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"Flugzeugträger" der Kokain-Mafia

Spanien gilt als wichtiges Transitland für Kokain. Bisher waren es vor allem Clans im nordwestspanischen Galicien, die eng mit der kolumbianischen Drogenmafia zusammenarbeiteten. Dort hat die Polizei die Kontrollen inzwischen erheblich verschärft. Doch Hersteller und Zwischenhändler haben sich längst andere Transportwege gesucht. Zu Engpässen auf dem Drogenmarkt kommt es deshalb nicht. Hans-Günter Kellner berichtet aus Madrid.

    Mitternacht in den Dünen bei Tarifa. Die Polizisten Carlos Pastor und Paco Maquedano haben ihren Streifenwagen auf einer kleinen Anhöhe geparkt und blicken durch ein Nachtsichtfernglas aufs Meer. Sie warten auf Schmugglerboote, die entweder Einwanderer oder Drogen über die Straße von Gibraltar bringen, manchmal auch beides. Jedes Jahr stellt die Polizei hier 80.000 Kilo Haschisch sicher, aber auch immer mehr Kokain. Der Schmuggel sei ein großes Problem, erzählt Polizist Paco Maquedano:

    "Viele Jugendliche leben davon. Sonst gibt es hier ja nichts. Sie werden groß und sehen, wie leicht man viel Geld mit den Drogen verdienen kann. Sie sind die Hände der Schmuggler. Sie müssen nur eine Tüte voller Drogen aus einem Boot holen und an irgend einen vereinbarten Punkt an Land bringen. In dem Dorf da drüben, in Barbate, lebt ein großer Teil der Bevölkerung davon."

    Das Licht des Geländewagens ist ausgeschaltet, nicht einmal eine Zigarette dürfen sich die Beamten anzünden. Trotzdem sind sie sich sicher, wenn Schmuggler in der Nähe wären, sie wüssten längst von der Streife auf der Düne. Die wichtigsten Drogenfunde macht die spanische Polizei auch gar nicht mehr an den Küsten, sondern direkt auf hoher See. Schiffe aus Lateinamerika sind tonnenweise mit Kokain beladen und verteilen es auf offenem Meer auf kleinere Schnellboote, die es an die spanischen Küsten bringen. In diesem Jahr hat die spanische Polizei schon 13 von diesen Aktionen auf hoher See unterbunden und über 40 Tonnen der Droge sichergestellt.

    Mehr als fünf Prozent der Spanier haben schon einmal Kokain geschnupft, fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Kokain ist in Discotheken weiter verbreitet als Ecstasy-Pillen. Viele Abhängige sitzen irgendwann vor José Morante. Er ist Arzt und Leiter eines der Madrider Zentren zur Behandlung Drogensüchtiger. Auch Morante bestätigt den Trend zum Kokain:

    "Spanien war schon immer so etwas wie der Flugzeugträger, über den die Droge von den Herstellerländern nach Europa kommt. So ist das Angebot hier natürlich auch entsprechend groß. Von hier wird dann auch viel weiter nach Großbritannien geschafft."

    Selbst Drogensüchtige kritisieren, die spanische Gesellschaft gehe zu tolerant mit Drogen um. Kleine Mengen kaufen Partygänger in der Innenstadt direkt in den Discos. Süchtige holen sich ihre tägliche Dosis im "Drogensupermarkt". So nennen die Spanier eine illegale Siedlung am Stadtrand Madrids, in der mit allen erdenklichen verbotenen Substanzen gehandelt wird. Der 42-jährige Luis war schon mit 21 Jahren heroinsüchtig, schaffte dann aber nach zehn Jahren und trotz einer Aids-Infektion den Ausstieg. Doch dann begann er, Kokain zu rauchen. Bevor er wieder in ein Methadonprogramm aufgenommen wurde, holte auch er sich die Dosis im "Drogensupermarkt":

    "Das ist weit in die Gesellschaft eingedrungen. Und hier in Madrid noch mehr. Im Drogensupermarkt bilden sich jeden Morgen lange Schlangen – als wäre es ein Gemüsemarkt. Es fehlen eigentlich nur noch Hinweisschilder und Werbung. In den Schlangen stehen alle möglichen Leute, arme Schlucker, und welche, mit Anzug und Krawatte, Leute, die ich sonst nur vom Fernsehen kenne."

    Cannabis ist für die Drogenberater weiterhin die Einstiegsdroge. 70 Prozent des in der EU konsumierten Haschischs kommt über Spanien nach Europa, schätzt das Gesundheitsministerium. Die ersten Joints rauchen spanische Jugendliche schon mit 13. Die nächsten Versuchungen, auch härtere Drogen zu probieren, sind da nicht weit, weiß Luis aus eigener Erfahrung. Irgendwann boten auch ihm Freunde Heroin an:

    "Du entscheidest. Wenn du "ja" sagst, dann hast Du verloren. Die Droge hat dich vom ersten Moment an unter Kontrolle. Wenn du "nein" sagst, dann hast du dich gerettet. Ich denke so oft, hätte ich damals "nein" gesagt. Ich denke ständig daran."