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Flug MH 370
"Wir suchen nicht die Nadel im Heuhaufen, sondern den Heuhaufen"

Im März 2014 verschwand Flug MH 370 spurlos. Vermutet wird der Absturzort irgendwo im Indischen Ozean. Aber bis heute sind nur Einzelteile gefunden wurden. Der Wissenschaftler Arne Biastoch vom Geomar beschreibt, wie sein Team mithilfe einer Strömungssimulation versucht, das Suchgebiet zu definieren - demnach liegt das Wrack weiter nördlich als bisher angenommen.

Arne Biastoch im Gespräch mit Arndt Reuning | 25.07.2016
    Vier Männer tragen ein Wrackteil.
    Die gefundene Flügelklappe auf La Réunion ist der Ausgangspunkt der Berechnung des Absturzortes (picture alliance/dpa/Raymond Wae Tion)
    Arndt Reuning: Befindet sich der Bergungstrupp Ihrer Ansicht nach auf der falschen Fährte?
    Arne Biastoch: Das ist natürlich schwer zu sagen. Es gibt verschiedene Analysen, zum einen aus der Satellitenkommunikation der Triebwerke des Flugzeugs, zum anderen aber auch völlig unabhängig davon zum Beispiel eine Strömungsanalyse wie die letztes Jahr gefundene Flügelklappe gedriftet sein könnte. Diese Analysen, die wir dann auch durchgeführt haben, deuten eher darauf hin, dass man weiter nördlich suchen müsste. Aber es gibt natürlich verschiedene Analysen die alle zusammen zu einem großen Puzzle zusammengefügt werden müssen.
    Reuning: Wie haben Sie denn abgeschätzt wo die Maschine abgestürzt sein könnte?
    Biastoch: Da wir Experten für Ozeanströmungen sind, sind wir davon ausgegangen, dass wir uns die Flügelklappe genommen haben, die letztes Jahr auf La Réunion angeschwemmt wurde. Und wir haben versucht den Weg dieser Flügelklappe durch den indischen Ozean rückwärts zu verfolgen. Wir haben uns aktuelle Strömungsdaten besorgt. Und wir haben dann in diesen Strömungen die Verdriftung dieser Flügelklappe rückwärts simuliert.
    Reuning: Solch ein Modell ist ja immer nur eine vereinfachte Version der Wirklichkeit. Wie genau lässt sich denn überhaupt die Absturzregion auf solche Weise eingrenzen?
    Biastoch: Ja, das ist richtig. Ein Modell ist natürlich immer mit Fehlern behaftet, das wird auch in diesem Fall so sein. Und dazu kommt noch, dass der Ozean überaus turbulent und chaotisch ist, also voll von Wirbeln, was die Zurückverfolgung des Weges natürlich schwer macht. Wir haben versucht, das zunächst einmal nach strengen wissenschaftlichen Maßstäben zu machen und das über Statistik abzufangen. Wir haben also nicht eine virtuelle Flügelklappe verfolgt, sondern wir haben zwei Millionen Flügelklappen eingesetzt und haben uns dann angeguckt, wie die Wahrscheinlichkeit ist. Da kommt raus, dass nur etwa 1,5 Prozent dieser Flügelklappen aus dem derzeitigen Suchgebiet stammen, aber der große Rest eben weiter nördlich davon. Das soll also heißen: Der Weg vom derzeitigen Suchgebiet nach La Réunion ist immer noch möglich, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich.
    Reuning: Nach dieser Flügelklappe wurden noch weitere Treibgutstücke gefunden, die wohl auch zu dem Flugzeug gehören. Werden denn solche Abschätzungen genauer, je mehr Teile man von dem Wrack findet?
    Biastoch: Also, im Prinzip ist das so: Wenn man an die Schifffahrt denkt, an die Navigation, nennt man das Cross-Peilung, das man einfach verschiedene Zurückverfolgungen nimmt und sich ansieht, wo sich diese überschneiden. Hier ist es ein bisschen schwieriger. Zum einen wissen wir bei vielen Teilen nicht, wann der genaue Zeitpunkt des Fundes ist, also gerade bei den Teilen, die in Mosambik und auch auf Madagaskar gefunden wurden, ist es unklar, wie lange das her ist. Nur bei der Flügelklappe auf La Réunion ist es relativ klar, dass sie wirklich an dem Tag auch angeschwemmt wurde. Das macht das Ganze noch komplizierter. Und das andere ist, dass sich im Prinzip die weiteren Funde entlang des Weges ergeben, sie sind also nicht grundsätzlich verschieden. Die Meeresströmungen von Australien nach La Réunion, die treiben im Prinzip sämtliche Teile immer weiter Richtung afrikanische Küste und dann weiter nach Süden. Die anderen Funde passen sehr gut in die Theorie.
    Reuning: Glauben Sie denn persönlich noch daran, dass das Wrack gefunden werden kann?
    Biastoch: Also, das gegenwärtige Suchgebiet ist natürlich schon sehr groß und ich meine, man hat jetzt weit über 90 Prozent meines Wissens abgesucht. Das Gebiet, was wir rausbekommen, das ja deutlich getrennt liegt von dem gegenwärtigen Suchgebiet, ist um ein Vielfaches größer. Wir haben natürlich die große Problematik, dass wir nicht die Nadel im Heuhaufen suchen, sondern erstmal den Heuhaufen lokalisieren können. Insofern bin ich skeptisch, wenn es nicht weitere Fundstücke gibt oder weitere Analysen zum Beispiel von den Triebwerken, das man mit den jetzigen Erkenntnissen wirklich das Flugzeugwrack finden wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.