleich soll wieder ein Zug mit Flüchtlingen auf der mazedonischen Seite ankommen. Kurz vor der Grenze überholen fünf Taxis Cordes Wagen. Deren Chauffeure wollen den Busfahrern noch Kunden abjagen. 100 Euro verlangen sie bisweilen für eine wenige Kilometer weite Fahrt, erzählt Cordes.
    "Die werden halt wirklich ausgebeutet."
    Doch: Kundschaft finden die Taxifahrer trotzdem immer wieder.