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Flüchtlingskonzert in Berlin
Gelungene Symbolveranstaltung

Die Berliner Staatskapelle, das Konzerthausorchester und die Berliner Philharmoniker haben ein "Sonderkonzert für Flüchtlinge und Helfende" gegeben. Am Pult standen dabei Daniel Barenboim, Ivan Fischer und Sir Simon Rattle. Die hohe musikalische Qualität der Veranstaltung verhinderte, dass sie sich in in eine selbstbezügliche Gesinnungsfeier verwandelte, meint unsere Rezensentin.

Von Julia Spinola |
    Blick in den Konzertsaal der Philharmonie Berlin
    Philharmonie Berlin (Deutschlandradio / Manfred Hilling)
    Der Andrang ist enorm. 5.000 Kartenwünsche hat es gegeben. Mit guten 2.200 besetzten Plätzen ist der Saal jetzt rappelvoll. Und tatsächlich ist der Anteil der Flüchtlinge im Publikum mit geschätzten 70 Prozent höher als erwartet. Daniel Barenboim ist als Begründer des West-Eastern Diwan Orchesters in der arabischen Welt der bekannteste der drei Dirigenten dieses Abends. Er wird mit tosendem Applaus und Pfiffen, beinahe wie ein Popstar begrüßt und wirkt hoch involviert, ja beinahe aufgeregt, als er zur Begrüßung jenes Publikums, um das er sich seit Jahrzehnten bemüht, selber ein paar Sätze auf Arabisch spricht. Dann wendet er sich mit seinen weiten, wie väterliche Umarmungen wirkenden Dirigiergesten dem Orchester zu, setzt sich an den Flügel und spielt in einem überirdisch mild und gelöst klingenden Ton Mozarts d-Moll-Klavierkonzert KV 466.
    "Das neue, tolerante Europa entwickelt sich vor unseren Augen"
    Wie mag es sich anfühlen, aus der Not der Flüchtlingsunterkünfte in die Philharmonie zu kommen? Die vierfache Mutter aus dem irakischen Mossul, die vor sechs Monaten mit ihren Kindern übers Meer geflohen ist, fühlt sich in der Sammelunterkunft im Berliner Kongresszentrum ICC vor Übergriffen nicht geschützt. Ihre große Sorge gilt vor allem den beiden Töchtern, die 14 und 15 Jahre alt sind. In einem Konzert ist sie vorher noch nie gewesen. In mein Mikrofon mag sie nicht sprechen. Sie ist voller Angst. Ist es angesichts der Traumatisierung dieser Frau nicht geradezu dekadent, anzunehmen, dass man sie mit einer geschenkten Karte für die Philharmonie trösten kann? Noch der himmlischste Mozart wird ihr die Albträume nicht nehmen, noch der kühnste Beethoven kann sie und ihre Töchter nicht vor jenem alltäglichen Horror beschützen, den sie auch in Deutschland erlebt.
    "Was wir jetzt erleben, ist eine wunderbare Verwandlung. Das neue, tolerante Europa entwickelt sich vor unseren Augen."
    Der Chefdirigent des Konzerthausorchesters Iván Fischer versucht, in seiner mitreißenden konzilianten Art Optimismus zu verbreiten.
    Tobender Applaus
    So klingt auch seine Interpretation von Prokofievs Symphonie mit dem ausgezeichnet transparent und präzise spielenden Konzerthausorchester: leichtfüßig, beschwingt und augenzwinkernd. Das Selbstverständnis der Berliner Philharmoniker mit ihrem Chefdirigenten Sir Simon Rattle ist ein ganz anderes. Als berufene Kulturbotschafter Deutschlands bieten sie mit Beethoven die großen humanistischen Ideen auf. Wie sie das tun, geht unmittelbar unter die Haut. In den zweiten Satz der Siebten Symphonie von Beethoven legt Rattle mit betroffener Schmerzensmiene die gesamte Trauer dieser Welt. Unmittelbar anschließend hebt das Orchester mit dem jubelnden Freiheitspathos des Schlusssatzes schier ab. Mit Rücksicht auf die Länge des Abends, wurde die Symphonie auf diese zwei Sätze gekürzt. Vielleicht ging es aber auch darum, die Dramaturgie eines "per aspera ad astra", die dieser Symphonie zugrunde liegt, aufs Überdeutliche zu komprimieren.
    Symbolveranstaltungen wie dieses Konzert, dessen Geste am Schicksal der traumatisierten Menschen selbstverständlich nichts ändern kann, sind grundsätzlich nie vor der Gefahr gefeit, sich allem guten Willen zum Trotz in selbstbezügliche Gesinnungsfeiern zu verwandeln. Dass dies an diesem Abend nicht geschah, lag interessanterweise gerade an der hohen musikalischen Qualität des Abends. Alle drei Dirigenten und ihre Musiker hatten sehr konkret und sehr eindringlich etwas zu sagen. Hätten sie auf musikalischer Ebene Sprechblasen produziert, wie man sie aus manch floskelhafter Politikerrede kennt, dann wäre die Botschaft sicher verpufft. So aber gab es nach jedem Satz einen leidenschaftlich tobenden Applaus im Saal, wie ihn die Berliner Philharmonie noch selten erlebt haben dürfte.