Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Flüchtlinge auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Der Start ist schwieriger als gedacht

Ein Jahr nach Merkels "Wir schaffen das" grassiert Ernüchterung, vor allem mit Blick auf die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Von einer Million fanden nur etwa 50.000 einen Job. Im rheinhessischen Jugenheim nehmen Ehrenamtliche arbeitssuchenden Flüchtlingen ihre Illusionen und motivieren Arbeitgeber.

Von Anke Petermann | 01.09.2016
    Der Teilnehmer eines Deutschkurses für Asylbewerber macht sich im Unterricht in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) am 11.11.2015 Notizen.
    Der Teilnehmer eines Deutschkurses für Asylbewerber macht sich im Unterricht Notizen. Die Sprache ist eine der größten Hürden für Integration. (pa/dpa/Schmidt)
    "Sechs Monate Deutschkurs und dann habe ich wiederholt, wieder sechs Monate – bis zu zwei Jahre."
    "Fit für den Arbeitsmarkt" heißt das ehrenamtlich organisierte Seminar im Jugenheimer Gemeindesaal. 50 Flüchtlinge aus der gesamten Verbandsgemeinde Niederolm sind gekommen, hauptsächlich Männer unter 30. In Stichworten erzählt ihnen Adnan Sulaiman, mittlerweile eingedeutschter Koch aus Syrien, von seinen Erfahrungen seit 2001: "Und danach habe ich eine Berufsvorbereitung besucht, ein Jahr."
    Stöhnen im Publikum. - Das hatten die jungen Männer sich anders vorgestellt. Schnell Arbeit finden wollen sie. Deutschlernen geht nebenbei, glaubten sie. Doch jetzt schwört sie ihr Landsmann gemeinsam mit den Flüchtlingsbetreuern auf einen langen, mühsamen Weg ein. Andreas Gieß hat das Arbeitsmarkt-Seminar ehrenamtlich mit organisiert. Er raubt den Zuhörern noch eine Illusion, nämlich, dass sie aus dem Stand einen gut bezahlten Facharbeiterposten finden. Eine Berufsausbildung zu machen, rät ihnen Gieß stattdessen. Die jungen Flüchtlinge sind enttäuscht. Drei Jahre von einer bescheidenen Ausbildungsvergütung leben?!
    Mini-Jobs eignen sich als Einstieg in die fremde Berufswelt
    Doch einer von ihnen hat den Rat schon beherzigt. Alaa Eddin Suliman, Abiturient aus Aleppo – sein Alltagshelfer Andreas Gieß wendet sich zum Publikum:
    "Was wichtig ist, man kann auch vielleicht am Anfang, wenn man nicht gleich mit einer Ausbildung anfängt - so wie Alaa Eddin das gemacht hat, dass er einen Mini-Job bei der Firma Roi Solutions angefangen hat und der Arbeitgeber sehr zufrieden ist, und - hat er dir auch schon gesagt, wegen Ausbildung?, - dass er ihm die Ausbildung anbietet."
    Das war Ende 2015.
    "Du meldest dich mal auf dem Server an und gehst mal in die Ereignislog."
    Der Plan geht auf - manchmal
    Ein Dreivierteljahr später ist aus dem syrischen Minijobber tatsächlich ein Auszubildender in der Jugenheimer Computer-Firma Roi Solutions geworden. "Und schaust da mal, was heute Morgen um 2.30 Uhr da passiert ist, ob du da Fehlermeldungen hast."
    An diesem sonnigen Morgen sitzt Alaa Eddin Suliman gemeinsam mit Carsten Albermann vorm Bildschirm. Fehler bei einer Datensicherung aufzuspüren, trägt ihm der Chef und Ausbilder auf. Der angehende Fachinformatiker macht sich eine Notiz, alles verstanden. Die Kombination vormittags Deutsch lernen, nachmittags Minijob mit Deutsch-Praxis war einige Monate lang anstrengend, aber: "Das war sehr gut für mich. Ich konnte die Sprache danach besser sprechen."
    Für die Kundenkontakte bekommt der 21-Jährige derzeit extra Telefontraining. Albermann ist zufrieden mit seinem Azubi.
    "Er spricht sehr gut Englisch, das haben sie bei manchen deutschen Auszubildenden nicht. Da hat er eine Stärke. Das einzige, wo er dran arbeiten muss, ist jetzt einfach noch die deutsche Sprache. Und da sehen wir einfach, dass es sehr, sehr gut voran geht. Und ich bin mir ganz sicher, so in zwei Jahren wird er so richtig fließend Deutsch sprechen, sodass das alles überhaupt gar kein Problem mehr ist."
    Unternehmen verlangen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit
    Wenn Integration gelingen soll, sind Zähigkeit und Geduld gefragt, auch bei Arbeitgebern. Wie wichtig denen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind, das hatten beim Arbeitsmarktseminar am Jahresende nicht die deutschen Betreuer den Geflüchteten klargemacht, sondern ein Erfahrener aus ihrem eigenen Kreis, Alaa Eddin Suliman nämlich: Der ruft Kunden um Punkt acht an, wenn acht Uhr vereinbart ist. Ausbilder Carsten Albermann kitzelt Sulimans Stärken heraus, zum Beispiel bei der Fehlersuche in der Datensicherung.
    "Da ist er auch so ‘n bisschen akribisch, da könnt man jetzt schon sagen, da hat er deutsche Tugenden – Lachen – da ist er immer bei der Sache, und es wird immer sehr genau dokumentiert, wenn er etwas feststellt."
    Andere Auszubildende hat Albermann schon beim Spielen ertappt, wenn sie keine aktuelle Aufgabe hatten. Suliman dagegen sucht sich was zu arbeiten.
    "Und selbst wenn er da nichts mehr findet, erwische ich ihn höchstens dabei, dass er für seinen Führerschein lernt, was er ja soll, ist ja für uns auch wichtig. Oder dass er Deutsch-Vokabeln paukt, und das darf er jederzeit gern."
    Wäre er nicht vor dem Krieg aus Aleppo geflohen, hätte der junge Syrer vermutlich Informatik studiert.
    "Wenn ich die Möglichkeit habe, das hier zu machen, möchte ich meine Chance nutzen."
    Dass er seinen frisch ausgebildeten Mitarbeiter an eine Uni verlieren könnte, schreckt Ausbilder Albermann nicht. Er würde Suliman ein berufsbegleitendes Studium empfehlen und ihn an seine Firma binden.
    Sprachkurse und Arbeitserlaubnisse fehlen
    Die Jugenheimer Alltagshelfer beißen sich unterdessen weiter die Zähne an mangelnden Plätzen in Sprachkursen und fehlenden Arbeitserlaubnissen aus. Kämpfen gegen alle bürokratischen Hindernisse dafür, Flüchtlinge in Minijobs, Ausbildung, gemeinnützige oder reguläre Arbeit zu bringen. Die Ehrenamtler wissen, dass Rumsitzen zermürbt. Und bleiben dran, obwohl Politiker ständig davon reden, dass die Geflüchteten irgendwann wieder zurück müssten.
    Zäh, geduldig und konzentriert aufs Hier und Jetzt – nur so gelingt Integration
    Die allerdings denken nicht daran, sondern konzentrieren sich auf ihre Chancen hier. Uli Röhm, Koordinator von "Willkommen im Dorf" findet das richtig:
    "Wenn der Krieg in zwanzig Jahren vielleicht zu Ende ist, dann kann man in den zwanzig Jahren viel Erfahrung in Deutschland sammeln, um mit der dann in die Heimat zurückzukehren."