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Flüchtlingslager Piräus
"Hier hausen wir wie die Tiere"

Am Hafen von Piräus in den Ausläufern der griechischen Hauptstadt Athen gibt es ein ähnliches Lager wie Idomeni. Ebenfalls inoffiziell, ebenfalls von der Räumung bedroht. Manche Bewohner sprechen bereits von der Rückkehr in die Kriegsgebiete in Syrien oder Afghanistan.

Von Victoria Reith | 06.06.2016
    Inoffzielle Flüchtlingsunterkünfte am Hafen von Piräus in Griechenland.
    Inoffzielle Flüchtlingsunterkünfte am Hafen von Piräus in Griechenland. (deutschlandradio.de / Victoria Reith)
    Der Hafen von Piräus, wenige Kilometer südwestlich der griechischen Hauptstadt Athen. In einem inoffiziellen Lager leben hier derzeit rund 1.500 Flüchtlinge in Iglu-Zelten, die auf dem Asphalt stehen. "Refugees welcome to Piraeus" ist an eine Containerwand gesprayt, auf einer Betonabsperrung ein weiteres Graffiti: "Gegen Staat, Kapitalismus und die Festung Europa. Solidarität mit Migranten und Flüchtlingen." Einige der Bewohner vertreten sich am Hafen die Beine, viele hocken vor oder in ihren Zelten.
    Waiel Al-Yassin stammt aus Deir ez-Zor in Syrien, er ist seit drei Monaten in Griechenland. Er kam über die Türkei und die Insel Chios nach Athen. Eigentlich wollte er, wie die meisten anderen, weiter nach Westeuropa, aber dann hielt ihn die Polizei auf.
    "Zuerst waren es zwei Tage, drei Tage, zehn Tage, daraus wurden mehr als zwei Wochen. Dann hat die EU den Deal mit der Türkei abgeschlossen und die Grenze dicht gemacht. Jetzt sitzen wir hier - und warten auf Nichts."
    Am Hafen von Piräus gibt es nicht viel zu tun - die Armee verteilt Essen, Freiwillige haben Englischkurse organisiert und Sportmöglichkeiten geschaffen. Zeitweise jagen 30 Kinder einem Ball hinterher. Waiel Al-Yassin will aber keine Ablenkung, sondern eine Perspektive.
    "Wenn sich nichts ändert, bleibe ich nicht. Für mich ist es besser, nach Hause zurück zu gehen und dort zu sterben. Ich weiß, wenn ich zurückgehe, werde ich im ersten Moment sterben. Ob durch den IS oder andere. Aber hier hausen wir wie die Tiere."
    Erste Flüchtlinge treten den Weg zurück an
    Einzelne sollen das Camp nach Angaben von Helfern bereits wieder gen Heimat verlassen haben. Von der Insel Chios aus haben einige Migranten versucht, 15 Kilometer in die Türkei zurück zu schwimmen - bis sie von der Seenotrettung aus dem Wasser gezogen wurden.
    Waiel Al-Yassin will am liebsten nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Frankreich. Der 34-Jährige ist IT-Ingenieur - und er sieht in Griechenland keine berufliche Perspektive. Er hatte große Hoffnungen - die konnte Europa, so viel lässt sich nach drei Monaten auf dem Asphaltboden von Piräus sagen - nicht erfüllen.
    "Sie können sich das nicht vorstellen. Wir haben zu Hause alles verlassen. Ich habe versucht von Anfang an hier einen Neustart versucht. Aber es passiert nichts. Wenn es so bleibt, wird es uns zerstören."
    Auch Piräus soll demnächst geräumt werden
    Innerhalb Griechenlands müsste er nun Umziehen in ein offizielles Lager und Asyl beantragen. Doch der Antrag funktioniert bislang nur theoretisch - der dazu eingerichtete Skype-Videochat ist meistens überlastet - abgesehen davon, dass viele Flüchtlinge in den Camps kaum die Möglichkeit haben, mit ihren Smartphones ins Internet zu gehen. Die griechische Regierung hat angekündigt, die Vorregistrierung in 40 Zentren nun auch persönlich vornehmen zu lassen - parallel zu Skype.
    In den offiziellen Lagern unterscheiden sich die Standards immens: Am alten Athener Flughafen Ellinikon sind zwischenzeitlich Hunderte Migranten in Hungerstreik getreten, unter anderem wegen der schlechten hygienischen Bedingungen. Andere Lager wie Eleonas im Zentrum von Athen sind besser organisiert und die Menschen haben Zugang zur Infrastruktur der Hauptstadt. Wenn Piräus also demnächst, wie angekündigt, geräumt wird, wissen die Flüchtlinge nicht, ob sich ihre Situation verbessern wird.
    Vier junge Afghanen zwischen 15 und 21 sitzen unter einem Vordach. Einer von ihnen hat sich die Blockflöte einer Helferin geliehen. Auch die jungen Männer warten darauf, dass sich politisch etwas bewegt.
    "Wann wird die Grenze geöffnet? Oh mein Gott! Vier Monate schlafen wir jetzt schon im Zelt."
    Sie sehen zahlreiche kleine Zelte am Hafen von Piräus.
    Zelte im Hafen von Piräus, in denen Flüchtlinge leben (picture-alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    In den Zelten sei es tagsüber zu heiß, nachts bitterkalt, es regne hinein, erzählt Suleiman, der Jüngste der vier. Außerdem gönnt man sich untereinander nicht viel.
    "Wasser und Essen kriegen nur die Syrer. Die Afghanen nicht. Das ist ein Problem. Also streiten wir uns!"
    Arne Gorter ist freiwilliger Helfer aus den Niederlanden. Er sagt, es gebe genug Nahrung für alle, auch wenn Makkaroni oder Kartoffelbrei nicht unbedingt das seien, was man im arabischen Raum so gewohnt sei. Das Hauptproblem sei ein anderes.
    "Das tiefe Gefühl der Unsicherheit zieht die Leute am meisten herunter. Wo werde ich in einem halben Jahr sein? Sie wissen es nicht. Vor allem die jungen Männer haben nichts zu tun. Sie haben viel Energie. Dann kommt es zu Schlägereien und Spannungen."
    Vor wenigen Tagen musste 18-Jähriger nach einem Streit ins Krankenhaus gebracht werden. Ein junger Syrer wurde verhaftet, weil er die Offiziere der Küstenwache mit einem Spring-Messer bedrohte, als die seine Personalien aufnehmen wollten. Alltag im inoffiziellen Lager in Piräus.