
Mit zwölf Jahren kam Nevros Duman mit ihren Eltern nach Hessen. Die türkische Kurdin sprach kein Wort Deutsch. Sie besuchte die Hauptschule, verstand anfangs nichts. "Ich sollte zurechtkommen mit dem, was die anderen machten", erinnert sich die heute 24-Jährige. Unterstützung für das phasenweise verstummte Mädchen? – Fehlanzeige.
"Keine Sprachkurse, denn Geduldete und Flüchtlinge, die keinen Aufenthaltsstatus haben, sind einfach von Sprachkursen ausgeschlossen."
Ihren guten Hauptschulabschluss hat sich Nevros Duman erkämpft - gegen ein Bildungssystem, das sie als Seiteneinsteigerin ausgrenzte. Als Mitglied von "Jugendliche ohne Grenzen" will die junge Frau die deutschen Kultus- und Innenminister davon überzeugen, Bildung und Ausbildung junger Flüchtlinge nicht länger von deren Aufenthaltsstatus abhängig zu machen. Der Berufsschullehrer Jochen Steinacker wirbt dafür, dass die Jugendlichen mehr Zeit bekommen, um Schulbildung nachzuholen, die in Armut und Kriegswirren auf der Strecke blieb. "In ein, zwei Jahren einen Hauptschulabschluss zu erreichen, schafft die breite Masse der jungen Flüchtlinge in unseren übervollen Klassen nicht", bilanziert der stellvertretende Leiter der Frankfurter Wilhlem-Merton-Schule:
"Wir haben junge Leute, die alphabetisiert werden müssen und große Probleme bislang hatten, überhaupt eine schulische Erfahrung zu machen. Wir müssen die Jugendlichen bereits nach einem, maximal zwei Jahren aus der Schule entlassen, ohne dass sie eigentlich mit den Deutschkenntnissen versorgt wären, um eine schulische oder berufliche Ausbildung anschließen zu können."
Mehr Förderung für Flüchlinge
Insgesamt seien die schulischen Kapazitäten für junge Flüchtlinge viel zu knapp bemessen. Das war lange Zeit auch in Bayern so. Deshalb gründete der Deutschlehrer und langjährige Pro-Asyl-Menschenrechtsexperte Michael Stenger dort seine SchlaU-Schule – SchlaU steht für "schulanaloger Unterricht". Die Schule wird öffentlich, aber auch aus Spenden und Stiftungsmitteln finanziert.
"Flüchtlinge brauchen eine wesentlich höhere soziapädagogische Betreuung in der Schule, damit man sich um ihre Wehwehchen kümmert. Denn in dem Moment, wo man sich um sie kümmert, wird ihr Kopf frei und dann schaffen sie Hauptschulabschlüsse, die es in diesen Quoten schlicht und einfach nicht gab vorher."
Von weit über 90 Prozent nämlich. Allerdings sind dafür Alphabetisierungskurse, Trauma-Pädagogik und intensive Supervision für stark geforderte Lehrkräfte nötig. Das alles wäre eine staatliche Aufgabe, meint Michael Stenger. Doch so lange die Bundesländer diese Verantwortung nicht voll und ganz übernehmen, will er mit seiner mischfinanzierten Schule zeigen, wie es geht. Außerdem wirbt er bei den Kultusministern dafür, die Berechtigung für den Schulbesuch auszuweiten. Bis zu der Grenze, die auch für andere staatliche Angebote gilt.
"Wenn wir es schaffen, dass die Gruppe der 16- bis 27-jährigen Flüchtlinge eine Chance erhält, einen Schulabschluss zu machen – wenn man im Herkunftsland weniger als acht Jahre Schule hat(te) - dann hat nicht nur eine riesengroße Gruppe gewonnen, sondern auch die ganze Gesellschaft. Das ist der Frieden in der Gesellschaft, das ist die Prosperität. Die Wirtschaft schreit förmlich nach ihnen, und das Potenzial, das in Flüchtlingen steckt, wenn man sie betreut, ist – und das kann ich beweisen – enorm."
Soeben machte Stenger im Hessischen Kultusministerium Station. Welchen Erfolg sein Werben für neue Altersgrenzen dort hatte, verrät die Pressestelle bislang nicht. In zwei Wochen will die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ihren Besuch beim neuen Kultusminister Alexander Lorz von der CDU nutzen, um nachzufragen.