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Flüchtlingspolitik
"Wir können nicht ein Land mit offenen Grenzen sein"

Die geplante Änderung des Asylrechts könne nur eine vorübergehende Lösung sein, sagte die CDU-Politikerin Barbara John im DLF. Man könne nicht darauf warten, dass die Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sondern müsse Antragsstellen in anderen Ländern einrichten. Alle, die kommen wollten, könne man nicht aufnehmen. "Dazu ist Westeuropa zu attraktiv."

Barbara John im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.09.2015
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    Barbara John (CDU), die frühere Ausländerbeauftragte von Berlin. (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    Jasper Barenberg: Kritik an den geplanten Änderungen am Asylrecht, Kritik auch am bisherigen Management von Innenminister Thomas de Maizière, ein Personalwechsel an der Spitze des Bundesamtes - können wir da noch auf das inzwischen geflügelte Wort der Kanzlerin vertrauen, dass wir das schaffen? Das habe ich vor der Sendung Barbara John gefragt, die frühere Ausländerbeauftragte von Berlin. Ich habe sie am Flughafen von Venedig erreicht.
    Barbara John: Ja, wenn das wirklich so wäre und wenn alle davon überzeugt wären, dann gäbe es wohl nicht neue Vorschläge, das Asylbewerber-Leistungsgesetz total zu ändern für diejenigen, die aus den angrenzenden Schengen-Staaten kommen, also für alle, die nach Ungarn kommen oder nach Griechenland oder woanders hin. Sie sollen ja sofort zurückgeschickt werden. Wenn man die auch noch aufnehmen könnte und wollte, dann gäbe es diese sehr einschneidende Änderung nicht. Ich glaube also, es hat sich einfach gezeigt, dass das ein sehr optimistisches Wort war und dass man jetzt sieht, dass man doch an seine Grenzen kommt.
    Barenberg: Würden Sie sagen, was den Wechsel an der Spitze des Bundesamtes angeht und die Herangehensweise des Bundesinnenministers, dass deutlich wird in diesen Tagen, dass die Bundesregierung nicht wirklich einen Plan hat?
    John: Na ja. Ich denke, Europa hat keinen Plan und die Bundesregierung hat natürlich auch keinen Plan. Es war ja abzusehen, dass nach den steigenden Zahlen im Jahr 2012/13 da sehr viel mehr Menschen kommen wollen, die einfach Schutz suchen, aber auch, die eine Chance hier suchen, ein besseres Leben suchen, und dass man einfach gesagt hat, wir machen jetzt so weiter, wie wir es gewohnt sind, wir warten auf die Leute, die unser Territorium betreten, dann machen wir das Processing, wir gehen in die Verfahren rein und das geht wie immer. Es ging natürlich nicht wie immer. Das kann man wohl sagen, dass da viel zu wenig Vorstellungsvermögen war, das nun wirklich aufzufangen und so durchzuführen.
    Ich denke aber auch, das ging gar nicht bei den Zahlen. Wenn man einen Plan B gehabt hätte, wäre es sicher besser gegangen. Aber ich finde auch, dass dieses Nachtreten angesichts der Situation, in der wir uns befinden, vollkommen überflüssig ist. Wir müssen nach vorn gucken und müssen sehen, wie man nun mit der Situation fertig werden kann.
    Wir müssen angelsächsische Gepflogenheiten übernehmen
    Barenberg: Und wenn wir nach vorn gucken, Frau John, und wir schauen auf die Pläne des Bundesinnenministeriums, das Asylrecht zu verändern - Sie haben von einschneidenden Änderungen gesprochen. Da geht es ja darum, die Asylverfahren zu beschleunigen. Es geht um bestimmte Leistungen für Flüchtlinge, es geht um vereinfachte Rückführungen, die Beseitigung von Fehlanreizen. Welchen Eindruck macht dieses Paket auf Sie?
    John: Ich glaube, dass es nur eine vorübergehende Lösung sein kann, natürlich die Hoffnung, dass weniger kommen, wenn sie wissen, sie werden in Polen untergebracht oder sie müssen dann doch in Griechenland und Italien bleiben, wenn da nicht so viele sind, denn da sind die Versorgungen natürlich ein Minimum dessen, was es hier gibt, oder sie hören nach sechs oder acht Wochen überhaupt ganz auf - also die Hoffnung, dann kommen sehr viel weniger. Schutz wäre ja in diesen Ländern auch geboten, Schutz für Leib und Leben, aber diejenigen, die auch auf Chancen hoffen, würden das sicher nicht annehmen.
    Ich glaube, dass es über kurz oder lang nicht so sein wird, dass wir die angelsächsischen Gepflogenheiten bei der Aufnahme auch von Flüchtlingen praktizieren müssen, nämlich nicht mehr zu warten, wer kommt hier her, also eine Einladung an alle auszusprechen, ihr müsst es bis hierher schaffen - das ist ja auch mit großen Gefahren verbunden -, sondern sagen, wir nehmen euch aus den Ländern auf, in denen ihr euch befindet. Da richten wir bereits Antragstellen ein, natürlich etwa in europäischen Agenturen, in den Botschaften der europäischen Länder, da könnt ihr beantragen, wir nehmen viele auf, auch solche, die nicht nur stark und jung sind, das alles zu überstehen, sondern die auch wirklich Hilfe brauchen, die vielleicht alt sind und krank sind, aber natürlich auch andere. Es wird nicht anders gehen, wie wir das jetzt gesehen haben, aber das ist ein längerer Prozess. Nur er wird, glaube ich, am Ende stehen, weil es anders gar nicht geht.
    Das Geld muss in die Krisenregionen
    Barenberg: Auf der anderen Seite, Frau John, hat die Schweiz genau diese Regelung für so etwas wie Botschaftsasyl, dass Menschen schon in der Botschaft der Schweiz wo auch immer in der Welt einen Antrag stellen können, wieder abgeschafft, weil einfach der Zulauf und die Verfahren dann solche Ausmaße angenommen haben.
    John: Ja. Einmal gab es natürlich da auch Kritik, eher von der linken Seite. Und zweitens: Natürlich versucht es dann jeder, aber es ist ja ein Unterschied, ob man im Land diesen Zulauf hat, oder ob man bei der Antragstellung solche Anträge en masse entgegennimmt. Das ist doch bei unseren elektronischen Verfahren gar nicht mehr so ein großes Problem. Ich denke, das lässt sich doch viel leichter steuern. Es ist jedenfalls eine Steuerungsmöglichkeit, an die wir unbedingt denken müssen. Wir können nicht ein Land mit offenen Grenzen sein. Dazu ist Westeuropa zu attraktiv. Wir müssen aber helfen, das ist eine Selbstverständlichkeit, und zwar wie gesagt nicht nur denen, die es schaffen, sondern anderen auch. Und wir müssen auch denken, riesige Schutzzonen in den Regionen einzurichten. Das ist ja auch eine Weiterentwicklung des Asylrechts von 1951. Da konnten die Leute gar nicht raus aus den Ländern. Jetzt können sie aus den Krisenzonen raus, können in die Nachbarregionen flüchten. Da muss das Geld hin, da müssen sie geschützt werden, da muss die Infrastruktur hin, Erziehung, medizinische Versorgung und dergleichen mehr.
    Barenberg: Angesichts der Belastung, über die wir uns alle im Klaren sind, und der Herausforderung - dieses Paket, über das wir jetzt schon gesprochen haben, die bestimmten Einschränkungen, die geplant sind für das Asylrecht, vertragen die sich mit der Tradition von Asylrecht, die wir in Deutschland haben? Sie haben ja eben gesagt, es sei geleitet von dem Prinzip Hoffnung, dass weniger kommen.
    Es ist schwer jemanden zurückzubekommen
    John: Na ja, natürlich ist das ein totaler Widerspruch. Er steht auch im Gegensatz zu dem, was wir als Lippenbekenntnisse hören, dass es keine Obergrenze gibt, dass man allen helfen muss. Aber wir sehen, dass das nicht geht. Das ist ja ein naiver Zugang, dass man allen, die kommen wollen, helfen kann. Alle können sowieso nicht kommen, das weiß ja auch jeder. Es steht natürlich in einem Gegensatz. Wir haben bisher so getan, als sei das möglich. Nun sind wir auf die Prüfung gestellt. Nun stehen wir vor der Feuerprobe und dann muss man handlungsfähig sein. Deutschland muss ein Land sein, das auch handlungsfähig bleibt. Es muss wirtschaftlich stark bleiben, es muss Überschüsse erarbeiten, es muss in vielen Ländern helfen können und natürlich nicht nur damit befasst sein, nun Millionen von Flüchtlingen aufzunehmen. Das gilt für Europa und das gilt auch für Deutschland. Insofern müssen wir umdenken, ohne nachzulassen in einer wirklichen Hilfe für diejenigen, die Schutz brauchen.
    Barenberg: Und zu diesem Umdenken gehört auch der Grundgedanke, dass wir schneller integrieren müssen, wer Anspruch auf Schutz hat in Deutschland, und schneller zurück nachhause schicken, wer offenkundig keinen Anspruch hat?
    John: Ja, das sagt sich auch so leicht. Aber ich weiß ja einfach aus der Abschiebepraxis, wie schwer es ist, wenn erst einmal jemand hier ist, ihn dann auch wieder zurückzubekommen. Das ist ja auch verständlich. Er hat ja investiert. Er hat ja seinen Angehörigen versprochen, ich schicke euch meine Remittances, das überflüssige Geld, das ich hier habe. Man klammert sich dann an jeden Strohhalm, hier zu bleiben. Abschiebeverfahren sind unglaublich teuer. Insofern denke ich, dieses, was man als Drehkreuz bezeichnen kann, das muss aufhören. Es hat ja gar keinen Sinn, Leute erst kommen zu lassen, um sie dann wieder nachhause zu schicken, wie wir das jetzt machen mit den Westbalkan-Ländern. Das ist eine Strapaze, eine Schinderei eigentlich für alle, für die, die kommen, aber letztendlich auch für die Polizei, die diese Abschiebungen bewältigen muss.
    Barenberg: Von diesem Prinzip sichere Herkunftsstaaten halten Sie insofern nichts, als jetzt schon klar ist, viele werden bleiben und denen soll der Weg geebnet werden, beispielsweise in den deutschen Arbeitsmarkt.
    Sie müssen möglichst schnell Steuerzahler werden
    John: Wer gekommen ist und wer noch kommt und aufgenommen wird, der muss so schnell wie möglich natürlich in den Arbeitsmarkt. Das heißt, er muss Steuerzahler werden, er muss diesem Land natürlich wie alle anderen Staatsbürger, die das Land zusammenhalten, er muss diesem Land auch dienen, und das bedeutet, dass sie Deutsch lernen müssen, dass sie so schnell wie möglich eine Qualifikation haben müssen, oder dass ihre Qualifikation anerkannt wird und sie in den Arbeitsmarkt kommen. Da ist bisher viel, viel zu wenig passiert, das dauert alles viel zu lange. Die Leute kommen nicht direkt in den Markt, sie gehen über Umwege, die Bundesagentur bietet ihnen Maßnahmenpakete an. Ich kenne einen Hochqualifizierten, der macht schon das dritte Bewerbertraining, weil die Bundesagentur natürlich nicht sagt, wir schreiben jetzt mal einen Brief an Siemens, wo Du früher gearbeitet hast, sondern Du musst Dich selber bewerben. Es gibt so viele Dinge, die verbessert werden könnten. Es muss schneller gehen! Wir müssen schnell Erfolge erzielen.
    Barenberg: Da scheint ja einiges an Überlegungen auf dem Weg und einige Entscheidungen sind ja auch schon gefällt worden, was den Arbeitsmarkt angeht. Wird es ein Vorzug sein und ein Vorteil, dass mit Frank Jürgen Weise der Mann an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit, jetzt auch die Zuständigkeit im Bundesamt bekommt?
    John: Das kann durchaus sein. Er hat ja beide Ämter inne, er kennt sich gut aus, er weiß genau, was die Agentur leistet und was sie mehr leisten muss, dass sie wirklich in den Markt hineingeht. Das kann man miteinander verbinden. Hoffen wir, dass es so ist. Noch kann man sich das schlecht vorstellen, zwei so wichtige Aufgaben zu managen, aber vielleicht schafft er es. Es gibt jetzt auch so sehr viele Mitarbeiter gerade im Bundesamt, die tüchtig sind in der Integrationsabteilung. Ich denke, dass das gar nicht so eine schlechte Wahl ist, diese Verbindung herzustellen zwischen Aufnahme von Flüchtlingen, schneller Integration und Arbeitsmarktbereitstellung.
    Barenberg: Die CDU-Politikerin Barbara John, die frühere Ausländerbeauftragte von Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.