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Flüchtlinge in Griechenland
Abschiebung in die Türkei gestoppt

Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei scheint auch auf der anderen Seite der Ägäis zu scheitern. Denn in Griechenland stellt sich beim Asylverfahren die Frage: Ist die Türkei überhaupt ein sicheres Drittland? Eine Asylkommission hat diese Frage nun bei der geplanten Abschiebung eines Syrers in zweiter Instanz verneint.

Von Rodothea Seralidou | 26.05.2016
    Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze im März 2016.
    Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze im März 2016. (picture alliance / dpa / Georgi Licovski)
    In den Büros des griechischen Flüchtlingsrates. Rechtsanwältin Eleni Koutsouraki bespricht mit einer Kollegin die aktuellen Fälle. Die Nichtregierungsorganisation bietet Flüchtlingen kostenlosen Rechtsbeistand an, zum Beispiel im Asylverfahren. Flüchtlingen auf den griechischen Inseln, deren Asylgesuche zurzeit als unzulässig abgewiesen werden, mit der Begründung, dass diese in der Türkei internationalen Schutz beantragen könnten, hilft die Organisation, dagegen vorzugehen.
    So auch im Falle eines jungen Mannes aus Syrien. Laut EU-Türkei-Abkommen müsste er eigentlich zurück in die Türkei geschickt werden. Der 26-jährige Syrer legte aber mithilfe des griechischen Flüchtlingsrates Einspruch ein. Und der Berufungsausschuss gab ihm recht - mit der Begründung, dass die Türkei für ihn kein sicherer Drittstaat sei, erklärt Koutsouraki:
    "In diesem konkreten Fall hat der Ausschuss entschieden, dass der Antragsteller nicht den nötigen Bezug zur Türkei hat – so wie das Gesetz es vorsieht -, und dass der ablehnende Asylbescheid die zahlreichen Fälle ignoriert, in denen die Türkei Flüchtlingen die Einreise verweigert oder sie mit Gewalt zurück an die syrische Grenze bringt."
    Aus Sicht der Anwältin bietet die Türkei Flüchtlingen nicht den vollen Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention und erfüllt damit nicht die Kriterien eines sicheren Drittstaates. Nun muss das Asylgesuch des Mannes in Griechenland untersucht werden. Und da der Krieg in seiner Heimat Syrien weitergeht, ist es so gut wie sicher, dass er in Griechenland bleiben darf und Asyl bekommen wird.
    Entscheidung könnte zum Leitfaden werden
    Die Entscheidung im Falle des jungen Syrers ist die bisher einzige, die nach dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Abkommens vom 18. März in zweiter Instanz gefällt wurde. Zwar ist sie rechtlich nicht bindend für andere Fälle, die derzeit geprüft werden; die anderen Berufungsausschüsse könnten sie aber durchaus als eine Art Leiturteil sehen, sagt Giorgia Spyropoulou von Amnesty International.
    "Diese Ausschüsse sind unabhängig. Sie bestehen aus Experten für Asylfragen. Gerade, weil diese erste Entscheidung darauf basiert, dass die Türkei das Prinzip der Nicht-Rückführung nicht einhält und dass sie den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention nicht gewährleistet, gehen wir davon aus, dass auch die anderen Ausschüsse ähnlich entscheiden werden.”
    Zwar könnte die griechische Regierung diese Entscheidungen der Asylexperten theoretisch vor Gericht anfechten. Das würde aber zu langjährigen Prozessen führen und sei deshalb mehr als unwahrscheinlich, sagt Spyropoulou. Die Konsequenz: Die Umsetzung des Abkommens, demzufolge Griechenland die Flüchtlinge in die Türkei zurückschicken muss, könnte schon bald blockiert werden. Doch nicht alle Beteiligten sehen in der Entscheidung derart gravierende Folgen. Panos Karvounis ist Chef des griechischen Büros der EU-Kommission:
    "Für die Europäische Union ist das eine Einzelentscheidung. Sie zeigt, dass jeder Fall individuell geprüft wird und das belegt, dass Griechenland und Europa die Rechte der Flüchtlinge schützen. Wir müssen weitere Entscheidungen der Berufungsausschüsse abwarten. Erst dann wissen wir, welche Konsequenzen das haben könnte.”
    Die juristische Lage wäre deutlich einfacher, sagt Karvounis, wenn die griechische Regierung die Türkei zu einem sicheren Drittstaat erklären würde - was Athen aber auch mit der jüngsten Asylreform vom April dieses Jahres nicht getan hat.
    "Für die Europäische Union”, so Karvounis, "ist die Türkei für Flüchtlinge durchaus ein sicheres Land.” Menschenrechtsorganisationen widersprechen. Amnesty International hat mehrfach Menschenrechtsverletzungen in der Türkei dokumentiert und sich von Anfang an gegen den Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei ausgesprochen.