Ein kalter Wintertag am Flughafen. Eigentlich hätte der Flieger längst starten sollen, doch er muss noch enteist werden. Denn vereiste Tragflächen verschlechtern die Aerodynamik und vereiste Klappen und Ruder funktionieren schlechter oder sogar gar nicht - eine mögliche Absturzursache. Also bespritzt ein Sprühkopf den Jet mit einem Glykol-Wasser-Gemisch. Eine Prozedur, die Zeit und Energie kostet - und die Marco Marengo gern überflüssig machen würde. Marengo ist Professor in Brighton in England sowie im italienischen Bergamo. Sein Plan:
"Wir wollen eine extrem wasserabweisende Flügeloberfläche verwenden. Dadurch möchten wir verhindern, dass die Tragfläche überhaupt mit Wasser benetzt wird."
Vereisung entsteht dann, wenn unterkühlte Wassertröpfchen auf die Tragfläche treffen und dort schlagartig zu einer Eisschicht gefrieren.
"Würde es gelingen, dass die unterkühlten Tröpfchen von der Oberfläche des Flügels zurückprallen, statt sich auf ihr breit zu machen, hätte man einen effizienten Frostschutz."
Kopie der Natur
Doch wie sieht so eine superhydrophobe, eine extrem wasserabweisende Oberfläche aus? Unter dem Mikroskop, antwortet Marengo, erkennt man eine raue Landschaft mit vielen Tälern und Gipfeln.
"Zoomt man noch tiefer in diese Oberfläche hinein, setzt sich diese raue Struktur im Kleinen weiter fort. So sind die Oberflächen der Gipfel auch wieder rau, sie bestehen aus lauter winzigen Huckeln und Dellen. Ein Prinzip, das sich auch in der Natur findet, etwa bei einem Lotusblatt. Wir kopieren also die Strategien, die die Natur für wasserabweisende Oberflächen gefunden hat."
Trifft ein Tropfen auf die Antieisoberfläche, kann er sich nicht ausbreiten wie ein in die Pfanne gehauenes Spiegelei. Stattdessen wird er durch die raue Oberfläche in viele kleine Tröpfchen gesprengt. Die meisten dieser Tröpfchen prallen ab. Und auch die, die wieder auf die Oberfläche treffen, können dort nicht Fuß fassen. Denn auch in ihrer Größe gibt es wieder Dellen, die sie abweisen und zerkleinern. Im Labor kann Marengo solche superhydrophoben Oberflächen schon herstellen, etwa durch Ätztechniken. Erste Tests in einer Kältekammer waren vielversprechend.
"Einen normalen Flügel müsste man auf 60 Grad Celsius erhitzen, damit sich auf ihm kein Eis bildet. Bei unserem Material reicht eine Temperatur von 15 Grad. Damit ließe sich der Energieverbrauch für die Enteisung um bis zu 80 Prozent senken."
Haltbarkeit ist ein Problem
Das Problem aber ist die Haltbarkeit. Schließlich muss ein Flugzeugflügel harschen Bedingungen widerstehen: Bei Reisegeschwindigkeiten von bis zu 1000 Stundenkilometer werden Staubteilchen, Hagelkörnchen und Regentropfen zu winzigen Geschossen, die dem Material gehörig zusetzen - ein Störfeuer, das die superhydrophoben Oberflächen bisher nicht lange aushalten. Aber, sagt Marengo, man arbeitet dran. Und zwar nicht nur in seinem Labor.
"Wem es gelingt, eine wirklich haltbare Oberfläche zu entwickeln, wird die nächsten zehn Jahre auf den Bahamas Urlaub machen können, soviel Geld dürfte man damit verdienen. Und ich hoffe, einer dieser Glücklichen zu sein."