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Flüchtlingsprotest
"Marsch für die Freiheit" kommt in Brüssel an

Fünf Wochen waren sie unterwegs: Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern wollten mit ihrem "Marsch für die Freiheit" auf ihre Situation aufmerksam machen und gegen die Flüchtlingspolitik protestieren. Zum Beginn des EU-Gipfels erinnerten sie an die tausenden Toten im Mittelmeer.

Von Silke Hahne |
    Flüchtlinge halten in Berlin bei einer Demonstration vor dem Reichstag ein Banner mit den Schriftzügen "Break Isolation" und "March for Freedom".
    Zwischenstopp Berlin: der Marsch für die Freiheit (picture alliance / dpa)
    "Stop deportation! No border, no nation! Stop deportation! No border, no nation!"
    Singend und tanzend ziehen Hunderte Menschen über den Brüsseler Place Béguinage – ganz in der Nähe des Großen Markts, weit weg vom Europaviertel. Viele von ihnen sind von Straßburg hierher marschiert, mehr als 450 Kilometer, knapp sechs Wochen waren sie unterwegs. Erschöpfung sieht man ihnen nicht an – der Marsch hat sie bekräftigt in ihrer Aktion:
    "Ich glaube wir sind mehr stärker geworden. Ich glaube, in Zukunft wir werden weiter Aktivität machen."
    Riad Ben Ahmad kommt ursprünglich aus Tunesien, lebt aber seit etwa 14 Jahren in Deutschland.
    "Ich hab Zeit gebraucht, um Visum zu bekommen, waren acht Jahre. Und ich hab gemerkt, wie viel man Zeit von seinem Leben verliert. Weil das System gibt uns keine andere Möglichkeit."
    Wut über den täglichen Kampf mit den Behörden
    Bei Riad Ben Ahmad und vielen seiner Mitstreiter löst das Wut aus. Die Wut hat sich lange angestaut, vielleicht kann man sagen: Die Wut über diesen täglichen Kampf mit den Behörden hat Riad Ben Ahmad und seine Mitstreiter während der sechs Wochen angetrieben. Auf dem Platz schreit sich einer von ihnen das deutlich hörbar aus dem Leib. Die Angst vieler Europäer vor Migranten kann Ben Ahmad nicht nachvollziehen. Er sei schließlich nicht einfach nur zum Arbeiten nach Europa gekommen, sondern auch, um seinem Heimatland zu helfen. Doch einmal im Norden, gebe es kein Zurück. Ben Ahmad hält diesen Versuch Europas, sich abzuriegeln, für unnötig:
    "Und als wir waren hier unterwegs durch den Marsch, wir haben mitgekriegt, dass Europa leer ist! Europa ist alt! Und Europa hat die Möglichkeit, dem Somalier, dem Eritreer, dem Äthiopier, dass er auch hier Platz hat."
    Das Problem ist: Dublin II
    Dafür fordern die Aktivisten vor allem eins: die Abschaffung des Dublin II-Abkommens. Es regelt, dass Flüchtlinge nur in dem Land Asyl stellen dürfen, in dem sie das erste Mal Fuß auf europäischen Boden gesetzt haben. Werden sie in einem anderen europäischen Land aufgegriffen, müssen sie dorthin zurückkehren. Überfüllte Flüchtlingslager in den südlichen EU-Staaten sind oft die Folge. Nur wenige schaffen es, dieses System zu umgehen. Der Guineer Mamadou Bah ist einer von ihnen. Allerdings nicht freiwillig. Bah zeigt auf eine Narbe an seiner Stirn. Sein erstes Asyl wurde ihm in Griechenland gewährt. Weil er sich dort für die Rechte von Flüchtlingen einsetzte, suchten ihn immer wieder Neonazis heim – auf der Arbeit, in seinem Zuhause. Auch Polizeigewalt hat er erlebt.
    Schließlich rieten ihm Freunde aus der antifaschistischen Szene, Griechenland zu verlassen und in Belgien Asyl zu suchen. Und tatsächlich: Vor wenigen Tagen hat Mamadou Bah den Bescheid bekommen. Jetzt hat er den doppelten europäischen Flüchtlingsstatus. Damit dürfte er allerdings ein Einzelfall sein. Entsprechend freut er sich einerseits, morgen will er eine große Party feiern. Andererseits hofft er, dass auch andere Flüchtlinge bald in mehr als einem europäischen Land Aufenthaltsrecht genießen. Hoffnung setzen die Aktivisten in die kommende EU-Ratspräsidentschaft Italiens, sagt Riad Ben Ahmad. Die Grenze tue nicht nur den Flüchtlingen weh, sondern auch Italien:
    "Ist wichtig für Italien, dass man in der nächsten Zeit auch das Dublin I und II abschaffen wird. Weil ich kann mir nicht vorstellen, dass Italien allein schaffen kann, die Leute da Perspektive zu geben. Wir haben Hoffnung, dass die Gesellschaft in Italien einverstanden sind, dass Europa – im Norden gibt's genug Kapazität, und gibt's genug Platz – dass die nördliche Seite diese Arroganz ein bisschen runter kommt, dass wir gemeinsam leben können, und wir kriegen das hin."
    "Stop deportation! No border, no nation! Stop deportation! No border, no nation!"