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Fördern und fordern

Neun Uhr morgens im Sozialamt des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg. An einem grün-weißen Resopaltisch berät die Sachbearbeiterin Ulrike Frey den 32jährigen Metallschlosser Gerhard Schwarz, arbeitslos seit sieben Monaten. Ein pflegeleichter Fall, wie sie sagt. Denn der Metallschlosser hat sich selbst eine Weiterbildung besorgt. Nicht alle Langzeitarbeitslosen sind so rege.

Von Sandra Pfister | 01.07.2004
    Die Bundesregierung will ihnen deshalb Beine machen - es gebe kein Recht auf Faulheit, so knapp formulierte das Gerhard Schröder vor drei Jahren. Wer arbeitsfähig sei, aber einen zumutbaren Job ablehne, dem solle die Unterstützung gekürzt werden, regte der Kanzler an. So wird es nun kommen, und betroffen sind alle arbeitsfähigen Sozialhilfe-Empfänger und jeder, der Arbeitslosenhilfe erhält - jeder 20. Deutsche also. Peter Welters, der Leiter der Kölner Agentur für Arbeit, erklärt das Konzept:

    Wir gehen vom Prinzip des Förderns und Forderns aus. Es wird ein Anreiz gesetzt für Arbeit, indem die Anrechnungsgrenzen für eigenes Einkommen, das durch Arbeit erreicht wird, deutlich nach oben gesetzt werden. Es werden aber auch härtere Maßnahmen erforderlich sein, wenn jemand nicht ausreichend mitwirkt, sich also verweigert. Dann wird man schneller Konsequenzen ziehen können.

    Trägen Arbeitslosen auf die Sprünge helfen - das ist ein erklärtes Ziel der Arbeitsmarktreformen, die im Hartz-IV-Gesetzespaket stecken. Das andere Ziel ist, wie so oft: Geld sparen, und zwar in Milliardenhöhe.

    Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden deshalb zusammengelegt, das steht schon seit kurz vor Weihnachten fest. Aber was heißt das im Klartext?

    Alle Langzeitarbeitslosen - ob sie von Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe oder von beidem leben - werden ab 1. Januar 2005 gleich behandelt. Was das bedeutet, werden viele von ihnen im Portemonnaie merken: Ab 1. Januar 2005 gibt's für beide nur noch das so genannte Arbeitslosengeld 2.

    Pauschal 345 Euro für Alleinstehende in Westdeutschland, 14 Euro weniger im Osten. Hinzu kommen Miet- und Heizkostenzuschüsse. Das alles entspricht in etwa dem bisherigen Sozialhilfe-Regelsatz. Die Verlierer werden viele derzeitige Empfänger von Arbeitslosenhilfe sein - die gibt's bislang, wenn nach einem Jahr Arbeitslosigkeit das Arbeitslosengeld ausläuft. Die Ansprüche dieser Langzeitarbeitslosen vermindern sich im Durchschnitt um etwa 150 Euro im Monat, schätzen Experten - im Einzelfall kann das ganz unterschiedlich sein. Bislang richtete sich die Arbeitslosenhilfe nämlich nach ihrem vorherigen Einkommen. Eine halbe Million Deutsche, also jeder fünfte Empfänger von Arbeitslosenhilfe, wird überhaupt nichts mehr bekommen - das schätzt die Bundesagentur für Arbeit. Bei einer weiteren Million Menschen werden die Leistungen gekürzt. Der Gewinner ist der Staat, denn er spart in jedem Fall: Experten schätzen, dass insgesamt drei bis vier Milliarden Euro weniger an die Betroffenen ausgezahlt werden. Für Wolfgang Ölenberg von Dawen, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes der Region Köln, grenzt das an Wahlbetrug:

    Ich bin sauer auf die SPD, weil SPD und Grüne im Wahlprogramm versprochen hatten, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen auf dem Niveau der Arbeitslosenhilfe, d.h. der Lohnbezug bleibt erhalten und die Fragen der Zumutbarkeit und Vermögensanrechnung werden anders geklärt, günstiger für die Betroffenen. Nun hat man im Kern die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und die Sozialhilfe etwas aufgenordet, dadurch, dass man den Sozialhilfeempfängern noch mal kranken- und rentenversichert hat, einige kleine Verbesserungen eingefügt hat, aber für die große Menge der Arbeitslosenhilfe-Empfänger ist das ein deutlicher Rückschritt. Die Arbeitslosenhilfe in Köln liegt im Durchschnitt bei 580 Euro, das neue AG 2 im Schnitt bei 345 Euro, es ist eine deutliche Absenkung und zum zweiten die wesentlich schärfere Anrechnung von Vermögen.

    Eine Neuerung, die es in sich hat: Das Arbeitslosengeld 2 ist eine reine Fürsorgeleistung - Menschen mit gut verdienendem Ehepartner haben keinen oder nur verminderte Ansprüche. Wer noch eigene Ressourcen hat, muss diese erst aufbrauchen: das eigene Vermögen, Immobilienbesitz, das Ersparte fürs Alter - zum Beispiel die Lebensversicherung vorzeitig kündigen. Allerdings gibt's einen kleinen Puffer: Selbstgenutztes Wohneigentum ist tabu, und pro Lebensjahr dürfen Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, 200 Euro Kapital behalten. Hinzu kommen noch 200 Euro pro Jahr für die Altersvorsorge. Insgesamt darf man als Alleinstehender aber nicht mehr als 26.000 Euro horten. Ölenberg von Dawen:

    Man hat gesagt, man darf ein selbst genutztes Auto behalten. Bei der Wohnung wird schon gefragt, was ist ein angemessener Wohnraum und ich sage mal, ein 50jähriger Ingenieur ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt, der hat vielleicht eine Eigentumswohnung, der hat ein Haus, der kann das alles dann versteigern.

    Wer künftig arbeitslos wird, bekommt also nur ein Jahr lang Unterstützung von Staat - das bisherige Arbeitslosengeld, und das richtet sich nach dem letzten Einkommen. Dann muss er seine Rücklagen aufbrauchen, und dann erst gibt's Hilfe vom Staat - auf dem Niveau des Existenzminimums.

    Das macht Druck - Druck, sich möglichst schnell nach neuer Arbeit umzusehen. Für viele würde das den sozialen Abstieg bedeuten, fürchten Gewerkschafter und soziale Beratungsstellen. Zumal sie jetzt jeden Job annehmen müssen, der ihnen angeboten wird. Alles ist zumutbar, auch gemeinnützige Arbeit. Hedel Wenner von der Sozialberatung des Kölner Arbeitslosenzentrums:

    Was auch neu ist im AG 2, ist, dass man wirklich drei Monate ohne Leistungen dastehen kann, sollte man zumutbare Arbeit verweigern. Das muss oft von Gerichten noch näher definiert werden. Also die Frage, die ich mir an dem Punkt stelle: Wovon leben die Menschen? Bei Jugendlichen bis 25 Jahren wird das noch mal besonders streng gehandhabt. Wie soll das gehen, dass man die Daumenschrauben wie im Mittelalter so streng anzieht? Dass man sagt, dann hast Du im Grunde genommen kein Recht mehr, zu existieren.

    Das grundsätzliche Problem ist damit nicht vom Tisch: Es gibt zu wenig offene Stellen.

    Also wenn das eine reale Geschichte wäre, dass wir einen Arbeitsmarkt hätten, wo man sagen könnte: Also wenn Du nur wirklich einen Job suchen wollen würdest, dann würdest Du auch einen finden, da würde ich sagen: Ja, okay . Aber ich sehe doch, dass die Menschen die Arbeit, die sie suchen, gar nicht finden können.

    Auch an dieser Stellschraube will die Bundesregierung drehen: Die Arbeitsvermittler sollen einen besseren Job machen. Das scheitert bisweilen an einem Durcheinander von Zuständigkeiten. Wie das oft ablief im bürokratischen Zusammenspiel zwischen beiden Arbeits- und Sozialamt, beschreibt Apostolos Tsalastras, Beigeordneter der kreisfreien Stadt Oberhausen im Sozialdezernat.

    Sie haben eine Gruppe von Leuten, die bekommen Arbeitslosenhilfe, aber ihr Anspruch ist zu gering, so dass sie auch noch ergänzende Sozialhilfe bekommen. Diese Leute werden von zwei Ämtern gleichzeitig betreut, haben von beiden auch den Anspruch auf die Leistungen der Eingliederung, das heißt also, es kann eben sein, dass sich auch noch zwei Menschen gleichzeitig damit befassen, die Menschen in Arbeit einzugliedern, was natürlich auch völlig wahnsinnig ist, und keiner weiß vom anderen, was er tut. Das ist eine Situation, völlig verrückt.

    Bislang nämlich kümmern sich zwei Ämter um eine ganz ähnliche Klientel: Das Sozialamt um die Sozialhilfeempfänger, das Arbeitsamt um die übrigen Langzeitarbeitslosen; insgesamt 3,1 Millionen Menschen.

    Ein Verschiebebahnhof. In einem halben Jahr soll damit Schluss sein. So genannte "Fallmanager" sollen her, feste Ansprechpartner für jeden einzelnen Arbeitslosen. Fördern und fordern sollen die Fallmanager, griffig gesagt - und damit sie das besser hinbekommen, soll sich ein Fallmanager nach dem Willen der Regierung nur noch um 75 Arbeitslose kümmern müssen - statt, wie bislang oft, um die doppelt- bis dreifache Menge. Doch schon, wenn die Reform starten wird, ist das utopisch - weil einfach kein Geld da ist, um mehr Sachbearbeiter zu beschäftigen - das ist in den Arbeits- und Sozialämtern längst ein offenes Geheimnis.

    Überhaupt, die Fallmanager. Wo sollen sie herkommen? Aus den Kommunen? - bislang zuständig für die Sozialhilfeempfänger - oder aus den Arbeitsämtern, die zahlen die Arbeitslosenhilfe aus. Was wie ein scheinbares Detailproblem aussieht, hat in den vergangenem Monaten so manchem Mitglied des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag die Zornesröte ins Gesicht getrieben.

    Wäre es nach der Regierung gegangen, würden die Arbeitsämter alle Langzeitarbeitslosen betreuen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Bundesregierung direkten Einfluss auf die Ämter nehmen kann. Aber auch sachlich spricht einiges dafür: Die Ämter vermitteln überregional im Unterschied zu den Kommunen und Kreisen. Die Arbeitsämter selbst reißen sich allerdings nicht um die schwer vermittelbare Klientel der Langzeitarbeitslosen. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, wurde im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL mit den Worten zitiert: "In einem privaten Unternehmen würde ich sagen: Lassen wir die Finger davon."

    CDU und Arbeitgeberverbände hingegen brechen seit Monaten eine Lanze für Städte und Landkreise. Dort wären die Sozialämter dann in der Pflicht. Die seien näher an den Leuten dran und hätten den Überblick über offene Stellen vor Ort, argumentieren sie.

    Wirtschaftsminister Clement lenkte ein. Seitdem steht im Hartz-IV-Gesetz, dass sich beide Seiten zusammentun müssen - in so genannten Arbeitsgemeinschaften. Einer, der viel von dieser Idee hält, ist Bernd Schneider, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen.

    Wir waren und sind der Meinung, dass jede Ebene das machen soll, wofür sie ausgebildet ist, was in ihrem Kompetenzbereich liegt, und wofür auch Erfahrungen vorhanden sind. Das würde bedeuten, dass der Bund die Vermittlungskompetenz hat, vor allem die Vermittlung macht, die Qualifizierung, die Nachschulung, und wir uns um die Schuldnerberatung kümmern, die psychosoziale Betreuung, Kindergartenplätze, Krippenplätze bauen, die ja oft nicht da sind, und damit Frauen daran hindern, in das Erwerbsleben einzusteigen.

    CDU-Chefunterhändler Roland Koch reichte das nicht. Er pochte heftig auf die kommunale Eigenständigkeit. Und so landete der Streit um die Vermittlung in dem Ausschuss gleichen Namens. Der Kompromiss, der sich dort ursprünglich abzeichnete, hatte allerdings Züge eines Schildbürgerstreiches: Wer wofür zuständig sein soll, blieb offen. Die Städte und Landkreise hätten sich ganz alleine um die Langzeitarbeitslosen kümmern können - wenn nicht, hätte das Arbeitsamt übernommen. Im Extremfall hätte am Ende ein Flickenteppich verschiedener regionaler Regelungen gestanden: Die eine Kommune betreut die Arbeitslosen allein, die andere entscheidet sich für die Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern - die Kommunen optieren, wie es im Fachjargon heißt.

    Die Klientel der Langzeitarbeitslosen ist schwierig und kostet Geld - ein Grund, warum auch die meisten Kommunen sich nicht darum reißen, das neue Arbeitslosengeld 2 auszuzahlen - auch das nordrhein-westfälische Oberhausen nicht. Apostolos Tsalastras:

    Also rechnen tut sich das für niemand. Das einzige, was sich ändert: Der Landrat muss die Arbeitslosenzahlen verkünden und nicht mehr die Agentur für Arbeit. Ich weiß nicht, ob die Landräte das so wollen, ich weiß nicht, ob sie sich dessen bewusst sind, dass sie jeden Monat die Arbeitslosenzahlen darstellen müssen, aber gut, das sei dahingestellt. Lohnen, wirklich lohnen tut sich das Ganze nicht, man kann damit kein Geld verdienen.

    Die meisten Kommunen legen in der Tat keinen Wert auf die Option, die ihnen die Opposition erkämpfen wollte. Bernd Schneider:

    Also die meisten Großstädte sagen: Wir sind völlig überfordert, wir müssten Hunderte von neuen Leuten einstellen, die auf dem Markt gar nicht da sind, denn ich brauchte wirklich qualifiziertes Personal für diese Vermittlungsarbeit.

    Weil sich Regierung und Opposition nicht auf ein uneingeschränktes Optionsmodell einigen konnten, zauberte der Vermittlungsausschuss gestern einen Kompromiss aus dem Hut. 69 Kommunen und Landkreise werden die Langzeitarbeitslosen in Eigenregie betreuen dürfen. Das kostet - und dabei fehlt das Geld in den Kommunen allen Ecken.

    Die Computer im Berlin-Schöneberger Sozialamt beispielsweise sind hoffnungslos veraltet. Und auch wenn das Telefon Sturm klingelt: An mehr Personal ist da erst recht nicht zu denken.

    Auch in den Landkreisen nicht. Doch deren Dachverbände haben um die Langzeitarbeitslosen gekämpft. Obwohl die meisten Kreise selbst am Hungertuch nagen - gekämpft aus gutem Grund. Denn seit längerem schon verliert diese Zwischenebene zwischen Bund, Ländern und Gemeinden an Bedeutung. Um sich nicht selbst überflüssig zu machen, drängen sich die Landkreise um eine eigenständige Aufgabe - die Betreuung der Langzeitarbeitslosen. Und nach dem Geld, das dafür aus Berlin fließen muss. Der Städte- und Gemeindebund hält davon nichts, spricht von Harakiri. Alexander Schink, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages Nordrhein-Westfalen, widerspricht:

    Das kann ich nicht so ganz nachvollziehen, dass der Städte- und Gemeindebund sagt, wir machen Harakiri, ich glaube, dass es auf die Finanzausstattung ankommt, dass es auf die Gestaltung des Optionsmodells ankommt, und wenn beides stimmt, dann bin ich felsenfest überzeugt davon, dass wir uns nicht überfordern, sondern die Aufgabe sehr gut erfüllen können.

    Damit geht der Riss mitten durch die Kommunen. Bernd Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, glaubt, dass sich die Kreise mit der Betreuung der Langzeitarbeitslosen verheben. Sie seien dafür schlicht nicht kompetent.

    Die Kreise haben nur die Möglichkeit, im Rahmen ihres Kreisgebietes zu arbeiten. Das heißt, die haben zwangsläufig sehr begrenzte Wirkungsgebiete, können nur lokal vermitteln. Deswegen waren wir gegen eine Übertragung der Aufgabe auf die Kreise.

    Die Kommunen brauchen mehr Geld und mehr Personal, wenn sie die Langzeitarbeitslosen betreuen sollen - ob mit oder ohne Arbeitsamt. Bezahlen soll dafür der Bund. Der prognostizierte und kalkulierte, strickte den Kompromiss mit heißer Nadel - und legte am Ende Vorschläge vor. Clement versprach, die Kommunen um 2,5 Milliarden Euro zu entlasten. Die Kommunen rechneten nach - und kamen statt der Ent- auf eine Belastung - in annähernd doppelter Höhe.

    Wir haben ein generelles Problem, dass die Unterkunftskosten höher sind als vom Bund geschätzt hat, das ist immer dasselbe Spiel, der Bund schätzt die Belastung klein und rechnet die Entlastung hoch.

    Der Grund für die Klagen der Kommunen: das reformierte Wohngeld. Das hat bislang zwar die Gemeinde ausbezahlt, die Kosten haben sich aber Bund und Länder geteilt. Statt Wohngeld werden die Gemeinden ab 2005 Unterkunftskosten erstatten - mit dem Unterschied, dass sie nach der jüngsten Regelung nun auch die Kosten tragen müssen. Und wenn Hartz IV in Kraft tritt, dann bekommen auch alle diejenigen Wohnzuschüssen, die bislang Arbeitslosenhilfe bezogen haben. Apostolos Tsalastras rechnet vor:

    Wir kriegen fast so viele Fälle an Arbeitslosenhilfe-Bezieher zusätzlich zur Sozialhilfe hinzu. Und für die müssen wir auch zusätzlich zu den Sozialhilfeempfängern die Unterkunftskosten übernehmen. Wenn Sie jetzt davon ausgehen, dass im Durchschnitt die Wohnkosten mehr als die Hälfte der Sozialhilfekosten ausmachen , und jetzt kommen noch mal die doppelte Menge an Leuten hinzu, die vorher nicht leistungsberechtigt über die Kommune waren , dann haben Sie schon allein an Kosten einen riesigen Betrag, der fast die Höhe dessen hat, was Sie an Sozialhilfeausgaben hatten. Im Osten der Republik ist das noch viel schlimmer, die bekommen ja jetzt einen überproportionalen Anteil an Arbeitslosenhilfe-Beziehern hinzu, die können sich ja gar nicht retten.
    Seit gestern Abend ist klar: Die Kommunen bekommen mehr Geld, als Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ursprünglich rausrücken wollte, nämlich 3,2 Milliarden statt nur 2,5. Die Opposition ist zufrieden. Und weil sie auch den Kompromiss zur Betreuung der Arbeitslosen mit trägt, steht damit der Arbeitsmarktreform nichts mehr im Wege. Die "größte Kürzung von Sozialleistungen seit 1949", wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt - morgen wird sie voraussichtlich im Bundestag beschlossen werden, eine Woche später wohl im Bundesrat.

    Doch auch, wenn das Gesetz glatt durchkommt: Kritiker fürchten, dass der Starttermin 1. Januar nicht mehr eingehalten werden kann. Denn egal ob Kommune oder Arbeitsamt: Beide brauchen Vorlaufzeit, um rechtzeitig Personal umzuorganisieren, zu schulen und vor allem eine einheitliche IT-Basis für die Verwaltung der Gelder zu entwickeln. Gerade bei der Software hapert es noch gewaltig - bislang hatte sich jedes Sozialamt einfach seine eigene Datenverwaltung zusammengezimmert. DGB-Regionalchef Ölenberg von Dawen:

    Es gibt ein großes Problem: Es gibt bei den Sozialämtern ganz andere Datensätze als bei den Agenturen für Arbeit. Es gibt auch zwei völlig unterschiedliche Softwares, die müssen auch zusammengeführt werden, auch die Hardware muss ihren Test bestehen, offen ist die Rechtsform der neuen Arbeitsgemeinschaften, eine ganze Latte von Fragen ist noch offen, der Teufel steckt hier wirklich im Detail, und selbst wenn es jetzt zu einer Einigung gekommen ist, dann ist das Risiko des Scheiterns nicht beseitigt, sondern dann geht es wirklich ans Eingemachte.

    Peter Welters, Leiter der Kölner Agentur für Arbeit, gibt sich zweckoptimistisch:

    Ein weiteres Risiko ist natürlich auch die EDV. Wir planen, dass ab Oktober auch die Software auch zur Verfügung steht und voll belastbar ist. Wenn das nicht der Fall ist, dann haben wir ein Problem, das ist aber ein Problem, das wir hier nicht lösen können. Aber ich will es nicht ausschließen, dass es so kommt. Wenn dann der Worst Case eintritt, müssen wir improvisieren, dann weiß ich allerdings auch nicht, ob wir dann das Ziel voll und ganz erreichen.

    Erreichen die Arbeitsvermittler ihr Ziel nicht, bleiben also viele Menschen arbeitslos, obwohl der finanzielle Druck auf sie steigt - dann wird es die Regierung ausbaden müssen, spätestens bei der Bundestagswahl 2006.

    Andererseits: Wenn das Arbeitslosengeld 2 bereits zum Jahreswechsel ausgezahlt wird, dann, so hofft die Bundesregierung, könnten bis zur Wahl 2006 vielleicht auch die erhofften positiven Effekte sichtbar sein: weniger Arbeitslose.
    Im Wartebereich der Anklamer Agentur für Arbeit sitzen Arbeitssuchende der Region
    Im Wartebereich der Anklamer Agentur für Arbeit sitzen Arbeitssuchende der Region (AP)