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Flüchtlingshilfe
"Ich bin froh, dass Frau Merkel so stur ist"

Die Bertelsmann Stiftung hat in einer aktuellen Studie festgestellt, dass die spontane Hilfsbereitschaft vor einem Jahr kein Strohfeuer war. Ehrenamtliche engagieren sich nach wie vor. Klaus Peter Metzger, evangelischer Pfarrer im Ruhestand, ist einer von ihnen. "Wir machen es, weil es einfach ein Gebot der Menschlichkeit ist", sagte er im Deutschlandfunk.

Monika Dittrich im Gespräch mit Klaus Peter Metzger | 05.08.2016
    Flüchtlinge am Hauptbahnhof in Passau
    Flüchtlinge am Hauptbahnhof in Passau (Picture Alliance / dpa / Armin Weigel)
    Monika Dittrich: Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass das ehrenamtliche Engagement für Flüchtlinge nach wie vor ungebrochen groß ist. Entspricht das auch Ihren Erfahrung aus der Praxis?
    Klaus Peter Metzger: Das kann ich aus dem, was ich in Passau sehe, unterstützen. Es gibt einen recht festen Stand von Flüchtlingshelfern, die seit über einem Jahr ständig ansprechbar sind und ständig aktiv sind.
    Dittrich: Herr Metzger, warum helfen Sie persönlich?
    Metzger: Es ist natürlich zunächst einmal für mich als Christ ein Gebot. Ein Gebot meines Glaubens. Aber hier in Passau arbeiten Christen und Nicht-Christen zusammen. Es gibt ja auch viele muslimische Helfer hier. Und wir machen es, weil es einfach ein Gebot der Menschlichkeit ist. Menschen, die in Not geraten sind und aus Not zu uns gekommen sind, denen unter die Arme zu greifen und ihnen zu helfen - das ist die Motivation. Und noch etwas, das uns Kraft dabei gibt, sind wirklich Erfahrungen, die wir mit Geflüchteten machen, von denen der überwiegende Teil der Helfer hier sagt: "Das hat mich bereichert."
    Dittrich: Wenn Sie das vergangene Jahr mal Revue passieren lassen, was war eine besonders positive Erfahrung oder auch Überraschung für Sie?
    Metzger: Es gibt ganz viele Begegnungen mit Geflüchteten, die meistens stattgefunden haben, unten am Bahnhof, als die Geflüchteten ankamen. Es gibt eine Begegnung, wenn ich die rauspicke: Ich war mitten in diesem Flüchtlingszelt, und meine Aufgabe war immer, mitten unter die Flüchtlinge zu gehen und mit ihnen Kontakt aufzunehmen, zu gucken, wie es ihnen geht. Und ich sehe plötzlich, wie eine Frau und ein kleiner Junge anfangen, gleichzeitig zu lachen und zu heulen und ich bin hingegangen, habe gefragt, was los ist. Da deuteten sie auf den Ausgang vom Flüchtlingszelt und haben dann auf Englisch gesagt – der kleine Junge hat auf Englisch gesagt: "Da draußen ist mein Papa." Ich bin raus gegangen an den Ausgang – in dem Bereich, wo also die Geflüchteten eigentlich nicht hin konnten, da standen zwei Männer. Der eine war der Vater, der lebte schon länger hier in der Nähe von Passau, hatte auch einen Aufenthaltsstatus. Und der kam jetzt an den Bahnhof und hat dort seine Frau und seine Kinder aus Syrien entdeckt, die da als Geflüchtete ankamen. Ich habe dann mit der Polizei Rücksprache genommen. Man hat sie zusammengeführt, die Polizei hat die Unterlagen überprüft, und dann, während die das machen habe ich die Leute gefragt, die sich da in den Armen lagen, wie lange habt ihr euch nicht gesehen. Und dann haben sie gesagt, seit einem Jahr, seit sie aus Aleppo fort sind. Das war für mich ein sehr bewegender Moment, vor allen Dingen, nachdem der Polizist dann kam und sagte, der Vater könne seine Familie mitnehmen.
    "Es gibt immer Frust"
    Dittrich: Gab es auch negative Erfahrungen?
    Metzger: Es gab mit Flüchtlingen, mit Geflüchteten selbst jetzt bei mir – ich denke gerade nach – eigentlich keine negativen, wirklich negativen Erfahrungen. Es gab Frust. Es gibt immer Frust. Es gibt Frust, wenn ein Flüchtling bei der Anhörung eben nicht seinen Status bekommt. Und man fragt dann nach, woran lag es? Und dann wurde eben auch nicht über das geredet, was ihn wirklich veranlasst hat, zu fliehen, weil er sich nicht getraut hat, weil es offene Wunden aufreißt, was im Interview nicht gefragt wurde und nicht gehört werden wollte. Das sind so negative Erfahrungen, die wir machen, wo wir das Gefühl haben, wir laufen ein bisschen mit den Geflüchteten an eine Wand ran, denn es geht nicht weiter. Wir betreuen Menschen, die teilweise in einer Endlosschleife von Kettenduldung sind, weil am Anfang was schief gegangen ist. Die wussten gar nicht, was das Interview ist, was sie da sagen sollen, was wichtig ist zu sagen. Und dann geht es mal schief, und dann sitzen sie da und dürfen nichts arbeiten. Sitzen da und starren die Wand an. Und da verändern sie sich, werden krank und werden frustriert und das frustriert uns Helfer auch. Und da fühlen wir uns hilflos, und das sind negative Erfahrungen.
    Dittrich: Nun hatten wir in der jüngeren Vergangenheit zwei Vorfälle, die Attacke im Regionalzug bei Würzburg und auch der Anschlag von Ansbach. Das waren Flüchtlinge, die zu islamistisch motivierten Attentätern wurden. Hat sich in Ihrer Wahrnehmung das Klima unter den Helfern dadurch verändert?
    Metzger: Nein. Würde ich so nicht sagen. Wir haben im Laufe der letzten Monate so viele Geflüchtete kennen gelernt. Wir haben erfahren, dass das Verhältnis zwischen freundlichen Menschen und auch unangenehmen Menschen ungefähr das gleiche unter Geflüchteten ist wie unter Deutschen. Und wir wissen deshalb, haben erfahren, dass die Mehrzahl der Geflüchteten dann einfach herkommen, weil sie endlich in Frieden leben wollen und sich dort auch wirklich Mühe geben. Und da arbeiten wir dran und versuchen auch, diese Menschen zu stützen und sehen es eigentlich auch als eine präventive Aufgabe an, um Menschen davor zu bewahren, dass sie – sagen wir mal – auf Grund von Frustration dann auch auf Abwege geraten.
    "Ich habe nicht mehr Furcht vor Flüchtlingen als vor deutschen Mitbürgern"
    Dittrich: In Deutschland gibt es aber ja schon eine große Debatte davor, ob man sich auch ein bisschen fürchten muss vor den einen oder anderen, die da kommen. Gibt es diese Debatte unter den Helfern nicht?
    Metzger: Also ich nehme sie nicht wahr. Ich nehme die bei mir selbst nicht wahr. Ich habe keine Furcht vor Flüchtlingen, ich habe nicht mehr Furcht vor Flüchtlingen als vor deutschen Mitbürgern. Und ich nehme es auch bei anderen nicht wahr. Jedenfalls nicht bei denen, die täglich mit Flüchtlingen zusammen sind. Das ist ja auch etwas, was man weiß, dass die Angst vor Fremden gerade da am größten ist, wo die wenigsten Berührungspunkte sind.
    Dittrich: Die ehrenamtlichen Helfer erledigen viele Aufgaben, die normalerweise der Staat leisten müsste, wenn es zum Beispiel um die Versorgung mit Lebensmitteln, mit Kleidung, mit Wohnraum geht. Zieht sich der Staat Ihrer Ansicht nach da teilweise zurück, weil das so gut funktioniert mit den ehrenamtlichen Helfern?
    Metzger: Das kann ich eigentlich ganz schlecht beurteilen, ob er sich da bewusst zurückzieht. Ich weiß nur, dass es einfach nicht geklappt hätte und nicht klappen würde, dass die Menschen aufgefangen werden, wenn nicht so viele Ehrenamtliche da wären, die da mithelfen. Das ist aber auch eine Stärke unserer Gesellschaft. Und was wir als Helfer brauchen ist, dass wir das Gefühl haben, dass die Politiker auch hinter uns stehen und uns ermutigen. Das ist noch mal viel, viel wichtiger, wenn man als Helfer nicht den Eindruck hat, dass im Grunde genommen manche Politiker gegen einen sind, wenn man Flüchtlingen hilft.
    "Es geht darum, dass wir diese Menschen versorgen"
    Dittrich: Herr Metzger, es ist nun bald ein Jahr her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Satz gesagt hat: "Wir schaffen das." Wie ist Ihr Eindruck? Schaffen wir das? Oder haben Sie manchmal auch Zweifel, ob es wirklich gelingen wird, hunderttausende von Menschen in die deutsche Gesellschaft zu integrieren?
    Metzger: Es ist eigentlich gar nicht die Frage, schaffen wir es oder schaffen wir es nicht? Wer hat da Recht? Das stellt sich mir nicht. Wir haben eine Aufgabe. Da kommen Menschen zu uns, und die gehören zu denen, die eben nicht zu den zweieinhalbtausend Menschen gehören, die in diesem Jahr bereits im Mittelmeer ertrunken sind auf der Flucht. Sondern die haben es geschafft. Die sind da. Und es geht darum, dass wir diese Menschen versorgen, ihnen helfen anzukommen. Wir haben ja keine andere Möglichkeit. Und umgekehrt zu sagen, wir schaffen es nicht, das raubt nur Kräfte. Dann schaffen wir es vielleicht wirklich nicht, wenn wir das die ganze Zeit hören. Wir müssen es schaffen. Und wir müssen uns Mühe geben. Wir werden nicht alles zu 100 Prozent richtig machen und erledigen, aber wir tun unser Bestes, hoffe ich jedenfalls. Also von den Helfern hier habe ich den Eindruck, um möglichst vielen Menschen hier eine Perspektive zu geben, dass sie ins Leben rein sehen. Und das ist das, was ich gemeint habe. Dazu brauchen wir auch Politiker, die bei dem Wunsch uns den Rücken stärken, und da bin ich froh an der Stelle, dass Frau Merkel mit diesem Satz so stur ist. Weil uns das nämlich den Mut gibt, es auch wirklich zu versuchen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.