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Flüchtlinge
Die Macht der Dolmetscher

Mit der wachsenden Zahl an Flüchtlingen steigt auch die Nachfrage nach Dolmetschern. Viele Behörden vertrauen deshalb zunehmend auf die Hilfe sprachkundiger Flüchtlinge und Asylbewerber - doch wie neutral sind sie wirklich?

Von Silke Hasselmann | 21.01.2016
    Schwerin, Stern Buchholz. Von den 1.200 Betten in der hiesigen Landes-Erstaufnahmestelle sind derzeit knapp 700 belegt - vor allem mit Afghanen, Irakern, Serben und Syrern. Täglich kommen rund 50 Neue hinzu. Zuständig für deren Betreuung und damit auch für eine möglichst reibungslose Verständigung mit allen möglichen Behörden ist der Malteser Hilfsdienst. Der setzt nicht auf externe Profi-Dolmetscher, sondern auf Migranten mit guten Deutschkenntnissen, sagt die stellvertretende Leiterin, Cindy Hager.
    "Das heißt, dass wir zum Beispiel fünf Mitarbeiter im Moment eingestellt haben, die Arabisch sprechen. Wir haben Mitarbeiter, die Russisch sprechen, einen neuen Mitarbeiter, der Farsi und Dari beherrscht und auch ein bisschen Kurdisch. Der kann sich dann mit unseren Asylbewerbern aus Afghanistan auch verständigen. Somit sind Sprachmittler gleichzeitig auch Betreuer."
    "Ich heiße Amir Hanah, stamme aus Ägypten und arbeite hier in Stern Buchholz seit dem 1. Juni 2015. Also die Asylbewerber, die kommen zu uns, lasse ich zur Polizei. Den Fingerabdruck abgeben. Dann werden die bei uns im Landesamt registriert. Danach werden die zum Arzt gebracht, und nach dem Arzt werden die zum Bundesamt hingebracht. Für das Interview. Dort wird ganz genau gefragt, woher die kommen, warum haben sie das Land verlassen, wie die hierhergekommen sind und was sie alles erlebt haben."
    Gibt es einen Schutzmechanismus?
    Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheidet über die Asylanträge, weshalb die Interviews und die korrekte, vollständige Übersetzung der Fragen und Antworten besonders wichtig sind. Dafür bestellt das BAMF eigens professionelle, zumeist beeidete Dolmetscher. Die müssen neutral übersetzen, aber auch zu erkennen geben, wenn sie auf Widersprüche, gar falsche Aussagen der Asylbewerber stoßen.
    Unglaubwürdige Aussagen fallen manchmal schon im Vorfeld auf, sagt der Ägypter Arim Hanah. Und dann?
    "Also wenn da mal was ist - ich bin so belehrt worden bei den Maltesern, dass ich die Wahrheit sage. Ich verdiene damit mein Geld und ich weiß, wenn ich mal was falsch mache, was dann auf mich zukommt. Und von daher muss ich dann auch die Wahrheit sagen."
    Doch wer kontrolliert das? Gibt es einen Schutzmechanismus, eine Art 4-Ohren-Prinzip zumindest bei wichtigen Übersetzungen? Vize-Chefin Cindy Hader:
    "Also wenn Sie so danach fragen: Eigentlich nicht. Ich habe großes Vertrauen in jeden einzelnen unserer Mitarbeiter, wenn es um den Informationsfluss geht. Man muss natürlich auch ein bisschen versuchen da mit sich selbst im Reinen zu bleiben."
    Welchen Spielraum haben die Dolmetscher?
    Mohamed Aref kam vor zwei Jahren nach Schwerin. Der Afghane spricht Farsi und ein sehr gutes Deutsch. Das hatte er vor 30 Jahren bei der Nationalen Volksarmee gelernt. Nun ist er als ehrenamtlicher Sprachmittler gefragt - auch in der Erstaufnahmestelle Stern Buchholz. Seit Bundesinnenminister Thomas de Maizière Afghanistan zu einem quasi sicheren Herkunftsland erklärt hat, müssen Arefs Landsleute den Behörden besonders überzeugende Verfolgungs- und Fluchtgeschichten vortragen. Zu viel Spielraum, ja: Macht für Dolmetscher?
    "Nein, das stimmt nicht. Wir verstehen beide Kulturen und deswegen spielen wir eine große Rolle. Aber Macht haben wir nicht. Unsere Aufgabe ist es, von einer Seite zur anderen alles richtig darzustellen, und das machen wir gerne. Macht haben wir überhaupt nicht."
    Das sieht der in Rostock lebende Hikmat Al-Sabty etwas anders. 1980 aus dem Irak geflohen, wird er oft von der Polizei, von Gerichten und auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als beeidigter Dolmetscher herangezogen.
    Auch weil er im Gegensatz zu den deutschen Beamten die vielen arabischen Dialekte zuordnen und falsche Behauptungen über die Herkunft erkennen kann, habe ihn schon so manch' Asylbewerber im BAMF-Interview gebeten, ihn bei der Übersetzung ins Deutsche nicht zu verraten. Es sei manchmal schwer zu erklären, dass er dem deutschen Staat gegenüber loyal sein und wahrheitsgemäß übersetzen müsse.
    "Es ist wichtig, dass man mit den Betroffenen redet, und ganz vertraulich. Weil der Mensch, wenn er sagt: 'Gut, ich komme aus Gaza', und er gibt sich als Syrer aus - da kommt man in ein Dilemma, tatsächlich. Aber ich bin ja beeidigt und ich stehe zu meinem Wort, und ich muss eine Antwort geben."
    Frage: "Und Sie müssen wahrheitsgemäß antworten?"
    "Natürlich, natürlich."
    Auch Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU) weiß, dass es oft nur einen im Raum gibt, der beide Seiten verstehen kann. Was ein Dolmetscher weitergibt oder zurückhält, das kann behördliche Entscheidungen beeinflussen, menschliche Schicksale und ja – womöglich auch die Sicherheitslage. Denn auszuschließen sei es nicht, dass sich auch einmal ein sprachkundiger Migrant mit krimineller, gar terroristischer Absicht auf eine strategisch einflussreiche Position bringt. Doch in Mecklenburg-Vorpommern seien keine Fälle von manipulierten Übersetzungen, gar falschen Dolmetschern bekannt.
    "Das Sicherheitsrisiko ist gegen Null gehend, zumindest in den öffentlichen Verwaltungen, weil auch ein Minister - also auch ich hab einen syrischen Mitarbeiter eingestellt - dementsprechend vorher die Vorkehrungen treffe."
    Der junge Mann kam direkt aus der Erstaufnahme, durchlief eine Sicherheitsüberprüfung und hat nun als Sprach- und Kulturmittler das Ohr des Innenministers. Zu entscheiden hat er jedoch nichts.