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Flüchtlinge in Bayern
Überforderte Behörden und volle Heime

Das ehemalige Bundeswehrgelände Bayernkaserne in München dient als eines von zwei Erstaufnahmelagern in Bayern. Anfang des Jahres wohnten dort rund 1.000 Flüchtlinge, mittlerweile sind es 2.400. Während rechtsextreme Gruppen vor Ort Stimmung gegen die Flüchtlinge machen, scheint die Landesregierung mit der Situation überfordert.

Von Susanne Lettenbauer | 22.08.2014
    Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern sitzen und liegen im Erstaufnahmelager der Bayernkaserne in München (Bayern) in den Betten ihrer Unterkunft, die in einer ehemaligen Bundeswehr-LKW-Garage eingerichtet wurde.
    Täglich kommen rund 200 Flüchtlinge in München an. (Picture Alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Demonstration am Münchner Werner-Eck-Bogen. Die SPD, die FDP und der Verein "München ist bunt" haben an die sechsspurige Straße geladen. Von den kleinen Siedlungshäusern hinter einem kleinen Wäldchen sind die Anwohner gekommen:
    "Es ist unheimlich, es gibt ein komisches Gefühl, aber ich habe auf Anraten von Nachbarn mit den Leuten versucht zu sprechen, die sprechen ja alle Englisch. Eigentlich fand ich das ganz schön und die waren überrascht, dass sie jemand anspricht. "
    Gegenüber Richtung Bayernkaserne sitzen mehrere Gruppen schwarzafrikanischer Flüchtlinge auf dem Rasen und schauen ein wenig ängstlich zu:
    "Also es ist so, dass wir momentan einfach ein Nebeneinanderher haben und es ist gewissermaßen so, dass man Verständnis zeigen soll, dass diese Menschen da sind dafür. Aber ehrlich gesagt, ich möchte auch, dass man sich begegnet, dass man fragt, aus welchem Land kommst du denn."
    "Also für mich persönlich sind einfach zu viele Flüchtlinge da"
    Seit Wochen macht sich Unsicherheit breit hier im Münchner Norden, die Lage spitzt sich zu. Gerüchte kursieren - der Art, dass Mütter ihre Töchter nicht mehr allein auf die Straße lassen. Die Furcht vor Krankheiten wie Ebola macht die Runde, nachdem bekannt wurde, dass Blutuntersuchungen auf HIV und TBC vom Gesundheitsamt aus Mangel an Personal ausgesetzt wurden. Auch zwischen den Nachbarn herrscht Unfriede, sagt die Anwohnerin Ines Steinheimer, die ehrenamtlich als Mediatorin fungiert:
    "Also für mich persönlich sind einfach zu viele Flüchtlinge da, also für die Flüchtlinge sage ich das. Das Heim ist zu voll, dadurch hat sich leider hier auch die Stimmung geändert unter der Nachbarschaft."
    Zögerlich schauen sich ihre Nachbarn die Demonstration und die Flüchtlingsgruppen an. Dieser Mann bekommt gerade einen ganz anderen Eindruck, als den, der seit Tagen von rechtsradikalen Gruppen verbreitet wird:
    "Bei Weitem nicht so, wie es zum Teil von Leuten dargestellt wird. Für mich ist das kein Problem. Das Problem ist eher das, dass wirklich sehr viele Menschen hier auf engstem Raum sind und dafür ist es hier sehr friedlich."
    Gemeinsam mit Monika Steinhauser vom Münchner Flüchtlingsrat geht es hinüber zu fünf jungen schwarzafrikanischen Männern auf der anderen Straßenseite. Deutsch können die Flüchtlinge nicht, also versucht es Steinhauser auf Englisch:
    "We are happy. I am happy."
    Aus der Ferne schauen weitere Flüchtlingsgruppen zu. Tagsüber sitzen, stehen oder hocken sie außerhalb der Bayernkaserne im Freien. Rund 2.400 Menschen sollen derzeit in den alten Gebäuden aus der Nazi-Zeit untergebracht sein. Registriert sind knapp 2.000. Einige von ihnen sitzen mit Bierdosen in den Bushaltestellen, abends schlafen manche auf dem nackten Boden, weil Matratzen fehlen. Vor allem die Sanitäranlagen reichen bei Weitem nicht aus, sagt Ines Steinheimer, die einen Blick hinein werfen konnte:
    "Es sind einfach zu viele Leute da, sie sitzen da rum, sie können ja auch nicht viel tun. Es dauert lange, bis sie überhaupt erst einmal Geld bekommen, um sich ein Ticket kaufen zu können, bis eben die Gesundheitsuntersuchungen abgeschlossen sind – das ist im Übrigen auch noch ein Punkt, da habe ich einen Antrag bei der Bürgerversammlung gestellt, dass die Erstuntersuchung wirklich in den ersten ein, zwei Tagen läuft und erst in zwei, drei Wochen."
    Überforderung allerorten
    Jeden Tag kommen rund 200 Menschen in die Bayernkaserne, der neue Rekord wurde diese Woche mit 319 Menschen an einem Tag erreicht. Hinzu kommt, so Mitarbeiter der Inneren Mission, dass nicht nur Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Schwarzafrika um Asyl bitten.
    Seit Neuestem kommen auch Asylbewerber, deren Antrag in anderen EU-Ländern bereits anerkannt wurde, die aber Deutschland bevorzugen hier her, um erneut einen Antrag zu stellen.
    Zuständig für die Aufnahme und Unterbringung ist eigentlich die Regierung Oberbayern, doch die Verantwortlichen dort wirken kopflos. Keiner habe mit diesem Ansturm gerechnet, so ein Sprecher. Die Landeshauptstadt München fühlt sich komplett allein gelassen vom Freistaat. Rudolf Stummvoll, Leiter des Münchner Amtes für Wohnung und Migration, sitzt wie gelähmt in seinem Büro. Er soll im kommenden Jahr fast 4000 neue Plätze in Gemeinschaftsunterkünften schaffen:
    "Es gibt überhaupt keine Antworten der bayerischen Landesregierung"
    Wo ist die bayerische Antwort auf einen Zuzug nach Bayern? Mit welchen Ideen geht er ran?
    Siebeneinhalb Planstellen hat der Freistaat zur Verfügung gestellt für die Bayernkaserne. Mit der Stadt München war vereinbart, ein Sozialarbeiter auf 100 Flüchtlinge. Jetzt kümmert sich einer um fast 400 Menschen:
    "Es gibt überhaupt keine Antworten der bayerischen Landesregierung, wie sie sich vor allem bei den deutlich gestiegenen Flüchtlingszahlen überhaupt vorstellen, wie man damit umgeht. Und das ist eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Landeshauptstadt auf der einen und dem Land Bayern zum anderen."
    Anfang September soll eine neue Unterkunft eröffnet werden, sagt Stummvoll. 300 Plätze in der Funkkaserne auch im Münchner Norden, dazu 11 neue Planstellen, von denen die Stadt München acht aus eigenen Töpfen zahlt und sich eine Rückerstattung vom Freistaat erhofft.
    Im Herbst will der Freistaat - das Innenministerium und das Sozialministerium - zu einem runden Tisch mit allen Beteiligten einladen. Wie sich die Situation bis dahin entwickelt weiß keiner. Denn die Zahl der Flüchtlinge steigt, jeden Tag um rund 200 Menschen.