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Flüchtlingspolitik
"Grenzöffnung führt zu nichts"

Ein Urteil über den Erfolg des EU-Türkei-Deals sei verfrüht, sagte Horst Teltschik, Ex-Chef Münchner Sicherheitskonferenz und ehemaliger Berater von Helmut Kohl, im Deutschlandfunk. Die Situation in Idomeni sei auch eine andere als noch letztes Jahr an der ungarischen Grenze, verteidigt er die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Horst Teltschik im Gespräch mit Christine Heuer | 11.04.2016
    Der ehemalige Kanzleramts-Vize Horst Teltschik spricht beim Festakt anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung des Landes Thüringen und der Konstituierung des Thüringer Landtags.
    Der ehemalige Kanzleramts-Vize Horst Teltschik spricht beim Festakt anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung des Landes Thüringen und der Konstituierung des Thüringer Landtags. (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    Christine Heuer: Immer weniger Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Zu verdanken haben wir das denen, die die Balkan-Route dichtgemacht haben, allen voran Österreich und der Türkei, die Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt gegen umstrittene Gegenleistungen. Der deutschen Bundesregierung reicht das aber nicht aus. Kanzlerin Angela Merkel, als Flüchtlingskanzlerin von den einen gefeiert, von den anderen, vor allem der CSU, heftig unter Beschuss, hat jetzt gesagt, sie wolle ein Abkommen wie mit der Türkei möglichst bald auch mit Libyen schließen. Geht das überhaupt? Und wie ist es mittlerweile eigentlich um die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik bestellt?
    - Das möchte ich jetzt mit Horst Teltschik besprechen, der in dessen Kanzlerschaft Helmut Kohl beraten hat und später Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz war. Guten Morgen, Herr Teltschik.
    Horst Teltschik: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Angela Merkel will also mit Libyen ein Abkommen wie mit der Türkei. Halten Sie das für eine gute Idee?
    Teltschik: Im Grundsatz hat es ja schon mit Gaddafi eine Vereinbarung gegeben. Denn schon zu dessen Zeiten sind ja viele afrikanische Flüchtlinge über Libyen nach Europa gelangt. Von daher ist natürlich die Überlegung, jetzt mit Libyen eine ähnliche Vereinbarung zu erreichen, logisch. Nur die Frage ist: Gibt es die dazu notwendige Autorität in Libyen? Es ist ja ein deutscher Diplomat im Auftrag der UNO, Herr Kobler, unterwegs in Libyen, um überhaupt erst einmal eine Einheitsregierung zustande zu bringen. Es gibt jetzt einen ernannten oder gewählten, ich würde sagen ernannten, Ministerpräsidenten, der jetzt erst einmal in der Hauptstadt Fuß fassen muss, eine Regierung bilden muss. Und das wird noch Zeit brauchen. Wenn wir Pech haben, kann das Monate brauchen. Die Zielsetzung der Bundeskanzlerin ist richtig, aber die Voraussetzungen fehlen.
    Heuer: Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten, die Sie beschrieben haben, ist der IS ja auch stark und wird immer stärker in Libyen. Kann man mit so einem Land ein Abkommen schließen, ohne andere ganz große Risiken einzugehen?
    Teltschik: Abkommen kann man auch mit autoritären Regierungen schließen, muss man notwendigerweise auch dazu bereit sein. Denken Sie an den Kalten Krieg, was wir alles mit der Sowjetunion vereinbart haben, was wir mit China unter Mao. Ich erinnere mich noch, wie stolz deutsche Politiker waren, dass sie in China von Mao empfangen worden sind, obwohl bekannt war, dass 40 Millionen Menschen zu seiner Zeit ums Leben gekommen sind. Da haben wir keine große Wahl. Auch die Türkei ist ja ein problematisches Land inzwischen unter Erdogan. Dennoch haben wir keine Alternative.
    Heuer: Wir müssen unser Wohl in die Hände autokratischer Regime legen, jedenfalls zum Teil? Sind wir soweit?
    Teltschik: Keine Alternative zur Verhandlung auch mit Diktatoren
    Teltschik: Ja, längst, denn mehr als die Hälfte aller Regierungen weltweit sind nicht demokratisch. Und wenn wir Katastrophen eindämmen wollen, wenn wir helfen wollen, dann müssen wir auch mit Autokraten, mit Diktatoren zusammenarbeiten. Schauen Sie sich jetzt nur den europäischen Raum an. Die aktuelle Krise in Nagorny Karabach. Dort haben Sie in Aserbaidschan auch keine Demokratie und müssen doch alles tun, damit dieser Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan zumindest eingedämmt wird, wenn nicht sogar hoffentlich gelöst wird. Da müssen wir auch mit Autokraten reden. Wir haben die Alternative nicht.
    Heuer: Aber ist es nicht inzwischen so, Herr Teltschik, ich sage jetzt nur mal das Schlagwort Jan Böhmermann, die Debatte, die wir da jetzt haben um Pressefreiheit, die wir nicht mehr per se nach außen jedenfalls verteidigen? Destabilisieren wir uns inzwischen nicht selbst mit diesen Handeln, die wir da abschließen?
    Teltschik: Ja, Frau Heuer, die Frage muss man ja trennen. Wie gehen wir mit Autokraten vor Ort um, wenn wir mit ihnen Verhandlungen führen, um Krisen zu lösen? Was die Pressefreiheit betrifft, ist das ein innenpolitisches Thema. Und da kann und darf uns von außen niemand hineinreden. Da muss man einfach auch Rückgrat zeigen und die eigenen Maßstäbe gelten lassen und durchsetzen. Das sind zweierlei Ebenen.
    Heuer: Rückgrat ist ein gutes Stichwort. In Idomeni setzt die mazedonische Polizei gerade Tränengas gegen Flüchtlinge ein und Angela Merkel schweigt. Das hat sie nicht getan, als die Flüchtlinge in Ungarn gestrandet waren. Da hat sie gesagt, die können nach Deutschland kommen. Dieses Schweigen jetzt, ist das die richtige Lehre nach dem Ärger, den sie wegen dieser Entscheidung vom September letzten Jahres hatte?
    Teltschik: Es ist auch hier die Situation eine andere. Die schrecklichen Bilder an der ungarischen Grenze haben die Bundeskanzlerin aus meiner Sicht zurecht bewegt, zu sagen, wenn Österreich bereit ist, dann sollten wir die Grenzen öffnen und die Flüchtlinge aufnehmen. Wenn Mazedonien seine Grenze öffnen würde, würde sich ja nichts ändern. Dann würden sie an der nächsten Grenze stranden, ob das an der Grenze zu Serbien oder Albanien oder Bulgarien oder Kosovo wäre. Zum anderen hat die griechische Regierung insgesamt 40 Lager inzwischen zur Verfügung gestellt, um die Flüchtlinge in Idomeni zumindest vorübergehend aufzunehmen, vor allem mit dem Ziel, dass sie dort Asylanträge stellen können. In Idomeni wie in Piräus können die Flüchtlinge keine Asylanträge stellen und sie scheinen von Agitatoren unter den Flüchtlingen ständig aufgehetzt zu werden. Seit Wochen bieten die Griechen Busse an, um die Flüchtlinge in diese Lager zu transportieren. Das ist zumindest eine bessere Lösung als heute. Aber Grenzöffnung führt zu nichts.
    Heuer: Wir profitieren jetzt in Deutschland von der Schließung der Balkan-Route. Sie haben Recht, wenn die Flüchtlinge nach Mazedonien kämen, wären sie noch lange nicht in Deutschland. Aber diejenigen, die die Balkan-Route geschlossen haben, die hat die Bundesregierung immer kritisiert. Ist das ein Eingeständnis, dieses Schweigen jetzt, auch darüber, dass unsere Flüchtlingspolitik, die der Kanzlerin gescheitert ist?
    Teltschik: Prozess gerade erst in Gang gekommen
    Teltschik: Nein. Das wäre ein Urteil, das mehr als verfrüht wäre. Jetzt beginnt ja erst die Prozedur der Vereinbarungen mit der Türkei. Es sind die ersten Flüchtlinge rückgeführt worden, die kein Recht auf Asyl bei uns erhalten können. Und das ist reibungslos verlaufen. Gleichzeitig sind in gleichem Maßstab Flüchtlinge aus der Türkei ordentlich in Deutschland, wenn Sie so wollen, integriert worden oder überführt worden. Das ist ein Prozess, der gerade erst in Gang gekommen ist. Und da muss man jetzt erst mal die Erfahrungen sammeln. Jetzt schon zu sagen und zu tönen, das Ganze ist gescheitert oder das muss dort und dort verbessert werden, das ist viel zu früh.
    Heuer: Angela Merkel hat entschiedene, auch leidenschaftliche Gegner. Helmut Kohl, der Kanzler, den Sie beraten haben, möchte sich noch im April mit einem von denen, nämlich mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán treffen. Hätten Sie dem Altkanzler davon abgeraten?
    Teltschik: Ja und nein. Überraschend ist es schon, denn Viktor Orbán trifft Entscheidungen, die zumindest sowohl innenpolitisch wie außenpolitisch mit Fragezeichen zu versehen sind. Er wird nach innen auch immer radikaler und was seine Europapolitik betrifft ist er alles andere als hilfreich. Wenn Helmut Kohl eine Chance sieht, positiv auf Viktor Orbán einzuwirken, dann kann man das nur begrüßen. Ob das möglich ist, darüber muss der Altbundeskanzler selber entscheiden.
    Heuer: Horst Teltschik, ehemaliger Berater von Helmut Kohl und früher Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Teltschik, haben Sie vielen Dank dafür.
    Teltschik: Gerne, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.