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Förderprogramm zur Wiederholung von Studien
Zuverlässigkeit darf auch etwas kosten

Zwei von drei Studienergebnissen in der Psychologie sind Unfug. Trotzdem wird Forschung, die die Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse testet, nicht finanziert. Unzeitgemäß, meint der größte niederländische Forschungsförderer und hat ein eigenes Programm für die Wiederholung von Studien eingerichtet.

Von Anneke Meyer | 18.01.2019
    Zahlreiche Euro-Banknoten und Euromünzen, aufgenommen am 03.01.2014 in Frankfurt am Main (Hessen).
    Immer mehr Forscher finden Replikationsstudien wichtig. Sie zu finanzieren ist aber oft schwierig. (picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Paulette Flore ist richtig gut in Mathe. Sie hat immerhin einen Doktor in Statistik. Frauen sind mathematisch unbegabt? Auf sie trifft das nicht zu. Trotzdem kann sie sich vorstellen, dass Frauen von solchen Zuschreibungen ausgebremst werden.
    "Das klingt für mich plausibel: Das Vorurteil wach zu rufen, kann Frauen einschüchtern, sodass sie allein deshalb in einem Test schlecht abschneiden."
    Das Phänomen ist in der Psychologie als "Bedrohung durch Geschlechter-Stereotype" bekannt. Paulette Flore wollte in ihrer Doktorarbeit Details des Effektes untersuchen – nur konnte sie ihn in den Daten ihrer mit 2000 Schülern groß angelegten Studie nicht finden. Und das, obwohl das Phänomen in so gut wie jedem Psychologielehrbuch steht.
    "In that sense I guess it was a little surprising."
    Das Problem: Alles zielt auf Innovation ab
    Überraschend, aber leider kein Einzelfall. Eine großangelegte Studie hat hundert viel beachtete Studien aus der Psychologie wiederholt. Bestätigen konnten die Autoren nur etwa jede Dritte. Ähnliche Versuche aus Biomedizin und Krebsforschung stellen ein nicht weniger schlechtes Zeugnis für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft aus. Berichte, die Forscher aller Fachrichtungen zu Recht alarmieren, meint Jelte Wicherts, Professor für Methodenlehre im niederländischen Tilburg und Paulette Flores Doktorvater.
    "Die Wissenschaft als Ganzes ist dafür verantwortlich, das Richtige zu tun. Nur sind die Anreize, die das System bietet, nicht gerade dafür geschaffen. Die Fachjournale wollen schöne, aufregende Ergebnisse veröffentlichen. Die Wissenschaftler sind darauf gepolt, Neues zu finden, nicht Altes zu überdenken. Die Forschungsförderer unterstützen keine Projekte, in denen es darum geht, ältere Arbeiten zu überprüfen. Alles zielt auf Innovation ab. Und das ist ein großes Problem."
    Ein Problem, das auch die niederländische Organisation für Wissenschaft, kurz NWO erkannt hat. Der größte staatliche Forschungsförderer in den Niederlanden hat deshalb ein Programm eingerichtet, um eben das zu unterstützen, wofür es traditionell kein Geld gibt: Replikationsprojekte, also Studien, die Studien wiederholen.
    Ein Fördertopf für Wiederholungen
    "Vor der ersten Ausschreibung gab es schon kritische Stimmen."
    Erinnert Lex Bouter. Er hat das Programm bei der NWO mit ins Leben gerufen.
    "Die Leute meinten, Replikation, also Studien zu wiederholen, wäre etwas für zweitklassige Wissenschaftler. Forscher, die nicht genug Kreativität für eigene Ideen haben. Einige meinten, für so ein Programm gäbe es keine Nachfrage. Aber so war es nicht."
    In den bisher zwei Ausschreibungsrunden gingen insgesamt 150 Bewerbungen ein. 18 Projekte wurden gefördert.
    "Die Ausschreibung war so erfolgreich, es war fast peinlich. Die meisten Bewerbungen waren einfach wunderbar. Und eingereicht von den erfolgreichsten der kommenden Generation, den besten Jungforschern in Biomedizin und Sozialwissenschaften. Offensichtlich sehen diese aufstrebenden Wissenschaftler die Notwendigkeit für Replikationsprojekte ganz klar. Das war für viele etablierte Forscher eine Überraschung."
    "Wir sind froh, dass der Zeitgeist sich ändert"
    Zu den Geförderten gehören auch Jelte Wicherts und Paulette Flore. Statt ihre überraschenden, negativen Ergebnisse zur "Bedrohung durch Geschlechter-Stereotype" in der Schreibtischschublade verschwinden zu lassen, können sie jetzt eine der zentralen Studien, die den Effekt belegt, wiederholen. Eine sorgfältige Replikation, so meint Jelte Wicherts, ist die beste Voraussetzung, um zu klären, ob und wenn ja unter welchen Umständen das Phänomen existiert. Für das Projekt hat er eigens eine neue Doktorandin ins Boot geholt. Eine alte Studie noch einmal haarklein nachmachen, als Doktorarbeit – vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.
    "Es hat seine Zeit gedauert, das Thema salonfähig zu machen. Als ich mich das erste Mal mit so einem Projekt um Gelder beworben habe hieß es noch, 'ach, das ist Korinthenkackerei'. Wir sind froh, dass sich der Zeitgeist ändert."
    Das Förderprogramm der NWO ist bisher weltweit das einzige seiner Art. In der jetzigen Form ist es nur für drei Jahre geplant. Danach soll es fürs erste mit einem anderen Fördertopf zu einem weiter gefassten Qualitätssicherungsprogramm verschmolzen werden.