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Flugzeug im Flugzeug

Technik. - Wer heute Flugzeugkapitän "spielen" will, kann mit Joystick und Computer sofort loslegen. Der Haken dabei: jegliche Bewegungen, die im Flugzeug auftreten, fehlen und auch die Bilder auf dem Display sind wenig realistisch. Wesentlich komfortabler sind da schon die Simulationsanlagen der großen Luftfahrtgesellschaften. Das Cockpit ist originalgetreu nachgebildet, und es bewegt sich sogar mit Hilfe einer Hydraulik. Doch auch diese Art der Simulation ist letztlich nicht perfekt im Sinne einer authentischen Flugerfahrung, und so entschied sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für den Bau eines fliegenden Simulators. Es handelt sich hierbei sogar um den einzigen fliegenden Flugzeugsimulator in Europa. Nur die US-Amerikaner besitzen ähnliche Optionen.

    Von Michael Engel

    Flughafen Braunschweig: Starterlaubnis für das zweistrahlige Verkehrsflugzeug vom Typ "VFW 614". Die zwanzig Meter lange Maschine ist vollgestopft mit Elektronik: zwei Parallelrechnern, Messgeräten, Computerbildschirmen. Armdicke Kabelbündel verlaufen nach vorn - zum Cockpit. "ATTAS" - so das Kürzel auf dem Leitwerk - steht für "Advanced Technologies Testing Aircraft System" - soll heißen: es handelt sich um einen fliegenden Simulator. Dr. Dietrich Hanke vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik:

    Die wesentlichen Vorteile liegen darin, dass ich ungestörte Sicht- und Beschleunigungsinformationen erzeugen kann und der Pilot sich in einer realen Flugsituation befindet. Das heißt: am Boden ist die Bewegung und die Sicht immer Einschränkungen unterworfen, und insbesondere wenn man Flugeigenschaftsgrenzen, also Fliegbarkeitsgrenzen untersuchen will, ist es entscheidend, dass die Situation realistisch ist. So realistisch wie möglich. Und das können wir mit diesem Flugzeug exakt erfüllen.

    Besonderer Vorteil von ATTAS ist die freie Programmierbarkeit. Wird der fliegende Simulator beispielsweise mit den Flugdaten des 79 Meter langen Airbus A380 gefüttert, dann legt sich das viel kleinere Flugzeug ebenso majestätisch in die Kurve. Es verhält sich genau so, als würde der Simulator in dem unsichtbaren Jumbo stecken - deshalb auch der Fachjargon: "In-Flight-Simulator". Zusätzliche Steuerklappen an den Tragflächen und aufwendige Rechnertechnik ermöglichen diesen Trick. Sogar Flugzeuge, die eigentlich nur auf dem Reißbrett existieren, können mit dem In-Flight-Simulator abheben: solche Testflüge liefern wichtige Erkenntnisse für die Konstrukteure. Vorn links sitzt der Versuchspilot, rechts daneben der sogenannte "Sicherheitspilot". Läuft der Simulator gefährlich aus dem Ruder, kann der zweite Mann sofort auf einen roten Knopf drücken: das Flugzeug fliegt jetzt wieder normal. Hanke:

    Ja, es gab schon mal Situationen, als Sprünge im Ruder auftraten aufgrund von Datenkommunikationsfehlern, aber das war alles nicht so kritisch, der Sicherheitspilot hat dann übernommen, es ist daraus keine kritische Situation entstanden.

    "Flugführungssysteme" werden ebenfalls erforscht. Zum Beispiel: eine künstliche Außensicht, die der Pilot wahlweise einschalten kann, wenn dichter Nebel herrscht und die Sicht versperrt. Eine virtuelle Projektion lässt dann im Sichtfeld des Piloten eine künstliche Landebahn erscheinen - und zwar so - dass sie mit der real existierenden Landebahn tatsächlich in Deckung liegt. Die Bilder dazu kommen aus einem Hochleistungsrechner, der die Perspektive - auf der Basis exakter Navigationsdaten - wirklichkeitsgetreu abbildet. Dr. Kurt Klein vom DLR-Institut für Flugführung:

    So etwas kann man dann auch über ein zusätzliches Display, was vor dem Kopf des Piloten ist, einblenden in die Außensicht, so dass also diese künstliche Sicht der Außensicht überlagert wird. So etwas nennt man Head-up-Display, was in der militärischen Luftfahrt durchaus eingeführt ist, was aber in der zivilen Luftfahrt noch nicht Standard ist. Was aber in Zukunft durchaus zur Sicherheitsausrüstung gehören könnte, um eben auch wirklich dann kritische Situationen bei schlechter Sicht oder bei schlechtem Wetter zu vermeiden.

    Nur extrem schnelle und wendige Kampfjets können mit dem Flugzeug nicht simuliert werden - dazu ist die Maschine zu behäbig. Militärische Fragestellungen bleiben trotzdem nicht ausgeklammert. Demnächst soll der unbemannte Drohnenflug über den Dächern von Braunschweig simuliert werden. Die Niedersachsen müssen gleichwohl keine Angst haben: es gibt auch hier besagten Sicherheitspiloten an Bord, um notfalls einzugreifen.