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Flüstern in der Wildnis

Mit einem kleine Kind auf Safari fahren, Löwen, Elefanten und Leoparden ansehen. Das ist kein Problem, denn auf ein solches Urlaubsangebot haben sich einige Lodges in Südafrika spezialisiert. Neben den klassischen Safaritouren bieten sie Rangerkurse oder Insektensafaris, die den besonderen Bedürfnissen der kleinen Gäste gerecht werden.

Von Antje Deistler |
    "Elefanten, Mama! Da sind sogar kleine. Da ist einer!"

    Madikwe Nationalpark, Südafrika, direkt an der Grenze zur Kalahari und nach Botswana. Frederik und ich werden in einem offenen Jeep durch den Busch gefahren, zusammen mit einem Schweizer Ehepaar und dessen zweijähriger Tochter Bianca.

    "Die baden! Die ganze Herde badet. Der Ishmael fährt da jetzt hin. Die baden und trinken."

    Ishmael Mochodo, unser Safariguide, hat uns an diesem Nachmittag zu einem Wasserloch gebracht. Aus nur rund zehn Metern Entfernung beobachten wir die Szene.

    "Guck mal, wie die sich einsauen."

    "Ich hab den fotografiert!"

    "Der ist jugendlich, der mit dem Schlamm."

    Frederik liebt Tiere und ist mit seinen sechs Jahren ein erfahrener Zuschauer von Tierdokumentationen. Meinem Sohn und mir fällt es schwer, uns an die Safariregeln zu halten: Sich in der Nähe von wilden Tieren ruhig zu verhalten und möglichst nicht zu sprechen.

    "Guck mal, jetzt geht die Leitkuh weg, dann werden die anderen ihr folgen. Weißt du, was ich von den Elefanten gelernt hab? Wer der Leitkuh nicht gehorcht, der wird verstoßen, der muss sich eine neue Gruppe suchen. Ist bei uns ja genauso. Wer ist die Leitkuh?"

    "Du! Aber ich werd nicht verstoßen."

    Von mir aus könnten wir noch Stunden hier stehenbleiben und einfach nur zuschauen. Aber die Kinder haben keine Geduld mehr, vor allem Frederik hat noch etwas vor.

    "Wir fahren jetzt entweder zu den Löwen, zu den Leoparden oder zu den Büffeln! Also am liebsten würde ich heute mal einen Leopard sehen. Da könnt ich ein Foto machen und dann bring ich dem Papa eins mit."

    "Leoparden klettern ja auch auf Bäume, da sind sie gut getarnt, da können sie auf unser Dach klettern. ich hab ein bisschen Angst, weil Leoparden haben auch Zähne, aber Drachen haben noch spitzere."

    Ein bisschen nervös wirkt er schon, mein Sohn, so mitten zwischen all den Tieren, die er sonst nur aus Büchern und dem Fernsehen kennt. Frederik ist sich bewusst darüber, dass der Madikwe-Nationalpark von der Hyäne bis zum Hippo, vom Nashorn bis zum Gepard alles zu bieten hat, was in Afrika Rang und Namen hat.

    "Wir sind gerade wieder durch ein Schlammloch gefahren. Das finde ich total klasse, weil: Das macht immer so 'woof'. Mama, ich find es hier schön."

    Eine kurze, rumpelige Fahrt später sind wir auf einer Ebene angekommen. In letzter Zeit hat es viel Regen gegeben, die rote Erde ist feucht, im dichten, grünen Unterholz könnten sich Tiere gut verstecken. Doch das scheinen sie gar nicht zu wollen.

    "Ich sehe Antilopen, ich sehe Zebras, und die wackeln alle mit den Ohren, die wedeln mit den Schwänzen, und das gibt es nicht! Da ist entweder ein Büffel oder ein Gnu. Lass mich mal gucken."

    Die beinahe klischeehafte afrikanische Idylle unter Schirmakazien breitet sich links von unserem Wagen aus. Alle Kameras sind darauf gerichtet. Alle, bis auf eine. Denn Frederik hat das Interesse schnell verloren, jetzt kann er die Augen nicht von dem winzigen Insekt lassen, das sich rechts von ihm niedergelassen hat.

    "Die Motte, die auf meiner Armlehne sitzt, hat ein tolles Muster. Die hat ein orangenes Auge mit Schwarzpunkt. Und wenn die das öffnet, ist da ganz viel orange, wenn die ihre Flügel öffnet."

    "Fredo, du fotografierst die Motte und auf der anderen Seite sind Zebras, eine ganze Herde, was interessiert dich denn jetzt mehr?"

    "Beides."

    Naja, gemessen an den 23 Mottenfotos und zwei Zebrabildern, die ich später auf seiner Digitalkamera finde, kann ich diese Aussage nicht ganz glaubhaft finden. Als wir abends in Jaci's Safari Lodge zurückkommen, unterhalte ich mich mit dem Manager Deon de Villiers über das Konzept der Kindersafari. Er weiß, dass Frederiks Verhalten beinahe exemplarisch ist.

    "Eltern, wie Erwachsene nun mal sind, die interessieren sich für Jaws, Paws and Claws, also Zähne, Pfoten und Klauen. Die wollen die großen Tiere sehen, die Big Five. Aber Kinder sind auch interessiert an Schmetterlingen und Käfern. Und sie möchten immer herausfinden, welcher Kothaufen zu welchem Tier gehört. Wir nennen das Poo-ology, Aa-logie, und das mögen die Kinder sehr."

    Sechs Uhr am nächsten Morgen. Die Sonne geht gerade erst auf, aber wir sind schon wieder unterwegs. Ishmael zeigt uns, dass man in Elefantendung noch ganze unverdaute Beeren finden kann.

    "Ich würde jetzt gern Käfer, aber am allergernsten würde ich jetzt gern Mistkäfer finden."

    "Fredo, guck mal, das ist genau der Pillendreher, den du wolltest."

    "Ja."

    Ishmael erzählt im Hintergrund von den Dung Beetles.

    Während Ishmael den Eltern die ökologische Bedeutung der Insekten näherbringt, können Frederik und Bianca einem kleinen Käfer dabei zusehen, wie er aus Tierkot Kugeln rollt und davonschleppt. Der Morgen ist gerettet. Und Minuten später wird auch das Bedürfnis der Erwachsenen nach Zähnen und Klauen gestillt: Wir stoßen auf ein Rudel Löwen. Ishmael schärft uns noch einmal die Regeln ein: Verhaltet euch möglichst ruhig. Nicht aufstehen. Sich aus dem Jeep herauszulehnen, Arme oder Beine herauszustrecken, ist streng verboten.

    Flüstern? Stillsitzen? Verlangen Sie das mal von einem Sechsjährigen. Circa 30 Sekunden lang ist Frederik von Ehrfurcht erfüllt und verhält sich vorbildlich. Dann versucht er, mit den Raubtieren direkt vor uns zu sprechen, indem er - knurrt.

    "Siehst du, die guckt!"

    "Du sollst das lassen, haste gehört?"

    Das Auto ist nicht hoch genug, als dass die Löwen hier nicht reinspringen könnten, raunt Ishmael uns warnend zu und streckt die Hand langsam nach dem Gewehr auf dem Armaturenbrett aus. Zwei Löwinnen fixieren meinen Sohn mit ihren gelben Augen. Ich bringe ihn mit Mühe zum Schweigen, das macht ihn ein paar Minuten sauer, aber wenigstens verlieren die Raubtiere das Interesse an uns. Schlagartig ist mir bewusst geworden, dass eine Familiensafari durchaus ihre Tücken hat. Alle im Jeep haben die Luft angehalten, doch Ishmael bleibt entspannt: So etwas komme eben vor, wenn man mit Kindern im afrikanischen Busch unterwegs ist.

    "Ja, das passiert. Manchmal weint vielleicht ein Kind, oder andere halten sich nicht an die Regeln, obwohl man ihnen gesagt hat, dass sie leise sein müssen. Aber ich halte einen größeren Sicherheitsabstand ein, wenn wir mit Kindern in die Nähe von Tieren kommen."

    Ob der Sicherheitsabstand gereicht hätte, wenn die Löwinnen tatsächlich um Sprung angesetzt hätten, weiß ich nicht, möchte es mir auch gar nicht ausmalen. Klar ist aber, dass niemand von uns dieses Erlebnis jemals vergessen wird. Gerade der sechsjährige Fredo nicht. Dass auch für kleinere Kinder eine Safari eine unvergessliche Erfahrung sein kann, daran hat Lodgemanager Deon de Villiers jedenfalls keinen Zweifel.

    "Ich bin überzeugt, dass so eine Safari eine Erfahrung ist, die das ganze Leben verändern kann. Was die Kinder sonst nur aus dem Fernsehen kennen, erleben sie hier Auge in Auge, sie hören die Geräusche, riechen die Gerüche, das ist eine sinnliche Erfahrung. Und wenn sie dann noch Dinge anfassen dürfen, wenn sie Pflanzen bestimmen oder Spuren lesen, im Busch spielen, dann bringen sie vier Sinne zusammen. Das macht es schon sehr schwer, irgendwas zu vergessen."

    Tag drei unserer Familiensafari: Frederik und ich verlassen den heißen Madikwe Nationalpark Richtung Limpopo Provinz im Norden Südafrikas. Innerhalb von drei Fahrtstunden erreichen wir eine andere Klimazone. Es regnet, und alles was wir sehen, sind dicht bewaldete Berge und Hügel. Unser Ziel ist Ant's Hill, eine weitere kinderfreundliche Lodge, allerdings mit einem ganz anderen Konzept, wie Besitzer Anthony Baber erklärt.

    "In den meisten Lodges werden die Leute in ein Auto gesperrt. Sie sehen die Tiere aus der Distanz. Wir machen alles zu Fuß oder auf dem Pferd. Es ist etwas ganz anderes für ein Kind, auf einem Pony zu sitzen und eine Giraffe anzusehen, als in einem Auto zu sitzen. Auf dem Pferd ist man Teil des Ganzen. Und zu Fuß kann man Spuren suchen, sehen, was die Tiere fressen, mittendrin sein."

    Das geht, weil es auf Ant's Hill keine gefährlichen Raubtiere gibt. Ein Mangel, der Zähne-und-Klauen-Liebhaber zum Gähnen bringen mag, doch Safari Guide Peter Winham hat Kindgerechteres zu bieten:

    "Die meisten wollen ja die Big Five sehen: Büffel, Elefanten, Löwe, Leopard und Nashorn, aber wir haben die Small Five hier, die Kleinen Fünf: Nashornkäfer, der hat auch ein Horn auf der Nase, Ameisenlöwe, Büffelweber, ein Vogel, die Leopardenschildkröte, davon haben wir gerade Massen, das ist ein gutes Zeichen dafür, dass es Regen gibt, und die Elefantenspitzmaus."

    Das einzige, wovor Frederik hier Angst hat, sind die Pferde, reiten möchte er auf keinen Fall. Dafür liebt er es, zusammen mit einem der zahllosen Jack-Russell-Terrier der Besitzer durch den Busch zu laufen.

    Dabei begegnen wir Antilopen, Giraffen, Zebras, oder auch Breitmaulnashörnern. Immer an Frederiks Seite: Terry Culdecott, seine persönliche Führerin. Terry geht mit meinem Sohn auf Spurensuche, fängt Insekten und erklärt ihm den Busch in allen aufregenden Einzelheiten.

    "Oh, der Hund steht in Ameisen."

    "Der eine Hund rennt schon vor denen weg. Das sind schwarze Ameisen, wenn eine beißt, beißen alle, dabei verlieren sie den Kopf, und der setzt eine Chemikalie frei, die sehr schmerzhaft ist."

    "Oh, dann geh ich mal lieber hier raus."

    Terry zeigt Frederik, welche Blätter sich in der Wildnis als Toilettenpapier eignen und mit welchen Zweigen man sich die Zähne putzen könnte. Und dann stoßen sie auf einen alten Bekannten.

    "Vor uns ist ein Pillendreher und der dreht Kacke zu einer Kugel."

    "Ja, und zwar im Rückwärtsgang."

    "Kann ich dem helfen?"

    "Nein, lieber nicht. Das hat schon ein paar Stunden gedauert, diese Kugel zu rollen. Wenn man den Käfer jetzt stört, rennt er weg und die ganze Arbeit war umsonst. Man muss die Natur in Ruhe lassen, sonst bringt man alles durcheinander."

    "Das möchtest du ja nicht, ne?"

    "" Ja. Und außerdem, wenn er die hier liegenlässt, dann treten Menschen drauf und dann ist die Kacke am Schuh.""

    Natürlich ist Frederik dem Mistkäfer doch zu nahe gekommen, der lässt seine Kugel liegen und flieht. Ich frage Terry, ob es nicht frustrierend für sie ist, dass so etwas mit Kindern immer wieder passiert.

    "Die Kinder sind so fasziniert von der Natur, dass sie alles aufheben und anfassen, was in Ordnung ist, so lernen sie ja, aber es stört die Prozesse im Busch, Nestbau, Fortpflanzung, das alles. Das lernen Kinder nur durch Erfahrung. Sie sagen ihnen, steck deine Finger nicht in dieses Loch, sie tun es doch und werden gestochen, und so lernen sie."

    Frederik ist nicht gestochen, gebissen oder gefressen worden. Jeden Abend freuen wir uns über das, was wir gesehen haben, sind aber auch immer irgendwie erleichtert über alles, was nicht passiert ist. Bis mir der Besitzer, der riesige Anthony Baber, genannt "Ant" wie Ameise, am letzten Tag etwas verrät:

    "Wir haben Leoparden, aber die sind sehr scheu. Wenn man Löwen hat, ist das was anderes, die würden sich sofort auf die Kinder stürzen. Alles andere, was wir hier haben, stellt kein Risiko dar."
    "Das sagen Sie mir jetzt?"

    "Die Leoparden kommen und gehen, die gab es hier immer. Mit Leoparden gibt es so gut wie nie ein Problem."

    Weitere Informationen:

    madikwe-game-reserve.co.za

    madikwe.com

    waterbergwilderness.co.za

    waterberg.net