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Förderzeit statt Hausaufgaben

Es ist zwanzig vor acht. Die 22 Schüler der Klasse 3b sind in ihrem Klassenraum. Sie sitzen in Vierer-Gruppen an den Tischen, sie schreiben, lesen, malen. Die meisten sitzen am Platz, einige gehen durch den Raum zu Klassenkameraden, unterhalten sich. Fabian hat Probleme mit Mathe. Er lässt sich von Lehrerin Petra Fischer-König helfen.

Von Peter Küster | 27.02.2010
    In allen elf Klassen beginnt der Schultag mit der Förderzeit. 20 Minuten lang haben die Schüler Zeit, ihre Aufgaben zu erledigen - alleine, mithilfe von Klassenkameraden oder zusammen mit den Lehrern. Statt Hausaufgaben. Schulleiterin Hannelore Siewert schwört auf dieses Prinzip. Von Hausaufgaben hält die Pädagogin nicht allzuviel.

    "Entweder können die Kinder ihre Aufgaben erledigen – also sie haben sie in der Schule verstanden – dann können sie sie zu Hause ganz schnell erledigen. Die Kinder, die es in der Schule nicht verstanden haben, verstehen es auch nicht über Hausaufgaben. Sondern sie kommen am nächsten Morgen traurig in die Schule – haben es nicht, können es nicht vorweisen. Und dann ist es einfach besser, wenn die Kinder die Sachen in der Schule machen mit der professionellen Unterstützung der Lehrerin."

    Die Schule am Wall liegt in einem Kasseler Stadtteil, den Hannelore Siewert als sozialen Brennpunkt bezeichnet. 85 Prozent ihrer rund 250 Schüler haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Viele Kinder haben zu Hause kaum die Möglichkeit, konzentriert für die Schule zu arbeiten. Enge Wohnverhältnisse, kaum Ruhe, manche Eltern sprechen schlecht bis gar nicht deutsch. Lehrerin Marion Deworetzki schätzt die Förderzeit nicht nur deshalb, weil hier auch die von zu Hause aus benachteiligten Schüler eine Chance haben, zu lernen.

    "Also erstmal ist das ne Uhrzeit, wo die Kinder sehr wach und sehr konzentriert sind. Und die Kinder können sich nach eigenem Gefühl ein Angebot holen zum Üben, zum freiwilligen Üben,oder eben Übungsangebote aus den vorausgegangenen Stunden beenden, die sie nicht geschafft haben. Die Kinder dürfen aber auch in der Zeit lesen. Das sind ja auch 'Hausaufgaben'. Und natürlich werden die Kinder dann individuell gefördert."

    So wie Sophia. Sie geht in die zweite Klasse. Und ihre Mutter Katharina Lenz ist froh, dass Sophia Förderzeit statt Hausaufgaben hat.

    "Ich erlebe das sehr positiv. Die Lehrer gucken wirklich, welche Defizite haben die Kinder und fördern sie individuell, was ich für sehr viel sinnvoller halte, als allgemein Hausaufgaben aufzugeben. Ich halte es auch für wichtig, dass Kinder wirklich auch noch Zeit haben, Kind zu sein. Gerade die Kinder, die noch nicht in der fünften Klasse sind."

    Genau das sieht auch Silke Dayangac so, die ihren Sohn Serhat in die Schule am Wall schickt.

    "Das sehe ich sehr positiv, weil die Kinder sehr viel zu tun haben am Nachmittag. Dann gehen sie in den Sport und dies und jenes. Also ich finde das sehr gut."

    Als "Brennpunktschule" verfügt die Schule am Wall über zusätzliche Lehrerstellen. So kann Schulleiterin Siewert die Stundenpläne voll bekommen - 21 Wochenstunden sind es in den ersten beiden Jahrgängen und 25 Stunden in den folgenden Klassenstufen. Darüber hinaus gibt es die Förderzeit, die den Kindern weitgehend die Hausaufgaben erspart. Nur vor Klassenarbeiten und in besonderen Fällen müssen die Schüler auch zu Hause ran.

    "Wir haben selten Hausaufgaben. Manchmal, kommt drauf an, wenn wir eine Arbeit schreiben, haben wir Hausaufgaben zum Lernen."
    "Ich habe Judo, Freitag und Mittwoch,s und deswegen ist das am besten, wenn ich die Hausaufgaben im Hort mache."
    "Ich hasse zu Hause Hausaufgaben machen."

    Deswegen kommen Hausaufgaben bei den Kindern gar nicht gut an. Es gibt ja noch genug zu tun in der Freizeit. Doch die Förderzeit ist nicht nur eine Maßnahme, die ihnen hausaufgabenfreie Nachmittage verschafft:

    "Kinder haben Lust zu lernen, sie haben Lus,t sich Aufgaben zu stellen. Und diese Lust zu schüren, das ist die Aufgabe der Förderzeit."