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Flüchtlingskatastrophe in Südostasien
"Das wird kaum eine abschreckende Wirkung haben"

Der harte Umgang Malaysias, Thailands und Indonesiens mit Bootsflüchtlingen werde Asylsuchende nicht von einer Überfahrt abhalten, sagte der Grünen-Politiker Thomas Gambke, Vorsitzender der Parlamentariergruppe für südostasiatische Staaten, im DLF. Die dortigen Regierungen versuchten damit vor allem, von Problemen abzulenken.

Thomas Gambke im Gespräch mit Christiane Kaess | 15.05.2015
    Thomas Gambke (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Bundestag in Berlin.
    Gambke: "Das Problem liegt in der Tat aber im Wesentlichen in Myanmar." (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Christiane Kaess: In Südostasien wächst die Sorge um die Bootsflüchtlinge. Vor der Küste Indonesiens wies die Küstenwache erneut Boote mit Hunderten Flüchtlingen ab. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon appellierte an die Staaten Südostasiens, die verzweifelten Menschen nicht zurückzuweisen, auch Malaysia und Thailand haben bereits Flüchtlingsschiffe abgedrängt.
    Und mitgehört am Telefon hat Thomas Gambke. Er ist für die Grünen im Bundestag und ist dort Vorsitzender der Parlamentariergruppe für südostasiatische Staaten. Guten Tag, Herr Gambke!
    Thomas Gambke: Guten Tag!
    Kaess: Herr Gambke, Sie kennen die Region und die Verhältnisse. Warum bleiben die Regierungen dort so hart trotz dieser humanitären Katastrophe, die sich vor ihren Küsten abspielt?
    Gambke: Ich denke, dass es doch vor allen Dingen innenpolitische Gründe hat. Man will sich gegenüber der eigenen Bevölkerung wohl durch diese harte Haltung profilieren, teilweise sicher auch, von ein paar Problemen, die man intern hat, wenn ich an Thailand denke, aber auch an Malaysia denke, um davon abzulenken.
    "Harte Haltung wird von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt"
    Kaess: Welche Probleme sind das zum Beispiel?
    Gambke: Na ja, es gibt auch in diesen Ländern immer wieder Spannungen. In Indonesien war das ja mal sehr stark, obwohl ein muslimisches Land, gibt es eben dort relativ radikale Gruppen. Und das hat man einigermaßen befriedet. In Malaysia ist es so, dass Sie vielleicht mitbekommen haben, dass man einzelne Personen oder Personengruppen der Opposition, prominenteste Person ist Anwar Ibrahim, den man ins Gefängnis gesteckt hat. Thailand hat in den ganzen Jahren immer wieder die Auseinandersetzung mit muslimischen Minderheiten im Süden, aber auch zur Grenze nach Myanmar. Also, alle sind in einer Situation, wo sie Schwierigkeiten haben, mit den Minderheiten wirklich umzugehen. Und da zeigt es sich oft, dass eine harte Haltung von der Mehrheit der Bevölkerung durchaus unterstützt wird.
    Kaess: Auf der anderen Seite, daran appellieren jetzt die Vereinten Nationen immer wieder, an die völkerrechtliche Pflicht, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Ist das den betroffenen Staaten egal, dieser internationale Appell?
    Gambke: Nein, durchaus nicht. Ich spreche relativ häufig mit Parlamentariern und die sind sich durchaus bewusst, dass wir da kritisch drauf schauen. Insbesondere, wenn man sich auch die Größenordnung anschaut: Die Asean-Länder, also die zehn Länder von Myanmar bis Indonesien umfassen mehr als 600 Millionen Menschen und es geht hier um die Rohingyas, das wurde ja in dem Bericht gesagt, das ist eine Bevölkerungsgruppe von knapp einer Million, also doch gar nicht so viele Personen eigentlich im Verhältnis zu der Gesamtbevölkerung. Und da sollte es eigentlich möglich sein, denen ein Leben in Menschenrechten zu erlauben. Das Problem liegt in der Tat aber im Wesentlichen in Myanmar, wo sie eben verfolgt werden und keinerlei - nicht wirklich die Basisbürgerrechte genießen.
    "Guckt euch doch erst mal im Mittelmeer um, bevor ihr zu uns guckt"
    Kaess: Aber der Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, das unterstreicht ja das, was wir gerade im Bericht von Thailands Premierminister gehört haben, der sagt, glauben Sie denn, wir könnten 3.000 bis 4.000 Menschen aufnehmen, und er fragt, wo sollen die denn hin, erwarten Sie nicht, dass das geschieht, dass wir die hier aufnehmen! Und wenn man sich auf der anderen Seite anschaut, Thailand hat 70 Millionen Einwohner. Geht es dem Land wirtschaftlich tatsächlich so schlecht, dass man nicht mit 3.000 Flüchtlingen im Land umgehen könnte?
    Gambke: Nein, man kann da durchaus mit umgehen. Vor allen Dingen, wenn man weiß, dass an der Grenze zu Myanmar rund 140.000 Menschen jetzt schon in Flüchtlingslagern leben, teilweise unter auch sehr, sehr schlechten Bedingungen, und das ist vielleicht noch diplomatisch ausgedrückt. Thailand hat da begonnen, etwas zu tun, sich auch versucht jetzt zu verständigen, aber letztendlich sind jetzt die Größenordnungen, über die wir reden, knapp 10.000 Menschen, wobei das Einzelschicksale sind, aber letztendlich eine Gruppe von Menschen, die man durchaus aufnehmen könnte. Ich glaube, es geht mehr ums Prinzip. Wobei wir natürlich als Europäer im Moment, wenn Sie die Situation im Mittelmeer sehen, den Streit darum, wo man und wie man Flüchtlinge aufnimmt, natürlich nicht die sind, die jetzt sehr, sehr kräftig sozusagen Menschenrechte anmahnen sollten. Da wird uns sehr schnell entgegengehalten - und das ist mir passiert -, guckt euch doch erst mal im Mittelmeer um, bevor ihr zu uns guckt!
    Kaess: Bleiben wir noch mal kurz in Südostasien, Sie haben das schon angesprochen, es geht ja tatsächlich offenbar um Abschreckung, also als Taktik. Die Flüchtlinge, das wissen wir, sind vor allem muslimische Flüchtlinge aus Myanmar, die dort verfolgt werden, zu einer Minderheit gehören. Glauben Sie, dass diese Abschreckungstaktik aufgehen könnte? Denn diese Menschen fliehen ja letztendlich aus Myanmar, auch um ihr Leben zu retten.
    Gambke: Ich glaube nicht, dass diese Abschreckungstaktik wirklich aufgeht. Denn die Wege sind natürlich vielfältig, die gegangen werden können. Und wenn man jetzt einzelne Boote wieder zurückschickt aufs offene Meer, dann wird das kaum eine abschreckende Wirkung haben, zumal der Einzelne, der eben in Myanmar verfolgt wird, Rohingya, und dieser Druck im Moment zumindest nicht abnimmt. Denn wir kennen wirklich keine guten jetzt Gespräche, die der Staat Myanmar mit den Rohingyas führt. So wird der Druck intern in Myanmar nach wie vor da sein, die Einzelnen werden nicht wissen, was sie sozusagen erwartet, und werden nach wie vor versuchen - sicher auch angeleitet beziehungsweise durch Schlepperbanden und Schlepper, die Geld dafür bekommen, geleitet -, werden sie versuchen, nach Indonesien, nach Malaysia und Thailand zu kommen.
    "Wirtschaftliche Kraft durchaus einsetzen"
    Kaess: Herr Gambke, wer kann Druck auf diese Staaten ausüben? Gibt es eventuell Entwicklungshilfe, eventuell sogar aus Deutschland, die man als Druckmittel einsetzen könnte?
    Gambke: Es ist so, dass wir ja gerade aufgrund des Militärputsches vor einem Jahr in Thailand durchaus schon da Druck machen, gar nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage, dass wir mit Indonesien reden und auch in dem Gespräch - ich bin in einer indonesisch-deutschen Gruppe, die eingesetzt ist, um die Verständigung zwischen den beiden Gruppen zu verbessern -, da versuchen wir, Menschenrechte einzufordern, die im Übrigen Asean-Staaten 2007 unterschrieben haben. Aber sie haben etwas gemacht, was zum Beispiel in Europa anders aussieht, sie haben sich dazu verpflichtet, nicht in andere Staaten einzugreifen. Das heißt also, die Umsetzung der Menschenrechte ist die Pflicht eines jeden einzelnen Staates, es ist nicht mit Sanktionen bewährt, sodass jeder einzelne Staat selber sozusagen sich mit der Umsetzung der Menschenrechte beschäftigen muss.
    Kaess: Noch mal die konkret die Frage nach einem möglichen Druckmittel: Gibt es so etwas wie Entwicklungshilfe, die dazu verwendet werden könnte? Beziehungsweise, Sie haben selber mal geschrieben, die Region Südostasien ist als Wirtschaftspartner für Deutschland zunehmend interessant. Gibt es da Ansätze, die man als Druckmittel in der Situation gebrauchen könnte?
    Gambke: Ja. Das Zweite ist, glaube ich, der wichtige Punkt. Südostasien ist sehr interessiert - übrigens auch im Gegenpol zu China oder meinetwegen auch zu Japan -, mit den Europäern ins Geschäft zu kommen, sodass wir unsere wirtschaftliche Kraft sozusagen, das heißt unsere Attraktivität, dort Investitionen zu tätigen, durchaus einsetzen können und auch einsetzen sollten. Ich glaube, dass es nicht nur eine Verpflichtung unserer Regierung ist, das entsprechend geltend zu machen, sondern auch der Unternehmen, der Wirtschaft, darauf hinzuweisen: Wir wollen eigentlich nur mit euch dann Geschäfte machen, wenn ihr die Menschenrechte einhaltet. Und dazu gehört es ...
    "Deutsche könnten noch eine stärkere Stimme haben"
    Kaess: Entschuldigung, wenn ich unterbreche: Sehen Sie, dass das schon passiert, gibt es da Ansätze dafür?
    Gambke: Ich sehe das bei Einzelnen, aber ich kann mir vorstellen, dass sich das noch verstärken lässt, dass also Einzelne, wenn ich mit ihnen spreche, sich dessen durchaus bewusst sind, aber dann immer wieder natürlich auch die eigenen nationalen Interessen, das heißt deutschen Interessen eine Rolle spielen. Ich glaube aber, dass wir als Deutsche insgesamt da noch eine stärkere Stimme haben können, denn die Leute dort unten hören auf uns.
    Kaess: Sagt Thomas Gambke, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Er ist Vorsitzender der Parlamentariergruppe für südostasiatische Staaten. Danke für das Gespräch, Herr Gambke!
    Gambke: Gerne, da nicht für!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.