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Flüchtlingssender Borderless TV
Fernsehen als Selbstbestimmung

Seit einem Jahr macht Borderless TV in Köln mit eigenem Studio Programm von und für Menschen mit Migrationsgeschichte. Syrer, Kolumbianer und Deutsche inspirieren sich wechselseitig mit eigenen Videos und Dokumentationen, die gestreamt und bei sogenannten "Watch-Partys" gezeigt werden.

Von Peter Backof | 12.12.2019
Studio
Arbeit im BorderlessTV-Studio (BorderlessTV ©CAT Cologne, 2019 )
"Natürlich haben wir nicht die ganz große Öffentlichkeit. Wir sind nicht RTL. Wir sind eine kleine Medieninitiative, beziehungsweise ein Kunstverein." Julia Haarmann ist Galeristin, Mastermind, Spin-Doktorin und wesentlich daran beteiligt, dass es das Projekt Borderless TV überhaupt gibt. Ein Streamingkanal von und für Geflüchtete und Migranten mit allen möglichen Backgrounds, die ihre Geschichte erzählen, in ihrer Galerie CAT Cologne, ausbuchstabiert Community Art Team, entstand die Idee.
Ohne Zwang zur Einschaltquote
"The idea startet in 2016. Cologne is a Center of Media. There is no TV in Arabic." Die Gründungsstory hat Felipe Castelblanco. Der Kolumbianer war Resident Artist bei Julia Haarmann. Und Borderless TV, erzählt er, sei im Café an der Ecke als Vision aufgetaucht, bei einem Migrantenstammtisch: Syrer, Kolumbianer, Deutsche inspirieren sich wechselseitig, mit eigenen Videos, die gestreamt zu sehen sind. Einschaltquote, Klickzahlen dabei? Erstmal egal.
Julia Haarmann: "Wie erreichen wir Leute? Natürlich über Öffentlichkeitsarbeit, über Multiplikatoren, über Kooperationspartner." Und der ganze Apparat staatlicher Fördertöpfe kam in Gang. Borderless TV wurde – ziemlich großzügig – mit einem Haus, Kameras und sonstigen Produktionsmitteln ausgestattet. Das Jahrestreffen im Kinosaal Filmforum ist Teamtreff, Weihnachtsfeier und auch irgendwie Rechenschaftsbericht, was denn nun dabei heraus gekommen ist, in einem Jahr Borderless TV.
Und das ist, medienästhetisch betrachtet: durchwachsen. Entstanden sind meist kurze Dokus über Veranstaltungen mit migrantischem Hintergrund, wie dem Afrika-Filmfestival. Oder mal ein Besuch in einer Kickbox-Schule, wo Menschen nicht nur ihre Körper, sondern auch Selbstbewusstsein trainieren. Auf der Sprechtextebene: Narrative wie vom soziologischen Reißbrett, für mehr Mitmenschlichkeit und hart am Klischee. Migranten müssen in Deutschland hart trainieren - für die eigene Integration? Womöglich ist da etwas Wahres dran.
Die rohe, ungeframte Wirklichkeit
Eine Doku, gerade fertig geworden, vom letzten Black Friday macht neugierig. Doch ziemlich amateurhaft wurde nur mal mit der Kamera draufgehalten in der Shoppingmeile, was Leute "so kaufen". Immerhin: Das gesellschaftliche Reißbrett ist hier verschwunden. Die rohe, ungeframte Wirklichkeit sieht so aus: Ich habe 'was gekauft für meine Mutter', und für 'Deine Muddah' auch was, sagt ein Interviewter, spöttisch.
Das Filmforum ist beim Jahrestreffen nur zu einem Viertel gefüllt: Noch eine Nummer zu groß, und ist man wieder mal nur unter sich, in der "Migrantenszene"? Doch Julia Haarmann meint, man sei ja mit Borderless TV auch noch in Phase 1: Kaum bekannt und noch dabei, überhaupt Menschen zum Mitmachen zu bringen:
"Natürlich sind wir klein, aber ich habe durchaus das Gefühl, dass wir was bewirken können. Die Leute lernen Dinge, die man an keiner VHS, in keinem Sprachkurs wirklich lernt."
Im Publikum sitzen etliche Frauen, die Kopftuch tragen und die es womöglich bisher gewohnt waren, Kameraarbeit Männern zu überlassen. "Dreht Euren eigenen Film, erzählt eure Geschichte!" Das ist die Botschaft von Borderless TV. Etwas naiv, zuviel heile Welt, Programmprofil noch nicht klar vorhanden, das könnte man alles sagen. Aber: Es ist ein Gesellschaftsprojekt. Die Keulen und Kanonen "klassischer" Fernsehkritik würden daran vorbeischießen.